"Still Here", "Lovecut" & Co: Die Kinofilme der Woche
von Gabriele Flossmann
"Still Here": Kampf gegen untätige Ermittler
Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten hat eine Protestwelle in den USA und vielen anderen Ländern ausgelöst. Nun kommt ein Film ins Kino, der zwar aufgrund seiner Entstehungszeit (noch) keine Reaktion auf die „Black Lives Matter“-Bewegung sein kann, aber einen Einblick in die Problematik gibt.
Er erzählt von Eltern, die verzweifelt nach ihrer zwölfjährigen Tochter Monique suchen. Sie ist seit einigen Tagen verschwunden. Ist sie ausgerissen? Entführt worden? Der Vater verteilt Flyer mit dem Bild des Mädchens in seiner Nachbarschaft. Bei der Polizei ist er mit seiner Vermisstenanzeige abgeblitzt. Weil Monique und ihre Eltern schwarz sind und in einem ziemlich heruntergekommenen Viertel von New York leben. Der Fall kommt also zu den unerledigten Akten.
Der Reporter Christian Baker wird auf den Fall angesetzt. Er befragt mehrere junge Männer, die in der Wohngegend Moniques herumlungern. Aus den wenigen Informationen baut der Journalist eine Story, in der er auch einen möglichen Verdächtigen präsentiert. Durch den öffentlichen Druck sieht sich der Polizeichef gezwungen, zwei Cops auf den Fall anzusetzen. Ergebnisse müssen her, egal wie. Und so nehmen die Polizisten den in der Zeitung genannten „Schuldigen“, einen verwirrten, ängstlichen Schwarzen, in die Mangel. Bis der Mann sich auf der Toilette das Leben nimmt. Als Folge davon wird Baker von seiner Redaktion freigestellt. Trotzdem gelingt es ihm, das Vertrauen von Moniques Vater zu erringen und weiter zu recherchieren.
Am überzeugendsten ist der Film, wenn er die Entführung des Mädchens und deren Folgen für die Familie beschreibt. Rückblenden in Zeitlupe zeigen den Vater und seine lebensfreudige Tochter beim Spielen. Bilder aus glücklichen Tagen. In seinem Spielfilmdebüt lässt der rumänische Regisseur und Drehbuchautor Vlad Feier ganze Handlungselemente aus, um sie der Fantasie des Publikums zu überlassen. So wird etwa dem Reporter von der Polizei ein Zettel zugesteckt. Was steht drauf? Derlei stilistische Spielereien durchbrechen leider etwas zu oft den Spannungsbogen der Handlung.
Zu plakativ kommt der Vorwurf daher, dass bei der Polizei und an anderen Schaltstellen in den USA oft Anhänger rassistischer Ideologien das Sagen hätten. Nur gestreift wird die gesellschaftliche Verantwortung, die Journalisten tragen – gerade in Zeiten ihrer Diffamierung als „Lügenpresse“. Als bitterböser Kommentar zur „Black Lives Matter“-Bewegung ist der Film interessant – und kommt zum absolut richtigen Zeitpunkt in die Kinos.
Info: USA 2020. 99 Minuten. Von Vlad Feier. Mit Johnny Whitworth, Maurice McRae, Afton Williamson, Zazie Beetz
"Lovecut": Liebesgeschichten ohne Heiratssachen im Internet
Dating-Apps versprechen im besten Fall die große Liebe per Klick. Oder schnellen Sex – wie etwa die App „Tinder“ verheißt. Aber: „There’s a crack in everything …“ Mit diesem Leonard-Cohen-Zitat beginnt der Film, der vom Rebellieren, von Hoffnungen und Ängsten junger Menschen erzählt.
Im Mittelpunkt stehen sechs junge Internet-Junkies auf der Suche nach einem Platz im „echten“ Leben. Auf schmerzliche Art erfahren sie, dass Chats und Dating-Apps kein Happy End garantieren. Denn bei all den Internet-Möglichkeiten fehlt die Gebrauchsanweisung, wie eine Beziehung „draußen“ funktioniert. Leider gehen die episodisch erzählten Geschichten um Sexualität, Liebe und Identitätsfindung zu wenig in die Tiefe. Aber eine beeindruckende Talentprobe ist der Debütfilm auf jeden Fall.
Info: Ö/CH 2019. 94 Min. Von Iliana Estañol, Johanna Lietha. Mit Kerem Abdelhamed, Raphaela Gasper, Valentin Gruber
"Jenseits des Sichtbaren": Die abstrakte Malerei wurde von einer Frau erfunden
Malewitsch und Kandinsky gelten als (und hielten sich auch selbst für) Erfinder der abstrakten Malerei. Genau dieser Behauptung widerspricht diese Doku. Sie zeigt Werke und Werdegang der schwedischen Malerin Hilma af Klint, die bereits 1906, also fünf Jahre vor Kandinsky, abstrakt gemalt hatte.
Sie studierte Kunst, hätte von ihren konventionellen Landschaftsbildern und Porträts leben können. Doch sie wollte – als Mitglied einer theosophischen Gesellschaft – das Wesen der Welt begreifen. Sie versuchte als Medium und Esoterikerin mit Toten Kontakt aufzunehmen. Danach waren ihre Bilder geprägt von klaren Formen – Kreisen und Dreiecken in kontrastreichen Farben. Der Film zeigt eindrucksvoll, dass es an der Zeit ist, die Kunstgeschichte im Sinne dieser Künstlerin umzuschreiben.
Info: Dokumentation. D/CH/GB 2019. 93 Minuten. Von Haliny Dyrschka. Mit Hilma af Klint
"Fellini degli spiriti": Zum 100. Geburtstag von Fellini
Doku zum 100. Geburtstag von Federico Fellini: Die freie Erzählweise, die Selbstreflexion des Mediums, die Öffnung zu Psychoanalyse und Gesellschaftskritik und das Prinzip des Autorenfilms wären ohne den „Maestro“ kaum denkbar. Er zählt unbestritten zu den wichtigsten Filmemachern des 20. Jahrhunderts. Seine in jeder Hinsicht herausragenden Filme feiern die Fantasie, den Traum und die Sinnlichkeit. Sie begleiteten die Geschichte Italiens, von den drückenden Jahren des Faschismus über das süße Leben in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ bis zu den politischen und kulturellen Krisen der 70er.
Info: Dokumentation.F/I/B 2020. 90 Minuten. Von Selma Dell’Olio. Mit Fellini, Friedkin
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