Die Filmstarts der Woche: "Exil", "Corpus Christi" und "Maiden"
von Gabriele Flossmann
"Exil": Psycho-Drama rund um Integration und Identitätsverlust
Der Film bietet einen spannenden Beitrag zur europäischen Integrationsdebatte. Er erzählt von dem im Kosovo geborenen, in Deutschland lebenden Familienvater Xhafer, der sich zunehmend gemobbt fühlt. Allerdings spielt er auch mit dem Feuer. Xhafer arbeitet als Ingenieur in einem Pharmakonzern. Er lebt in einem Vorstadt-Reihenhaus-Idyll und scheint gut integriert. Was vielleicht daran liegt, dass seine "bessere Hälfte" eine Deutsche ist, mit der er zwei Kinder hat. Was die Akzeptanz seiner Kollegen betrifft, so scheint ihm der Migrationshintergrund im Weg zu stehen. Dabei verschmelzen Tatsache und Einbildung in diesem Paranoia-Thriller.
Xhafer steht vor der Entscheidung zwischen Integration und Identitätsverlust. Beides zu vereinen scheint unmöglich zu sein. Zunächst sieht es nur nach einer familiären Fehde aus, als Xhafer der Schwiegermutter Rassismus vorwirft. Und auch im Büro steht es mit dem Arbeitsklima nicht zum Besten. Er wird wiederholt, scheinbar versehentlich, aus Mailverteilern ausgeschlossen. Meetings, von denen er zufällig erfahren hat, werden kurzfristig in andere Räume oder auf andere Uhrzeiten verlegt.
Der Ton zwischen Xhafer und den Kollegen wird zunehmend gereizter. Die Lage wird ungemütlich. Umso mehr, als eines Tages im Briefkasten tote Laborratten liegen. Als der Kinderwagen – zum Glück ohne Kind – abgefackelt wird, kommt ihm (und auch dem Publikum) das Ausmaß der Ablehnung zu Bewusstsein. Die Ehefrau zeigt allerdings wenig Verständnis für seine Lage und ortet hinter dem Mobbing andere Gründe.
Während Xhafer hinter dem Mobbing rassistische Motive vermutet, hält ihm seine Frau vor, dass die Ablehnung eher an seinem Mangel an menschlichen Qualitäten liegen könnte. Womit wir dem Problem des Filmes näherkommen. Denn Xhafer ist nicht der makellose Mensch, wie man ihn aus wohlmeinenden Filmen über Exilanten und Asylsuchende kennt. Er betrügt seine Gattin mit einer Putzfrau, mit der er Albanisch sprechen kann. Für die Probleme, die sie ohne gültiges Visum hat, ist er taub.
Dass Xhafer tatsächlich kein liebenswerter Mensch ist, lässt die Befürchtung aufkeimen, dass der Film den Rechten in die Karten spielt. Denn er deutet an, dass der berufliche und private Misserfolg des Protagonisten nicht am Mangel an Integration und/oder Chancengleichheit liegen könnte, sondern daran, dass er schlicht und einfach nicht sympathisch ist. Als Zuschauer ist man bei diesem gut gemachten und vor allem gut gespielten Film frustriert, weil er sein wichtiges Thema viel zu ambivalent vertritt. Und weil die Rolle der großartigen Sandra Hüller als Nebenfigur konzipiert ist, obwohl gerade die Ehefrau viel zum Verständnis von Xhafer hätte beitragen können. Das ist schade. Vor allem bei einem so wichtigen Thema.
INFO: Drama. D/B/Kosovo 2020. 121 Min. Von Visar Morina. Mit Misel Maticevic, Sandra Hüller, Rainer Bock, Thomas Mraz.
"Corpus Christi": Besinnliche Komödie über Glauben, Religion und gute Taten
Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit: 2011 gab sich ein 19-Jähriger in Polen nach seiner Entlassung aus einer Jugendstrafanstalt in einem Dorf – zunächst mehr aus Jux – als Priester aus. Aufgrund seiner Erfahrungen als Ministrant des Gefängnispriesters ist er spirituell gewandelt und kann in der Priesterrolle überzeugen. Der Film wirft eine interessante Frage auf: Darf ein (Klein-)Krimineller Stellvertreter Gottes auf Erden sein?
Angesichts der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen die römisch-katholische Kirche ist diese Frage brisant. Umso mehr, als der geläuterte Häftling in der Priestersoutane in der kleinen Dorfgemeinde sehr viel Positives in Gang setzt. Vieles in der Gemeinde verändert sich jedenfalls durch den charismatischen "Prediger" und seine unorthodoxen Methoden zum Positiven.
Aber nicht nur der junge Prediger verschweigt seine Vergangenheit, auch die Dorfbewohner tragen ein dunkles Geheimnis rund um einen tragischen Unfall mit sich. Der neutestamentarische Satz: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein ..." bekommt in diesem Film eine neue Bedeutung.
Sympathisch an der Geschichte ist auch, dass sie wie zufällig passiert, und dass dem jungen Priester trotz seiner Wohltaten kein klerikaler Heiligenschein verpasst wird. Der sympathische Film wurde 2019 bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt und war als bester ausländischer Film bei der diesjährigen Oscar-Verleihung nominiert.
INFO: Komödie. P 2019. 115 Minuten. Von Jan Komasa. Mit Bartosz Bielenia, Eliza Rycembel, Aleksandra Konieczna.
"Maiden": Abenteuerliche Weltumseglung einer reinen Frauen-Crew
Der Film erzählt die Geschichte der Britin Tracy Edwards, die 1989 erstmals mit einer reinen Frauen-Crew am "Whitbread Round the World Race" teilnahm. Zunächst mit wenig Unterstützung aus der Männerwelt. Die chauvinistische Jacht-Presse wettete sogar auf ihr Scheitern. Aber die Skipperin weigerte sich, aufzugeben: Sie verpfändete ihr Haus und kaufte ein gebrauchtes Boot.
Mit ihrer bemerkenswerten Damenriege bewies sie, dass Frauen auch auf See näher an der Leistung von Männern dran sind, als diese es wahrhaben wollen. Beim Zieleinlauf der "Maiden" im Mai 1990 drückten die Fotografen verzückt auf die Auslöser. Denn die weibliche Crew zelebrierte die Zieleinfahrt im Badeanzug. Was in (männlichen) britischen Segler-Kreisen die Augenbrauen nach oben schnellen ließ.
Nach diesem Triumph arbeitete Tracy Edward als ausgebildete Psychologin für eine Kinder-Organisation. Für das neue "Maiden"-Projekt – das zum Anlass dieses Filmes wurde – stach sie fast 30 Jahre nach ihrer legendären Weltumseglung wieder in See. Wieder mit einer weiblichen Crew.
Die inzwischen verrottete Jacht wurde runderneuert – finanziert von Prinzessin Haya bint al-Hussein von Jordanien. Sie setzt sich in ihrer Heimat für die Rechte von Frauen ein und ist dem Projekt aus nostalgischen Gründen verbunden: Ihr Vater, der verstorbene König Hussein, war 1989/90 der Einzige der Segelsport-Mäzene, der fest an die "Maiden"-Crew glaubte und das Vorhaben finanzierte. Konservativ gestalteter, sehenswerter Dokumentarfilm.
INFO: Sport-Dokumentarfilm. Großbritannien 2018. 97 Minuten. Von Alex Holmes. Mit Tracy Edwards
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