Volksopern-Chefin: "Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?"
Eine „Übung in Empathie“, schreibt die Volksoper in ihrem Saisonprogramm 2024/'25, sei das, was auf den Bühnen passiere. Denn Theater ist ein Ort, wie Hausherrin Lotte de Beer im KURIER-Gespräch erklärt, an dem „die Herzschläge von 1.300 Unbekannten synchronisiert werden. An dem man drei Stunden lang mit jemandem mitempfindet, der eine andere Biografie, ein anderes Geschlecht, andere politische Überzeugungen hat. An dem man sich in jemanden hineinversetzt, der ganz anders ist als man selbst. Wo sonst passiert das?“
Aber ist das nachhaltig, könnte man sich mit einem Blick auf die Welt fragen, verändert es wirklich etwas oder spielen die Bühnen nicht eher ins Leere?
„Ich bin eine utopische Nihilistin“, antwortet sie. „Ich glaube nicht, dass der Mensch so gewachsen ist, dass wir irgendwann das Nirvana erreichen können. Aber meine Utopie ist, es immer und immer wieder zu versuchen, das Schöne, Berührende besser zu machen. Wenn wir aufhören, uns danach zu sehnen, darüber zu tanzen, zu singen, zu reflektieren, dann will ich von diesem Planeten springen.“
- Georges Bizet, "Carmen". Premiere am 21. September 2024. Regie: Lotte de Beer, Musikalische Leitung: Ben Glassberg/Tobias Wögerer/Alexander Joel.
- Ella Milch-Sheriff, "Alma". Uraufführung am 26. Oktober 2024. Regie: Ruth Brauer-Kvam, Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber/Keren Kagarlitsky
- Johanna Arrouas / Jacques Brel u. a., "Der Krieg der Knöpfe". Uraufführung am 10. November 2024. Regie: Johanna Arrouas, Musikalische Leitung: Helmut Thomas Stippich
- Ralph Benatzky, "Im weißen Rössl". Premiere am 7. Dezember 2024. Regie; Jan Philipp Gloger, Musikalische Leitung: Michael Brandstätter/Roger Díaz-Cajamarca
- Viktor Ullmann / Wolfgang Amadeus Mozart, "KaiserRequiem". Premiere am 25. Jänner 2025. Regie und Choreographie: Andreas Heise, Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber/Keren Kagarlitsky
- Emmerich Kálmán, "Die Csárdásfürstin". Premiere am 8. März 2025. Regie: Johannes Erath, Musikalische Leitung: Tobias Wögerer/Alexander Joel
- Stephen Sondheim & James Goldman: "Follies". Österreichische Erstaufführung am 12. April 2025. Regie: Martin G. Berger, Musikalische Leitung: Ben Glassberg
- Peter te Nuyl / Keren Kagarlitsky, "Nurejews Hund". Uraufführung am 27. April 2025. Regie und Choreographie: Florian Hurler, Musikalische Leitung: Keren Kagarlitsky
- Wolfgang Amadeus Mozart, "Le nozze di Figaro". Premiere am 24. Mai 2025. Regie: Lotte de Beer, Musikalische Leitung: Ben Glassberg/Michael Papadopoulos
- Jonathan Dove, "Das verzauberte Schwein" (ab 6 Jahren). Österreichische Erstaufführung am 4. Mai 2025.
Die Zahlen stimmen
Das mit dem Aufhören passiert aber nicht, im Gegenteil: In der Volksoper freut man sich über die erfolgreichsten vier Monate der (zumindest in Zahlen gefassten) Geschichte, die Auslastung seit Saisonstart liegt bei 86,4 Prozent, die Abozahlen sind um 9 Prozent gestiegen. „24 Prozent unseres Publikums sind unter 30 Jahre alt“, freut sich De Beer. Und zugleich gibt es das „sehr treue, sehr gebildete, sehr begeisterte“ Stammpublikum. Dieses sei „wahrscheinlich manchmal konservativer“ als das neue, junge. „Aber wir haben von Anfang an versucht, Brücken zu bauen zwischen den Menschen, die schon da waren, und den Menschen, die neu gekommen sind. Und das scheint gelungen“, freut sich die Direktorin.
Christoph Ladstätter, Geschäftsführer der Volksoper, über ...
... hervorragende Zahlen
Seit Dezember liegen wir bei 90 Prozent Auslastung, es waren der beste Jänner und der beste März unserer Aufzeichnungen mit knapp unter 95 Prozent Sitzplatzauslastung. Insgesamt sind wir in der laufenden Saison bei 86,4 Prozent Auslastung. Das Abo-Publikum ist auch zurück. Das sind schon bemerkenswerte Zahlen. Die Volksoper ist relevant.
... die Unsicherheit vor der laufenden Saison
Wir haben nicht gewusst, wie sich diese Saison entwickeln wird, es gibt eine starke Inflation, wir haben die Preise stark angehoben. Trotzdem ist das Publikum den ganzen Weg mitgegangen. „Lasst uns die Welt vergessen“ ist eines der wichtigsten Stücke und einer der bedeutendsten Erfolge, die die Volksoper je gehabt hat. Das ist wirklich erfreulich.
... die finanziellen Herausforderungen
Wir haben 80 Prozent Personalkosten. Das ist schon sehr, sehr herausfordernd. Auf der anderen Seite: Die Subventionserhöhungen der letzten Jahre haben das sehr gut aufgefangen. Ich habe mich selten so wertgeschätzt gefühlt. Andrea Mayer hat viel Geld für uns erkämpft. Trotzdem, das Szenario der Zukunft ist schon heftig. Die Kostentreiber sind extrem hoch. Die nächste Saison werden wir schaffen. Die übernächste Saison steht in den Sternen. Aber wir haben gelernt, dass wir einen Schritt nach dem anderen machen. Wir sind dankbar für die großartige Unterstützung durch die Steuerzahler. Denen fühlen wir uns sehr verantwortlich.
