Was den urdeutschen Franz Biberkopf mit dem Flüchtling aus Guinea-Bissau verbindet, liegt für den
39-jährigen Regisseur Qurbani so gut wie auf der Hand: „Ich finde, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden gibt“, erläutert er im KURIER-Interview: „Biberkopf kommt aus dem Gefängnis, weil er seine Freundin ermordet hat, und wird in ein Berlin geworfen, in dem sich die Gesellschaft gerade total schnell verändert. Biberkopf ist zwar Teil dieser Gesellschaft und schwimmt am Rande mit, aber für die meisten Leute bleibt er unsichtbar. So geht es auch meiner Hauptfigur: Sie wurde im wahrsten Sinne des Wortes hier angeschwemmt und trägt ein Gepäck an Schuld mit sich herum. Sie bewegt sich in einer Welt, die sie völlig überfordert und bleibt dort ebenfalls unsichtbar und ungewollt. Diese Parallele hat mich total gereizt.“
Francis B. landet in einem Flüchtlingsheim, wo ein deutscher Krimineller namens Reinhold (herrlich soziopathisch gespielt von Albrecht Schuch) mit den Euro-Scheinen wedelt und ihn als Drogendealer für den Volkspark Hasenheide engagiert.
Qurbani kennt diesen Park am Rande von Neukölln und hält ihn für „einen der schönsten Parks von Berlin“.
Aber: „Er ist auch ein Drogenpark“. Die Hasenheide hat eine sehr bürgerliche Seite mit Streichelzoo und Minigolf, wo Eltern mit ihren Kindern lustwandeln. Andererseits aber ist die Hasenheide auch ein Umschlagplatz, wo „leider vor allem subsaharische Drogendealer“ ihre Geschäfte machen, sagt Qurbani: „Da kommt es sehr schnell zu einer Gleichsetzung zwischen ‚Schwarz ist gleich kriminell und Drogendealer‘.“
Qurbani, dessen Eltern aus Afghanistan geflüchtet sind und der selbst „kein typisch deutscher Phänotyp“ ist, kennt das Gefühl gut, nach seinem Äußeren her beurteilt zu werden: „Da wurde mir gleich schlecht. Ich habe mir dann gedacht: Was wäre, wenn Franz Biberkopf einer von diesen schwarzen Jungs wäre? Dann könnte ich doch eine Geschichte erzählen, die man so noch nicht gehört hat. Ich kann diesen Jungs in Form von Francis B. Gesicht und Stimme geben.“
Doch eine originelle Idee macht noch lange keinen überzeugenden Film aus. Qurbani hält sich zwar in groben Zügen an das Handlungsgerüst von Döblin, verzichtet aber weitgehend auf dessen genaue Studie der Milieus – eine Qualität, die Döblins Roman als Sittenbild von Berlin auszeichnete.
Stattdessen entwirft er eine exzessive Gangsterwelt zwischen Hasenheide, Partys und Raubüberfällen, die er in rauschhaften, gelackten Bildern inszeniert: „Ich weiß, dass dieser Film manchen Leuten zu schick ist“, gibt er selbst zu: „Er ist schick. Aber ich finde das nicht schlimm, weil die Entscheidung für diese Art von Ästhetik ja auch eine Verbeugung vor dem Roman ist, der eine Poesie und eine Künstlichkeit hat. Wir haben uns entschieden, ein paralleles Universum aufzubauen, in dem die Kamera versucht, einen Sog zu entwickeln, der einen mitreißt – aber nicht mit der Technik des Sozialrealismus.“
Schön gesagt.
Tatsächlich aber bleibt Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ in seiner Überhöhung stecken und kann auch nach 183 Erzählminuten nicht so recht erklären, worauf die Handlung eigentlich hinaus will. Eine Botschaft aber kommt klar an: „Nennt mich nicht Flüchtling!“, wehrt sich Francis B. gegen eine Bezeichnung, die ihm von deutscher Seite immer wieder zugeschrieben wird.
Dieser Aufforderung kann sich Burhan Qurbani, von seinen Erfahrungen als „Flüchtlingskind“ stark geprägt, nur leidenschaftlich anschließen: „Was ich an dem Wort nicht mag, ist das Stigma, das daran klebt – und diese Endgültigkeit: In dem Wort Flüchtling steckt für mich dieses Gefühl, außer Atem zu sein, ständig unterwegs zu sein, zur ewigen Wanderschaft verdammt zu sein. Das Wort erlaubt das Ankommen nicht. Wenn Francis empört und frustriert sagt: ‚Nennt mich nicht Flüchtling!‘, dann steckt da drin der Satz: ‚Ich möchte hier ankommen‘.“
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