"Jedermann" bei den Salzburger Festspielen: Überzeugender denn je
Höhepunkt dieses an starken Momenten reichen Abends ist jene Szene, in der die Buhlschaft von Jedermann Abschied nimmt. Sie liebt ihn von Herzen, aber noch mehr liebt sie das Leben. In den Tod folgen wird sie ihm nicht, aber es fällt ihr schwer, sehr schwer, ihn sterbend zurückzulassen.
Wortloser Kampf
Regisseur Michael Sturminger hat in seiner Fassung in dieser Szene jeden Text gestrichen. Jedermann und Buhlschaft tanzen miteinander, oder ist es ein Kampf? In einer Mischung aus Sexualakt, versuchter Vergewaltigung, Ringkampf und Totentanz fallen sie übereinander her, man sieht, sie können voneinander nicht lassen, und müssen doch.
Das ist von Jedermann Lars Eidiger und Buhlschaft Verena Altenberger so gut gespielt, dass man kaum wagt, zu atmen.
In der Tat hat der Autor dieser Zeilen in 30 Jahren noch nie einen Jedermann erlebt, der seinem eigenen Leben so nahe kommt, der so wenig ein Salzburger Touristenritual ist und so sehr ein von uns allen erzählendes Theaterstück.
Märchen vom Sterben
Michael Sturminger gelingt dies, indem er die bis ins Mittelalter zurück zu verfolgende Bekehrungs- und Belehrungsgeschichte unter Verzicht auf jeder Aktualisierung einfach als das erzählt, was sie ist: Als entsetzlich wahres Märchen, denn Sterben muss, zumindest hat man davon gehört, jeder. Dieser Jedermann ist in keiner Zeit verortet und an keinen Ort gebunden, er spielt niemals und immer, überall und nirgendwo.
Das macht ihn paradoxerweise lebensnäher. Denn wenn man Jedermann als, sagen wir, Mafiadrama erzählt, dann kann jeder Zuschauer sagen: Was geht mich das an? Ich bin doch kein Mafioso! Das geht sich diesmal nicht aus.
Ein junger Toter
Lars Eidinger, der neue Hauptdarsteller, ist genau genommen mit 45 für den Jedermann viel zu jung, außerdem wirkt er wie ein ewiger Bub, wie ein vor sich hin träumender Popstar. Aber andererseits: Wer hat behauptet, dass der Tod nur alte Leute holt? Als diesem vitalen Menschen plötzlich das Leben ausgeht, ist die Fallhöhe umso größer.
Eidinger wirkt im ersten Teil der Geschichte fast ein wenig blass, er ist wie ein Kind, das nur spielen will. Dass er gerne frisst und säuft und hurt, glaubt man nur bedingt. Seine Auseinandersetzung mit dem Schuldknecht wird als Boxkampf gedeutet, eine ein bisschen gar schicke Idee, andererseits: Für diesen Jedermann ist eben alles nur Spiel.
Glaubhaft
Im zweiten Teil, als es ans Sterben geht, blüht Eidinger auf, und in der Tat ist er der erste Jedermann seit Jahrzehnten, bei dem die Lasst-minute-Bekehrung kein schauspielerisches Bravourstück ist, sondern wirklich glaubhaft.
Verena Altenberger ist als Buhlschaft mit kurzem Haar (sie spielte vorher eine Filmrolle als Krebskranke) und Hosenanzug einfach umwerfend. Sie ist sexy und verführerisch, vor allem aber ist sie eine tolle Schauspielerin, die den Konflikt einer Frau, die das Leben noch mehr liebt als ihren Mann, glaubwürdig darstellt.
Edith Clever als Tod im Kaputzenkostüm ist das Ereignis des Abends. Sie kommt nicht spektakulär, sondern leise und fast zärtlich. Wie eine Mutter nimmt sie Jedermann in den Arm und wiegt ihn in den Schlaf. Das Schluss bild ist eine Pieta: Der nackte Jedermann liegt im Schoß der Tödin, sie drückt ihm zärtlich einen Kuss auf die Lippen.
Kätzchen
Mavie Hörbiger ist als Teufel – heuer werden viele Rollen von Frauen besetzt, was niemals aufgesetzt wirkt, sondern ganz natürlich – ein fauchendes Kätzchen, wie es sich für diese Rolle gehört, sammelt sie viele Lacher ein.
Kathleen Morgeneyer als Glaube trägt einen Schwangerschaftsbauch, warum nicht, schließlich pflanzt sich echter Glaube immer fort. Mirco Kreibich ist als Mammon Jedermanns Spiegelbild, er trägt das Geld in einem hässlichen Kübel mit sich, den er Jedermann schließlich aufsetzt.
Besonders raffiniert ist die Lösung für die sehr schwierige Figur der Werke: Sie werden auf eine ganze Gruppe aufgeteilt, verschleierte Gestalten, sie sich auf dem Boden winden, sind es Gespenster, Bettler oder Aussätzige?
Großartig integriert ist auch die Musik, die aktiv ins Geschehen eingreift, ebenso stark die Lichtregie.
Regisseur Michael Sturminger ist nicht weniger als eine echte Neuinszenierung gelungen, durchsetzt mit Tanz und Bewegungstheater und vielen schlüssigen Ideen. Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ war selten so wenig hölzern zu erleben, so packend, so berührend. Das liegt an einer klugen Regie ebenso wie an einer fulminanten Besetzung.
Begeisterung
Gespielt wurde die Premiere im großen Festspielhaus, denn draußen tobten heftige Gewitter. Auf dem Domplatz wird die Inszenierung noch einmal an Wucht gewinnen. Viele Festspielbesucher, die sich ein gemütliches Vorprogramm vor dem abendlichen Restaurantbesuch erwarten, werden sich unter Umständen noch wundern.
Das Premierenpublikum war jedenfalls begeistert, es gab großen Jubel, vor allem für Lars Eidinger, Verena Altenberger, Mavie Hörbiger und Edith Clever – und es gab sogar stehend gespendeten Applaus.
Eine einsame Buhruferin bei Lars Eidinger wirkte da fast schon ein bisschen komisch.
Fazit: Salzburg hat einen Jedermann, überzeugender denn je.
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