Wie das Leben so spielt: In der Zeit des Austrofaschismus war Karl Wagner Mitglied der von Engelbert Dollfuß gegründeten Vaterländischen Front. Dann wechselte er zum Feind, der den Ständestaatskanzler ermordet hatte, und übernahm im November 1938, ein halbes Jahr nach dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich, die Leitung der Städtischen Sammlungen in Wien. Er nutzte, wie im Lexikon der österreichischen Provenienzforschung zu lesen ist, „die Zwangslage von Jüdinnen und Juden aus, um billig Objekte“ für die Institution zu erwerben, die heute Wien Museum genannt wird.
Weil man es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Entnazifizierung nicht so genau nahm, blieb Wagner im Amt – bis zur Pensionierung im Herbst 1949. Die Rückstellungsforderungen der Holocaust-Überlebenden versuchte er nach Kräften „als ungerechtfertigt“ darzustellen.
Geplündert und verschachert
Just mit Karl Wagner bekam es Teresa Feodorowna Ries (TFR) zu tun. Die Bildhauerin, am 30. Jänner 1866 als Terese Ries in Budapest geboren, war 1942 nach Lugano in der Schweiz geflüchtet. Nach dem Ende des Hitler-Regimes wollte sie, mittlerweile 80 Jahre alt, wissen, was mit ihren Kunstwerken passiert war. Man hatte ihr zugetragen, dass ihr Atelier im Park des Palais Liechtenstein „von den SS-Barbaren geplündert“ wurde und ihre Kunstwerke „verschachert“ worden wären.
Tatsächlich hatte man das Atelier im Sommer 1943 geräumt. Wagner lehnte damals die Übernahme der Skulpturen ab. Und so landeten einige beim Steinmetzbetrieb des Architekten Rudolf Potz am Rennweg. Der große Rest, teilweise zerschlagen, wurde in fünf bis sechs Lkw-Fuhren zum Schuttablagerungsplatz gebracht.
TFR wandte sich 1946 unter anderem an Felix Hurdes. Der damalige Unterrichtsminister ließ tatsächlich Nachforschungen anstellen. Denn: „Es handelt sich um die Werke einer sehr begabten Künstlerin, die oft Aufsehen erregten. Es ist Ehrensache, sich der Sache nachdrücklich anzunehmen.“
In der Stadt Wien jedoch hatte man keine große Eile. 1948 schrieb Wagner an TFR, und die Künstlerin, nun 82 Jahre alt, antwortete: „Empfangen Sie meinen innigsten Dank für all die Bemühungen um das Auffinden meiner Kunstwerke! (…) Es freut mich ungemein und gereicht mir zur hohen Ehre, dass einige meiner Arbeiten dem Museum der Stadt Wien einverleibt werden! Die,Somnambule‘ und die ,Hexe‘ sind meine Jugendarbeiten, während die ,Eva‘ meine letzte große Arbeit ist. Leider ist ,Luzifer‘ zertrümmert worden ...“
Ein Zimmer als Köder
TFR dürfte nicht gewusst haben, mit wem sie korrespondierte. Und da ihre Versuche, die Kunstwerke dem Jüdischen Nationalmuseum in Palästina zu schenken, aufgrund der Wirrnisse gescheitert waren, wollte sie wohl, dass in Wien ein Andenken an sie gewahrt bleibt. Man ließ sie wissen, dass die Stadt die Absicht hätte, ein eigenes TFR-Zimmer einzurichten. Dazu kam es aber nie.
Am 31. März 1949 wurde jedenfalls die Übernahme von vier Skulpturen, zum Teil ramponiert, festgehalten, „welche als Widmung in das Eigentum“ der Städtischen Sammlungen „übergegangen“ seien. Es gibt aber keinen Schenkungsvertrag (TFR trug sich bloß mit dem Gedanken, ihre Skulpturen – es gab weit mehr – der Stadt als Schenkung zu überlassen). Und es erfolgte auch keine Inventarisierung der Objekte.
