Song Contest: Viele Fragezeichen in Malmö

Joost Klein: Polizeiliche Untersuchungen im Vorgang rund um den ESC-Vertreter der Niederlande.
Die Stimmung vor dem Finale ist angespannt. Neben den Protesten gegen Israel bleibt weiterhin unklar, ob die EBU die Niederlande vom Finale am Abend ausschließt. Und wer holt sich den Sieg?

Die Stimmung rund um das Finale des 68. Eurovision Song Contest in Malmö bleibt ob der Teilnahme Israels europaweit angespannt, und die Frage, ob die Rundfunkunion (EBU) die Niederlande vom Bewerb ausschließt, ist wenige Stunde vor Beginn der Endrunde weiter offen. Die EBU bleibt diesbezüglich auf Tauchstation und befeuert damit die Spekulationen.

Die EBU hatte am Freitagnachmittag mitgeteilt, dass der niederländische Kandidat Joost Klein wegen eines nicht näher klassifizierten "Vorfalls" vorerst von allen weiteren Proben ausgeschlossen wird. Während des gestrigen Juryfinales in der Malmö Arena wurde denn auch nur die Aufzeichnung seines Halbfinalauftrittes projiziert. 

Diese Projektion wurde vom Publikum in der Halle demonstrativ gefeiert und beklatscht, während der verantwortliche EBU-Supervisor Martin Österdahl - ansonsten ein Liebling in der ESC-Blase, der mit seinem Kultspruch "You're good to go" die Bekanntgabe der Abstimmungsergebnisse einläutet - ausgebuht wurde. Schließlich ist Joost Klein mit seiner Nummer "Europapa" einer der Publikumslieblinge der heurigen Ausgabe und galt als Fixanwärter auf eine gute Platzierung.

Aber auch ohne EBU-Statements kristallisiert sich langsam heraus, dass der "Vorfall" wohl nicht im Zusammenhang mit der israelischen Delegation steht, wie zunächst vermutet. Laut schwedischen Medienberichten geht es um eine gewalttätige Aktion gegen eine Mitarbeiterin der Produktion, wobei laut "Aftonbladet" bereits die Polizei auf den Plan gerufen wurde, die ein Ermittlungsverfahren wegen Drohungen gegen eine Person eingeleitet habe.

Während also kurz vor dem Finalgong weiterhin unklar ist, ob die EBU den einmaligen Schritt setzt, einen Künstler während des laufenden Bewerbs zu disqualifizieren oder ob doch 26 Länder am Abend gegeneinander antreten werden, bleibt auch die zweite Debattenfront rund um das sich eigentlich dezidiert als unpolitisch verstehende Event virulent. In Finnland haben wenige Stunden vor dem Finale propalästinensische Demonstranten im Eingangsbereich des TV-Senders Yle einen Boykott der Show gefordert.

Etwa 40 Menschen hielten sich mit Protestplakaten und palästinensischen Fahnen in der Lobby auf, wie Yle berichtete. Der Demonstrant Wilhelm Blomberg sagte der Zeitung "Hufvudstadsbladet", sie würden die Beschäftigten nicht an ihrer Arbeit hindern, aber wollten sie auf die Situation im Gazastreifen aufmerksam machen. Israel könne mit dem ESC sein Image verbessern, während der Krieg andauere, so Blomberg laut dpa.

Großdemonstration

In der Innenstadt der Ausrichterstadt Malmö ist indes für den Nachmittag abermals eine Großdemonstration gegen Israel angesetzt, bei der erneut Tausende Menschen für einen Protestmarsch erwartet werden. Wie bereits am Donnerstag ist hierfür auch wieder "Friday for Future"-Ikone Greta Thunberg angekündigt.

Vom journalistischen Aushängeschild der Schweiz, der "NZZ", kam indes eine virulente Anklage der Entwicklung des Eurovision Song Contests: "Jetzt ist er zur antiisraelischen Kundgebung geworden." Und auch die Londoner "Times" wandte sich in einem Kommentar gegen das Vorgehen gegen die 20-jährige israelische Sängerin Eden Golan: "Diejenigen in der versammelten Menge, die einem lange geschürten Hass Luft machten, die sich an der Angst erfreuten, die sie in ihr auslösten, während sie sich in den Mantel der Selbstgerechtigkeit hüllten, sollten sich einfach nur schämen."

Abseits der dezidierten Demonstrationen finden sich auch in der gesamten Innenstadt von Malmö Aufkleber und Plakate, die den "Genocide Contest" anprangern, weil Israel trotz des laufenden Gaza-Krieges nicht vom Bewerb disqualifiziert wurde. Auch in der Malmö Arena wurde Eden Golan vor, nach, aber auch während ruhiger Stellen ihrer Ballade "Hurricane" immer wieder von nicht geringen Teilen des Publikums ausgebuht.

Kroatien bleibt Favorit, Kaleen bleibt konstant

Unbeschadet aller Kalamitäten rund um eine mögliche Disqualifikation der Niederlande und Proteste gegen das Antreten Israels in Zeiten des Gaza-Krieges, hält sich Kroatien mittlerweile stabil auf Platz 1 der Favoritenliste für den Eurovision Song Contest 2024. Zuletzt hatte es zwar - zumindest im zeitlichen Zusammenhang mit einem Leak der Italien-Ergebnisse im Halbfinale, die Israel in Führung sahen - eine Aufholjagd von Israels Eden Golan gegeben. Doch die scheint gestoppt.

Kroatiens Sänger Baby Lasagna liegt demnach konstant bei den Wettquoten auf Platz 1 und verweist Eden Golan mit ihrer Ballade "Hurricane" mit Respektabstand auf Platz 2. Zugleich gilt hier zu bedenken, dass im Finale die Hälfte der Stimmen von den internationalen Jurys kommen, die erfahrungsgemäß einer härteren Rocknummer wie der kroatischen "Rim Tim Tagi Dim" eher nicht zugeneigt sein dürften. Hier könnten die Stimmen eher in Richtung Israel oder auch des Drittplatzierten, des Schweizer Acts Nemo gehen. Die nonbinäre Person singt in "The Code" von ihrer persönlichen Selbstfindung in akrobatischer Performance samt Falsetthöhen.

Andererseits mag auch dies vielen oftmals eher traditionell angehauchten Jurys zu avantgardistisch sein. Dann böte sich der französische Sänger Slimane an, der mit seiner stimmgewaltigen Schmachtballade "Mon Amour" zwar mit einer deutlich schlechteren Wettquote als das Führungstrio, aber eben doch auf Platz 4 zu liegen kommt. In jedem Falle ist der ESC 2024 nach langem wieder einmal ein Bewerb, bei dem vor Beginn des Finales tatsächlich noch offen ist, wohin das Siegerpendel schlagen wird.

Und Österreichs Kaleen? Wird im Vergleich von 25 Buchmachern konstant auf Platz 16 und damit ziemlich exakt im Mittelfeld des 26-köpfigen Feldes gesehen - oder 25-köpfigen, sollte sich die EBU doch noch zu einem Ausschluss der Niederlande entschließen. Vom Damoklesschwert, das über deren Kandidat Joost Klein schwebt, lassen sich die Zocker rund um den Globus übrigens nicht beirren. Die Niederlande werden nach wie vor konstant auf Platz 8 des Tournaments gesehen.

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