Wien restituiert an Wien: „Dieser Fall muss neu aufgerollt werden“
Der Umgang des Wien Museums, das zuvor Historisches Museum der Stadt Wien hieß, mit der Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries (TFR) und ihren fulminanten Skulpturen ist nachgerade betrüblich.
Wie im KURIER vom 17. und 21. Dezember zu lesen war, hatte die Künstlerin ihre Werke 1921 dem jüdischen Nationalmuseum in Palästina, nun Israel Museum, geschenkt. Der Abtransport verzögerte sich laufend, weil den Zionisten das Geld fehlte. Und dann kam Adolf Hitler an die Macht. In ihrem Testament, 1941 vor der Flucht aus Wien verfasst, wiederholte TFR, dass „alles, was ich durch Gottes Gnade geschaffen habe, dem jüdischen Volk gehören“ soll. In der Nachkriegszeit wurden die Kunstwerke von den Städtischen Sammlungen sichergestellt und eingelagert.
1966 betonte Franz Glück, der damalige Direktor, schriftlich, „dass kein Interesse des Museums an einer definitiven Übernahme dieser Gegenstände in den Sammlungsbestand besteht“. Weil die jüdische Künstlerin bereits ein Jahrzehnt zuvor in Lugano gestorben war, blieben die Kunstwerke im Depot – mit Zustimmung der angeblichen Erbin, die allerdings keine Ahnung über TFR und deren Intentionen hatte.
Auf dem Komposthaufen
1974 stellte das Historische Museum zumindest vier Skulpturen als Deko für die Wiener Internationale Gartenschau in Oberlaa zur Verfügung – und vergaß auf sie: Die Kunstwerke vergammelten fast zwei Jahrzehnte auf dem dortigen Komposthaufen. Den wahren Wert entdeckte man erst vor ein paar Jahren: Die wiederentdeckte Künstlerin war der Star der Schau „Stadt der Frauen“ ab Jänner 2019 im Belvedere.
TFR wurde als russische Künstlerin ausgegeben, 1874 in Moskau geboren. Doch die Angaben waren falsch. Denn die damalige Studentin Valerie Habsburg hatte Ende 2018 das private Archiv von TFR in Monaco erworben und viel über sie recherchiert. Sie nahm Anfang 2019 Kontakt mit Matti Bunzl, dem Direktor des Wien Museums, auf. Denn sie konnte beweisen, dass TFR 1866 geboren worden war – in Budapest.
Am 7. März 2019 kam es zu einem ersten Treffen mit der Führungsriege des Museums, an dem auch Michael Wladika, der hauseigene Provenienzforscher, teilnahm. Habsburg stellte ihre Unterlagen zur Verfügung. Dennoch blieb Wladika in seinem Bericht, den er für die Wiener Restitutionskommission erstellte, bei der Behauptung, dass TFR in Moskau geboren worden sei – ohne Quellenverweis.
Die Kommission bezweifelte zwar, dass von einer rechtswirksamen Schenkung 1921 ausgegangen werden könne, gab aber eine Empfehlung ab: „Gegen eine Ausfolgung dieser Objekte an die Rechtsnachfolger, die noch der Feststellung bedürfen, bestehen restitutionsrechtlich keine Bedenken.“ Wladika wurde ersucht, die Rechtsnachfolger nach TFR „auszuforschen“.
Im jüngsten Restitutionsbericht, veröffentlicht Anfang Dezember 2023, liest man jedoch nichts über Ergebnisse. Denn am 3. November 2022 war es „zu einer außerordentlichen Sitzung“ gekommen. An ihr nahm der Vorsitzende der Restitutionskommission und Matti Bunzl mit drei Mitarbeiterinnen, darunter Wladika, teil. Was bei diesem Treffen gedealt wurde, ist nicht bekannt.
Aber wenig später, am 13. Dezember 2022, empfahl die Kommission die Objekte „an die Museen der Stadt Wien als Rechtsnachfolger zu restituieren“. Eine solche Empfehlung ist beispiellos in der Geschichte der Kunstrückgabe: Die Stadt Wien restituiert an die Stadt Wien auf Grundlage eines nachweislich fehlerhaften Berichts eines Provenienzforschers, der als Mitarbeiter des Wien Museums Partei ist.
So funktioniert Wissenschaft
Matti Bunzl, um eine Stellungnahme gebeten, reagierte brüsk: „Das Wien Museum weist die unfundierte Kritik in der Artikelserie des KURIER entschieden zurück.“ Dem „vormaligen Forschungsstand entsprechend“ sei „das Wien Museum von einem Geburtsdatum von 1874“ ausgegangen. „Das wurde selbstverständlich korrigiert. So funktioniert Wissenschaft.“ Wann und wie korrigiert wurde, erklärt Bunzl nicht.
Am 7. Oktober 2023 jedenfalls waren die biografischen Angaben zu TFR falsch – bei der Eröffnung der Schau „Hexen! Über Körper, Wissen und Macht“ in Würzburg mit einer Leihgabe des Wien Museums, der Skulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ als sonderbar vollendeter Gipsabguss.
Dabei hatte Habsburg die richtigen Daten bereits 2019 publiziert – im Band „Spezialschule“ der Akademie der bildenden Künste, veröffentlicht bei Schlebrügge.Editor. Drei Jahre lang Fakten negieren: So funktioniert Wissenschaft nicht.
Bunzl streitet nicht ab, dass es „gravierende Missverständnisse wie auch konservatorische Verfehlungen“ gegeben hätte: „Genau diese werden nun aber korrigiert. Das gilt insbesondere für die Frage, ob die Künstlerin ihre Werke in Israel oder Wien wissen wollte.“ Der ursprüngliche „Wunsch einer Verbringung“ nach Palästina – Bunzl meint die Urkunde aus 1921 – sei „durch spätere Ersuchen um Aufnahme der Werke in die Sammlung der Stadt Wien ergänzt bzw. konterkariert“ worden. Was er unerwähnt lässt: TFR war damals bereits über 80 Jahre alt und lebte in Lugano im Exil.
Bunzl weist zudem darauf hin, dass er versuche, eine Lösung in Zusammenarbeit mit dem Israel Museum zu erwirken. Wie dem Restitutionsbericht zu entnehmen ist, hat er im Juni 2022 eine „Sachverhaltsdarstellung“ (mit den richtigen oder den falschen Daten?) übermittelt – und den dortigen Direktor „mit der rechtlichen Problematik des Falles vertraut“ gemacht.
Dossier ist fehlerhaft
Eva Blimlinger, die jahrzehntelang die Kommission für Provenienzforschung des Bundes betreute und nun Kultursprecherin der Grünen ist, schüttelt den Kopf über das fragwürdige Vorgehen: „Nach 25 Jahren Kunstrückgabe sollte es eigentlich klar sein, wie es sich mit Testamenten – siehe ,Goldene Adele‘ – und vor allem mit sogenannten Schenkungen von arisierter Kunst an heimische Museen verhält. Die Stadt Wien hat es offensichtlich noch immer nicht verstanden und beschließt, nicht dem Willen von TFR zu folgen. Das Dossier ist fehlerhaft und im Restitutionsbericht gibt es keinen Hinweis, dass Valerie Habsburg kontaktiert, einbezogen oder was auch immer wurde. Schade. Ich bin wirklich erstaunt, um nicht zu sagen verärgert.“
Und Erika Jakubovits von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) meint in einem Statement an den KURIER, „dass dieser Fall unbedingt neu aufgerollt und untersucht werden muss, da es solch divergierende Meinungen dazu gibt. Er muss jedenfalls von einer unabhängigen Seite überprüft werden.“
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