Franz Glück, der 1949 auf Wagner folgte, beschäftigte sich erst ab 1964 mit den eingelagerten Objekten. Im Februar 1965 fragte er bei TFR an, was mit ihnen geschehen soll, „da die Sicherstellung ja nicht in infinitum fortgesetzt werden kann“. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Künstlerin – sie starb 1956 in Lugano – bereits mehr als acht Jahre tot. Auch im Magistrat konnte man nicht weiterhelfen: „Eine rechtsgültige Verfügung der Künstlerin über diese Objekte geht aus den hier vorliegenden Akten (...) nicht hervor.“ Im Juli 1966 hielt Glück fest: „Es wird betont, dass kein Interesse des Museums an einer definitiven Übernahme dieser Gegenstände in den Sammlungsbestand besteht.“
Sie wurden aber dann doch „einverleibt“. Wie dies vonstattenging, ist im Bericht von Michael Wladika, Provenienzforscher im Wien Museum, über den Fall TFR nachzulesen. Es bestand allerdings kein Interesse, die Werke würdig auszustellen: Für die Wiener Internationale Gartenschau 1974 in Oberlaa wurde Deko benötigt – und das Historische Museum, wie das Wien Museum damals hieß, stellte vier Skulpturen von TFR, darunter die „Hexe“ und die „Somnambule“, zur Verfügung. Man hatte auch kein Interesse, sie zurückzunehmen: Die Skulpturen blieben nach Ende der WIG auf dem Komposthaufen des Kurparks. Es kam zu Vandalenakten. Längst hatte man der „Hexe“ die rechte Hand samt Schere und den rechten Fuß abgeschlagen, nun wurde deren Gesicht mit roter Farbe besprayt. Jahrzehnte später wandte sich Franz Einfalt, ein Jurist, an die Stadt Wien. Ihm gefielen die Wind und Wetter ausgesetzten Skulpturen; er würde sie gerne erwerben. Sabine Plakolm-Forsthuber, heute Professorin an der TU Wien, dokumentierte 1993 den erbärmlichen Zustand. Dadurch kam etwas in Bewegung. Und unter Matti Bunzl, seit 2015 Direktor, begann man, mit den Werken von TFR zu prahlen.
Durch Gottes Gnade
Aber dann, Ende 2018, meldete sich eine Studentin der Akademie der bildenden Künste. Valerie Habsburg hatte, wie im ersten Teil (erschienen im KURIER am 17. Dezember) zu lesen war, über ein Auktionshaus in Monaco den Nachlass von TFR erworben – samt dem handgeschriebenen Testament aus 1941: „Ich bin aus dem Judentum hervorgegangen. (…) Deshalb soll alles, was ich durch Gottes Gnade geschaffen habe, dem jüdischen Volk gehören.“
Da war Feuer am Dach. Es kam zu mehreren Treffen mit der Leitung des Museums. Und Valerie Habsburg wurde, so erzählt sie, abschätzig behandelt. „Man sagte mir, dass meine Recherchen über TFR und die Dokumente für das Wien Museum nicht von Interesse seien. Ich antwortete: ,Warum sitzen dann immer die wichtigsten Personen des Wien Museums hier am Tisch?‘ Ich sagte zudem: ,Das muss ich mir nicht gefallen lassen.‘ Und bin gegangen.“
Zum nächsten Termin nahm sie Eva Blimlinger, damals Rektorin der Akademie, mit, die Jahrzehnte die Provenienzforschung des Bundes koordiniert hat. „Sie hat mich großartig unterstützt“, erzählt Habsburg. „Blimlinger hat auf den Tisch gehaut und gesagt: ,Meine Herrschaften, es ist nicht die Frage, ob Sie restituieren, sondern wie und wann.‘ Sie hat mich echt beeindruckt.“
Obwohl Valerie Habsburg ihr Material zur Verfügung stellte, blieb das Wien Museum bei der (falschen) Behauptung, dass TFR eine russische Künstlerin gewesen sei, geboren 1874 in Moskau. Und die Wiener Restitutionskommission sprach, nachdem man die Sache in die Länge gezogen hatte, im Dezember 2022 die fragwürdige Empfehlung aus, die Kunstwerke von TFR zu restituieren – an das Wien Museum.
Nicht einmal ein Grabstein
Valerie Habsburg aber lässt sich nicht entmutigen. Sie gründete die Gruppe „TFR Archive“, der Judith Augustinovič, Mika Aya Azagi, Anna Bochkova, Anka Leśniak, Lena Violetta Leitner, Sami Nagasaki, Karl Martin Polt und Anita Steinwidder angehören. Gemeinsam forscht man weiter, man organisiert Filmvorführungen, Veranstaltungen und Ausstellungen, in denen man sich künstlerisch mit TFR auseinandersetzt.
Was Valerie Habsburg besonders ärgert: „TFR hat ihr Leben dem Stein gewidmet, ihre Autobiografie trägt den Titel ,Die Sprache des Steines‘. Aber sie selbst hat nicht einmal einen Grabstein.“ Die Gruppe „TFR Archive“ will nun in Lugano mit einem solchen an die Künstlerin erinnern. Selbst für diesen Akt hätte sich das Wien Museum nicht erwärmen können. Nach allem, was vorgefallen ist, hat es – zumindest moralisch – jedes Recht auf das Erbe von TFR verwirkt. Und auch Eva Blimlinger, nun Abgeordnete zum Nationalrat (Grüne), ist entsetzt. Ihren Kommentar und den Umgang des Wien Museums mit der „Hexe“ lesen Sie demnächst in Teil 3.
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