Restitutionsfall im Wien Museum: Das Schicksal der "Hexe" wird neu bewertet
Im Frühjahr 1998 war der Verdacht groß, dass im Wien Museum, das damals noch Historisches Museum der Stadt Wien hieß, schwer toxische Bestände lagern mussten, wie man heute sagen würde: Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz, geraubt und inventarisiert, angeblich „in gutem Glauben erworben“.
Der Auslöser für den Verdacht war die Beschlagnahme zweier Bilder von Egon Schiele aus der Sammlung des Augenarztes Rudolf Leopold am 7. Jänner in New York gewesen. Denn in Wien setzte daraufhin eine hektische Provenienzforschung ein. Im Zuge der Recherchen kam die Frage auf, ob es nicht in den Sammlungen der öffentlichen Hand viele Werke gäbe, deren Herkunft zweifelhaft ist. Kulturministerin Elisabeth Gehrer wies daher am 13. Jänner 1998 die Bundesmuseen an, die Provenienz der Erwerbungen zu untersuchen.
Unrecht der Nachkriegszeit
Schon bald ging es nicht mehr nur um die NS-Zeit: Der Autor dieser Zeilen legte am 14. Februar dar, wie der Familie Rothschild in der Nachkriegszeit die wertvollsten Objekte im Gegenzug für eine Ausfuhrgenehmigung der 1938 enteigneten Sammlungen abgepresst worden waren, darunter das „Bildnis Tieleman Roosterman“ von Frans Hals.
Gehrer sprach sich in der Folge dafür aus, bei Rückgaben „großzügig zu sein“, wenn eine Erwerbung „moralisch nicht einwandfrei“ gewesen sei. Aber im gleichen Atemzug sagte sie: „Staatseigentum herzugeben, liegt nicht in meiner Zuständigkeit. Ich bin nicht der Übermaxi, der sagt: zack zurück, zack weg.“
Es fehlte eine legistische Grundlage. Und die SPÖ-ÖVP-Koalition sträubte sich, eine zu schaffen. Doch am 19. Juni 1998 brachte das Liberale Forum einen Gesetzesantrag ein, dem zufolge alle „nach dem 12. März 1938 unrechtmäßig oder aufgrund illegaler Praktiken in Bundesbesitz“ gelangten Objekte zu restituieren wären. Die Regierung war daher gezwungen, einen eigenen Entwurf auszuarbeiten. Er wurde Anfang September präsentiert. Und am 6. November beschloss der Nationalrat einstimmig das „Bundesgesetz zur Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen“.
Mit einem maliziösen Lächeln
Die Stadt Wien hingegen wollte sich partout nicht der ruhmlosen Vergangenheit stellen. Ganz besonders Günter Düriegl, seit 1987 Direktor des Historischen Museums, machte die Mauer. Mit einem maliziösen Lächeln quittierte er alle Anfragen: Dank der untadeligen Direktoren in der NS- und Nachkriegszeit dürfte es, behauptete er, kaum unrechtmäßige Erwerbungen gegeben haben. Was bezweifelt wurde, denn Karl Wagner, seit November 1938 der Leiter der Städtischen Sammlungen, blieb auch nach dem Ende des Dritten Reichs im Amt – bis zur Pensionierung 1949. Doch es fehlten den Journalisten Beweise, und Düriegl bewies Meisterschaft im Kleinreden.
Zunächst erhielten die Rothschilds die Kunstwerke im Besitz des Bundes zurück, vorerst 250 Objekte. Und weitere Restitutionen folgten. Daher stieg der Druck auf die Stadt: Mit Verspätung, am 29. April 1999, beschloss der Gemeinderat eine dem Kunstrückgabegesetz entsprechende Regelung. Damit begann in der Stadt die Provenienzforschung.
Seither ist einiges passiert. Und nun feiert sich Wien selbst – mit einem Prachtband über „25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien“. Er wurde nun im Wien Museum präsentiert. Als Herausgeber fungieren Christian Mertens, Gerhard Michram und Michael Wladika, Provenienzforscher des Wien Museums seit 1999. Wirklich einig ist man sich im Buch „In gutem Glauben erworben“ aber nicht, wie viele Objekte aus den Sammlungen der Stadt bisher restituiert wurden.
Vor 25 Jahren führte die Stadt Wien systematische Provenienzforschung ein - aus diesem Grund erschien der Band „In gutem Glauben erworben“ (Hg. von Ch. Mertens, G. Milchram, M. Wladika, Czernin Verlag. 352 Seiten. 41 Euro) "Der Katalog bietet einen tiefen Einblick in die Abläufe der Beraubung der jüdischen Bevölkerung, stellt historische Eckpunkte dar und zeigt auf eindrückliche Weise zugleich einen wesentlichen Teil der Wiener Sozial- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts", heißt es im Pressetext des Verlags dazu.
