Volksopern-Chefin: "Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?"

Volksopern-Chefin: "Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?"
Lotte de Beer über die Saison 2024/'25, die hervorragenden Auslastungszahlen und über Machtmissbrauch an den Bühnen.

Eine „Übung in Empathie“, schreibt die Volksoper in ihrem Saisonprogramm 2024/'25, sei das, was auf den Bühnen passiere. Denn Theater ist ein Ort, wie Hausherrin Lotte de Beer im KURIER-Gespräch erklärt, an dem „die Herzschläge von 1.300 Unbekannten synchronisiert werden. An dem man drei Stunden lang mit jemandem mitempfindet, der eine andere Biografie, ein anderes Geschlecht, andere politische Überzeugungen hat. An dem man sich in jemanden hineinversetzt, der ganz anders ist als man selbst. Wo sonst passiert das?“  

Aber ist das nachhaltig, könnte man sich mit einem Blick auf die Welt fragen, verändert es wirklich etwas oder spielen die Bühnen nicht eher ins Leere?  

„Ich bin eine utopische Nihilistin“, antwortet sie. „Ich glaube nicht, dass der Mensch so gewachsen ist, dass wir irgendwann das Nirvana erreichen können. Aber meine Utopie ist, es immer und immer wieder zu versuchen, das Schöne, Berührende besser zu machen. Wenn wir aufhören, uns danach zu sehnen, darüber zu tanzen, zu singen, zu reflektieren, dann will ich von diesem Planeten springen.“

Die Zahlen stimmen

Das mit dem Aufhören passiert aber nicht, im Gegenteil: In der Volksoper freut man sich über die erfolgreichsten vier Monate der (zumindest in Zahlen gefassten) Geschichte, die Auslastung seit Saisonstart liegt bei 86,4 Prozent, die Abozahlen sind um 9 Prozent gestiegen. „24 Prozent unseres Publikums sind unter 30 Jahre alt“, freut sich De Beer. Und zugleich gibt es das „sehr treue, sehr gebildete, sehr begeisterte“ Stammpublikum. Dieses sei „wahrscheinlich manchmal konservativer“ als das neue, junge. „Aber wir haben von Anfang an versucht, Brücken zu bauen zwischen den Menschen, die schon da waren, und den Menschen, die neu gekommen sind. Und das scheint gelungen“, freut sich die Direktorin.

Herausforderungen für den Betrieb

Nächstes Jahr soll es daher in einer ähnlichen Tonalität weitergehen – wenn auch der Begleitumstände bewusst. „Wir sind an einem Punkt“, sagt De Beer,  „an dem es künstlerisch und menschlich nicht gut ist,  einfach so weiterzumachen, wie es das Theater schon immer gemacht hat“. 

Das Repertoiresystem und sein Zeitdruck, immer andere Stücke zu spielen, spieße sich mit den Kosten und der Tatsache, dass es schwierig ist, vor allem im technischen Bereich Personal zu finden. Der Druck auf die Mitarbeitenden erhöhe sich. „Deshalb muss man immer wieder Knöpfe drehen, um sich den Gegebenheiten anzupassen“, sagt De Beer. „Ich will in eine Position kommen, wo ich sagen kann: Ja, das ist gut für die Menschen, es ist gut für das Publikum, es ist gut für die Kunst. Und dann schauen wir, ob das auch gut ist für die Zahlen.“

Heißt das – weniger verschiedene Stücke spielen, oder weniger Vorstellungen? „Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass wir nicht genauso viele Vorstellungen spielen und immer gleich gut verkaufen können.“ Man müsse die richtige Mischung aus den auch kommerziell erfolgreichen und aus den künstlerisch wichtigen, risikoreicheren Inszenierungen schaffen.  „Wenn ich ein paar Renner wie My Fair Lady und West Side Story habe, dann ist es auch wunderbar, wenn wir andere Stücke vielleicht nicht ganz so gut verkaufen.“

Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?

Apropos risikoreich: Bei der letzten Premiere,  Puccinis „La rondine“, setzte De Beer ein feministisches Ende dran, anstatt, wie in der Oper oftmals üblich, die weibliche Hauptfigur in den Untergang zu schicken. Wird auch die „Carmen“ – erste Premiere der kommenden Saison, Regie: Lotte de Beer – dahingehend umgedeutet, denn immerhin wird auch die vom Mann ermordet? 

"Genau das thematisieren wir bei ,Carmen'“, sagt De Beer, „unsere eigene Haltung als Publikum im Theater. Warum nehmen wir in einer Oper einen Femizid einfach so hin, schauen (sogar gerne) zu, wie eine Frau aus der arbeitende Klasse stirbt, ermordet wird, weil sie frei sein will?“

Ist das nicht ein unangenehmes Problem fast der gesamten Opernliteratur, dass Frauen für alles Mögliche abgestraft werden? „Die stärkeren Frauenfiguren gibt es oft in der Operette“, sagt De Beer. Bei den Opern gilt: „Wir könnten natürlich sagen, wir spielen diese Stücke nicht mehr, oder schreiben sie um oder machen nur noch Neue Oper. Die Musik hat Ewigkeitswert, aber viele Stoffe sind veraltet. Dennoch sagen sie so viel darüber aus, wo wir herkommen. Es ist lohnend, die Vergangenheit anzusehen, zu schauen, was war toll daran – und was die dunklen Seiten waren. Dadurch kann man sich klar werden, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen. Und welche Bilder wir unseren Töchtern und Söhnen mitgeben wollen.“

Volksopern-Chefin: "Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?"

"Das reaktionärste und machtmissbrauchendste Medium, das es gibt"

Apropos: Die Volksoper zeigt auch ein Auftragswerk rund um Alma Mahler-Werfel, „Alma“. Da denkt man rasch an eine „Show biz ans Ende“ und die Debatte um Machtmissbrauch am Theater.  Wie empfindet sie die Situation? „Als ich mit 21 Jahre als Praktikantin angefangen habe,  dachte ich: ,Oh mein Gott, wir machen Stücke gegen  Machtmissbrauch  – und sind selbst das reaktionärste und machtmissbrauchendste Medium, das es gibt.’ Ich fand es unglaublich, wie mit Menschen umgegangen wurde. Und ich dachte: Ich will irgendwann ein Theater leiten, damit ich zeigen kann, wie man mit Leuten umgehen muss.“ 

An der Volksoper gebe es nun „null Toleranz“ für Machtmissbrauch. „Auch wenn man brillant ist, ist das doch kein Freibrief für schlechtes Benehmen“, sagt De Beer. „Oft sagen Leute: Ja, dann darf man gar nichts mehr. Das stimmt nicht, man darf alles, aber man muss sich so benehmen, dass andere Menschen ihre Freiheit nicht eingegrenzt sehen. Und dann werden alle besser werden. Wir werden alle entspannter werden, kreativer, mutiger  auf der Bühne sein.“ 

Musste sie schon mal eingreifen? „Ich habe schon viele Gespräche geführt. Ich sage allen: Sprich es an, wenn etwas ist.“ Szenen, die mit Gewalt oder Intimität zu tun haben, brauchen besondere Fürsorge: So gab es bereits Kurse in Intimitäts-Koordination und "wir haben einen Intimacy Coach engagiert". „Es geht nicht darum, alles zu verbieten, sondern darum,  zu ermöglichen, dass alle sich dabei wohlfühlen.“

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