... Nachhaltigkeit im Bühnenbetrieb
Wir haben in der Nachhaltigkeit wichtige Schritte gesetzt. Energiesparmaßnahmen, wir stellen die gesamte Bühnenbeleuchtung auf LED um. Wir haben ein PV-Anlage aufs Dach gesetzt. Heuer installieren wir eine Wärme-Rückgewinnung, mit der wir deutliche Einsparungen beim Energiebedarf erzielen werden. Es soll mehr als die Hälfte der Energiekosten aus dem Wärmebedarf eingespart werden.
Herausforderungen für den Betrieb
Nächstes Jahr soll es daher in einer ähnlichen Tonalität weitergehen – wenn auch der Begleitumstände bewusst. „Wir sind an einem Punkt“, sagt De Beer, „an dem es künstlerisch und menschlich nicht gut ist, einfach so weiterzumachen, wie es das Theater schon immer gemacht hat“.
Das Repertoiresystem und sein Zeitdruck, immer andere Stücke zu spielen, spieße sich mit den Kosten und der Tatsache, dass es schwierig ist, vor allem im technischen Bereich Personal zu finden. Der Druck auf die Mitarbeitenden erhöhe sich. „Deshalb muss man immer wieder Knöpfe drehen, um sich den Gegebenheiten anzupassen“, sagt De Beer. „Ich will in eine Position kommen, wo ich sagen kann: Ja, das ist gut für die Menschen, es ist gut für das Publikum, es ist gut für die Kunst. Und dann schauen wir, ob das auch gut ist für die Zahlen.“
Heißt das – weniger verschiedene Stücke spielen, oder weniger Vorstellungen? „Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass wir nicht genauso viele Vorstellungen spielen und immer gleich gut verkaufen können.“ Man müsse die richtige Mischung aus den auch kommerziell erfolgreichen und aus den künstlerisch wichtigen, risikoreicheren Inszenierungen schaffen. „Wenn ich ein paar Renner wie My Fair Lady und West Side Story habe, dann ist es auch wunderbar, wenn wir andere Stücke vielleicht nicht ganz so gut verkaufen.“
Warum nehmen wir in der Oper einen Femizid einfach so hin?
Apropos risikoreich: Bei der letzten Premiere, Puccinis „La rondine“, setzte De Beer ein feministisches Ende dran, anstatt, wie in der Oper oftmals üblich, die weibliche Hauptfigur in den Untergang zu schicken. Wird auch die „Carmen“ – erste Premiere der kommenden Saison, Regie: Lotte de Beer – dahingehend umgedeutet, denn immerhin wird auch die vom Mann ermordet?
"Genau das thematisieren wir bei ,Carmen'“, sagt De Beer, „unsere eigene Haltung als Publikum im Theater. Warum nehmen wir in einer Oper einen Femizid einfach so hin, schauen (sogar gerne) zu, wie eine Frau aus der arbeitende Klasse stirbt, ermordet wird, weil sie frei sein will?“
Ist das nicht ein unangenehmes Problem fast der gesamten Opernliteratur, dass Frauen für alles Mögliche abgestraft werden? „Die stärkeren Frauenfiguren gibt es oft in der Operette“, sagt De Beer. Bei den Opern gilt: „Wir könnten natürlich sagen, wir spielen diese Stücke nicht mehr, oder schreiben sie um oder machen nur noch Neue Oper. Die Musik hat Ewigkeitswert, aber viele Stoffe sind veraltet. Dennoch sagen sie so viel darüber aus, wo wir herkommen. Es ist lohnend, die Vergangenheit anzusehen, zu schauen, was war toll daran – und was die dunklen Seiten waren. Dadurch kann man sich klar werden, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen. Und welche Bilder wir unseren Töchtern und Söhnen mitgeben wollen.“
"Das reaktionärste und machtmissbrauchendste Medium, das es gibt"
Apropos: Die Volksoper zeigt auch ein Auftragswerk rund um Alma Mahler-Werfel, „Alma“. Da denkt man rasch an eine „Show biz ans Ende“ und die Debatte um Machtmissbrauch am Theater. Wie empfindet sie die Situation? „Als ich mit 21 Jahre als Praktikantin angefangen habe, dachte ich: ,Oh mein Gott, wir machen Stücke gegen Machtmissbrauch – und sind selbst das reaktionärste und machtmissbrauchendste Medium, das es gibt.’ Ich fand es unglaublich, wie mit Menschen umgegangen wurde. Und ich dachte: Ich will irgendwann ein Theater leiten, damit ich zeigen kann, wie man mit Leuten umgehen muss.“
An der Volksoper gebe es nun „null Toleranz“ für Machtmissbrauch. „Auch wenn man brillant ist, ist das doch kein Freibrief für schlechtes Benehmen“, sagt De Beer. „Oft sagen Leute: Ja, dann darf man gar nichts mehr. Das stimmt nicht, man darf alles, aber man muss sich so benehmen, dass andere Menschen ihre Freiheit nicht eingegrenzt sehen. Und dann werden alle besser werden. Wir werden alle entspannter werden, kreativer, mutiger auf der Bühne sein.“
Musste sie schon mal eingreifen? „Ich habe schon viele Gespräche geführt. Ich sage allen: Sprich es an, wenn etwas ist.“ Szenen, die mit Gewalt oder Intimität zu tun haben, brauchen besondere Fürsorge: So gab es bereits Kurse in Intimitäts-Koordination und "wir haben einen Intimacy Coach engagiert". „Es geht nicht darum, alles zu verbieten, sondern darum, zu ermöglichen, dass alle sich dabei wohlfühlen.“
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