Was nicht wundert, wenn man einen Blick in die jährlichen Restitutionsberichte wirft. Im 19. (November 2019) heißt es: „Mehr als 2.855 einzelinventarisierte Objekte und 24 Archivboxen aus der Wienbibliothek und circa 3.170 Objekte des Wien Museums (...) wurden bisher restituiert.“ Im 20. Bericht (November 2020) heißt es: „Mehr als 2.855 einzelinventarisierte Objekte und 24 Archivboxen (...) und circa 3.170 Objekte (...) wurden bisher restituiert.“ Im 21. Bericht (September 2021) heißt es: „Mehr als 2.855 einzelinventarisierte Objekte und 24 Archivboxen (...) und circa 3.170 Objekte (...) wurden bisher restituiert.“ Im 22. Bericht (November 2022) heißt es: „Mehr als 2.855 einzelinventarisierte Objekte und 24 Archivboxen (...) und circa 3.175 Objekte (...) wurden bisher restituiert.“
Dieses andauernde Copy&Paste verdeutlicht, wie ernst man die Sache nimmt: Im Gemeinderat wurden die Berichte, ohne sie zu studieren, abgenickt. Aber am Dienstag klopfte man sich im Wien Museum eifrig auf die Schultern. Denn im Prachtband werden mehr als 70 positiv erledigte Fälle dargelegt.
Bericht mit vielen Fehlern
Einen besonderen Fall hingegen sucht man vergeblich: Am 13. Dezember 2022 empfahl die Restitutionskommission, fünf Werke aus dem ehemaligen Besitz der jüdischen Künstlerin Teresa Feodorowna Ries an das Wien Museum zu restituieren. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler „hat sich dieser Empfehlung angeschlossen“. Die Stadt Wien restituierte also – ungeheuerlicherweise – an sich selbst.
Als Basis für die Entscheidung diente ein Bericht des Provenienzforschers Wladika, der in vielfacher Hinsicht faktisch falsch ist. Denn er behauptet, dass Teresa Feodorowna Ries, kurz TFR, „am 30. Jänner 1874 in Moskau in eine wohlhabende jüdische Familie geboren“ worden sei. Tatsächlich kam sie in der Monarchie Österreich-Ungarn zur Welt – am 30. Jänner 1866 in Budapest. Ihre Familie übersiedelte nach Wien, und TFR sorgte 1896 im Künstlerhaus mit ihrer Skulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnachtnacht“ für Furore: Sie wurde schlagartig zu einem Star.
Am 7. Dezember 1921 ließ TFR ein „Pro Memoria“ aufsetzen: Sie erklärte „rechtsentscheidend“, dass sie ihre Kunstwerke „dem jüdischen Nationalmuseum in Palästina schenkt“.
Im Testament, kurz vor ihrer Flucht aus Wien aufgesetzt, mit 30. April 1941 datiert und von zwei Zeugen unterfertigt, wiederholte TFR ihren Wunsch: „Ich bin aus dem Judentum hervorgegangen. (...) Deshalb soll alles, was ich durch Gottes Gnade geschaffen habe, dem jüdischen Volk gehören.“
Dieses Testament und viele weitere Dokumente konnte die Künstlerin Valerie Habsburg bereits 2018 vorlegen. Und sie stellte ihr Material umfänglich dem Wien Museum zur Verfügung. Wladika blieb dennoch bei den falschen Behauptungen. Der KURIER berichtete im Dezember 2023 in drei Teilen über den Fall und den schändlichen Umgang des Wien Museums mit TFR. Direktor Matti Bunzl reagierte erbost: Er unterstellte „unfundierte Kritik“.
Kaup-Hasler wird doch aktiv
Doch die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und Ursula Berner, Kultursprecherin der Grünen, sahen die Angelegenheit entschieden anders: „Ich habe auf eine neuerliche Prüfung des Falls gedrängt“, sagt Berner. „Vorerst wurde dies vom Büro der Stadträtin abgelehnt.“
Kaup-Hasler wurde aber dann doch aktiv (auch wenn sie bestreitet, auf Zuruf reagiert zu haben): Bei der Eröffnung der Ausstellung „Auf den Schultern von Riesinnen“ am 8. März sprach sie Valerie Habsburg an. Die Künstlerin war zusammen mit Judith Augustinovič und anderen allen TFR-Spuren nachgegangen – und präsentierte in der Themenschau im Künstlerhaus eine neue künstlerische Umsetzung.
Sodann, am 3. April, kam es zu einem von Kaup-Hasler initiierten Round Table u. a. mit Bunzl und Wladika: Vereinbart wurde, dass Valerie Habsburg – wie bereits 2018 – ihre Dokumente zur Verfügung stellt und den Provenienzbericht kommentiert: „Wladika wird diese Unterlagen und Anmerkungen prüfen“, so das Büro von Kaup-Hasler. „Der aktualisierte Bericht wird an die Restitutionskommission übermittelt werden. Diese entscheidet dann über etwaige Änderungen in ihrer Einschätzung der Sachlage.“
Verschweigen und Vergessen
Ursula Berner freut sich, dass nun „doch Bewegung in den Fall gekommen ist“. Aber es werfe „insgesamt kein gutes Bild auf den Umgang des Wien Museums mit Restitutionen“, wenn just jener hauseigene Historiker, der den fehlerhaften Bericht erstellte, ebendiesen zu korrigieren hat: „Gerade vor dem Hintergrund, dass die Leitungen des Wien Museums die eigenen Raubobjekte jahrzehntelang verschwiegen haben, ist es dringend angebracht, höchste Transparenz walten zulassen.“ Berner plädiert „nach dieser Vorgeschichte des Verschweigens und Vergessens“ für eine unabhängige Einschätzung des Falls, also einen neutralen Blick von außen.
Im Wien Museum ist man aber nun ohnedies bemüht, die Sache auszubügeln. Valerie Habsburg sagt, dass sich Matti Bunzl für sein bisheriges Verhalten entschuldigt und Fehler eingestanden hätte. Sie hat bereits eine 17-seitige Stellungnahme mit Anmerkungen und Richtigstellungen übermittelt.
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