Rabl-Stadler und Hinterhäuser: „Einschwören auf das gemeinsame Ziel“
Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser eignen sich hervorragend für eine Doppelconférence: Die Präsidentin der Salzburger Festspiele ist immerzu optimistisch, der Intendant hegt gerne Zweifel. Die Freude, dass die Festspiele stattfinden, teilen sie aber.
KURIER: Seit 19. Mai darf es Veranstaltungen geben. Aber manche Theater haben vor dem Sommer gar nicht aufgesperrt, viele Festivals wurden auch heuer abgesagt. In Salzburg hingegen …
Helga Rabl-Stadler: … haben wir eine Absage keine Minute lang überlegt. Unsere Strategie ist: Wir machen Festspiele, wenn es möglich ist, unter dem Vorrang der Gesundheit künstlerisch Sinnvolles zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen zu machen. Selbstverständlich wäre es praktischer, bequemer und billiger gewesen, wenn wir nicht gespielt hätten. Aber das kam für uns im Dreierdirektorium nicht infrage.
Markus Hinterhäuser: Kulturelle Institutionen sind prinzipiell dazu da, etwas zu realisieren. Das ist unser aller Grundauftrag. Sich einfach zurückzuziehen und es nicht einmal zu versuchen: Dafür gibt es keine akzeptablen Gründe. Auch deshalb, weil der Virus nicht verschwinden wird. Wir alle müssen lernen, mit ihm umzugehen. Wenn wir das nicht tun, haben wir verloren. Wir haben daher einen „normalen“ – was auch immer das heißen mag – Festspielsommer geplant.
Rabl-Stadler: Auch bei uns waren nicht alle Mitarbeiter der Meinung, dass man spielen muss. Aber da muss man sie einfach einschwören auf das gemeinsame Ziel.
Auch Ihre Mitarbeiter waren in Kurzarbeit, mussten auf bis zu 20 Prozent des Gehalts verzichten. Haben Sie, wie das Landestheater in Linz, das Minus ausgeglichen?
Rabl-Stadler: Das Instrument wurde erfunden, um einen Betrieb zu entlasten – und die Mitarbeiter in Anstellung zu halten. Das Direktorium ist mit gutem Beispiel vorangegangen: Wir haben 20 Prozent unserer Gehälter in einen Härtefallfonds für die Mitarbeiter eingezahlt. Damit diese sehen, dass wir nicht nur ihnen etwas zumuten.
Als Sie das Programm konzipierten, hatten Sie keine Informationen, was im Sommer von der Saalauslastung möglich sein wird. Sie haben daher nur mit einer Zweidrittelbelegung gerechnet?
Rabl-Stadler: Nein, wir haben das Budget mit voller Auslastung erstellt. Aber im ersten Quartal, als die Zahlen derart fatal waren, gingen wir auf Zweidrittel runter. Zum Glück hat sich dann die Situation entspannt. Und jetzt können wir alle Plätze verkaufen.
Sie konnten der 50-Prozent-Belegung im Schachbrettmuster etwas Positives abgewinnen: Man hat eine exzellente Sicht – und Platz für die Handtasche. Diesen Luxus gibt es jetzt nicht mehr.
Rabl-Stadler: Sie haben mich erwischt! Ich bin mir sicher, dass viele den Freiraum genossen, sich besonders sicher gefühlt haben. Aber wirtschaftlich wäre eine Beibehaltung der Schachbrettbelegung nicht zu verantworten.
Haben die Festspiele aufgrund eingeschränkter Reisemöglichkeiten aber auch genügend Käufer?
Rabl-Stadler: Der erste Tag des freien Kartenverkaufs, der 7. Juni, war der beste in der Geschichte der Festspiele. Es läuft über die Maßen gut. Ich empfinde das als Belohnung dafür, dass wir 2020 Programm gemacht und Hoffnung gegeben haben. Wir hatten 80.000 Besucher und keinen einzigen positiven Fall.
Die Opern dürften also wieder ausverkauft sein. Und die Festspiele könnten sogar einen Gewinn erwirtschaften. Denn als ordentliche Kauffrau haben Sie sicher nicht mit einer 100-prozentigen Auslastung spekuliert.
Rabl-Stadler: Da haben Sie recht, aber das werden wir erst sehen. Denn wir sind ja mit einer Zweidrittelbelegung in den Verkauf gegangen – und haben zwischen zwei Besuchergruppen einen Sitz frei gelassen. Es gibt also recht viele Einzelplätze. Ob wir sie zur Gänze verkaufen?
Sprich: Als Single habe ich die allerbesten Chancen?
Rabl-Stadler: Aber auch wenn Sie zu zweit kommen wollen! Das Kartenbüro ist bemüht, die Plätze neu zu schlichten.
Sie haben unlängst einige Besetzungsänderungen bekannt gegeben. Weil Künstler nicht anreisen können.
Hinterhäuser: Es geht weniger um die Einreise, da helfen uns das Außen- und das Kulturministerium, aber um die zum Teil sehr strengen Quarantänemaßnahmen bei der Rückkehr. Wenn ein Orchester mit Chor, also ein Kollektiv mit bis zu 200 Menschen, nicht kommen kann, stehen wir schon vor größeren Herausforderungen und Nervenanspannungen, als wenn eine einzelne Sängerin ersetzt werden muss. Wir haben daher zum Beispiel das Gustav-Mahler-Jugendorchester engagiert. Und das ist auch nicht einfach. Denn diese jungen Musiker werden aus ganz Europa zusammengerufen.
Erstaunt es nicht, dass nur wenige Veranstaltungen abgesagt werden mussten?
Hinterhäuser: Nicht, dass ich es möchte, aber ich befürchte, dass es zu weiteren Abänderungen kommen wird. Die Covid-Situation war sehr entspannt. Aber nun steigt die Zahl der Neuerkrankungen. Ich habe generell eine skeptische Ausrichtung. Sie verbietet mir, 100-prozentig optimistisch zu sein.
Rabl-Stadler: Die Absage des Chicago Symphony Orchestra schmerzt natürlich – nicht nur vom Künstlerischen her. Denn die Konzerte hätten einen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaftet. Aber es stimmt schon: Angesichts der 220 Veranstaltungen ist die Zahl der Absagen gering. Letztes Jahr haben sich alle Künstler derart gefreut, dass sie spielen, singen, auftreten konnten. Sie machen daher das Unmögliche möglich, um auch heuer dabei zu sein.
Ist die Nervenanspannung der Grund, warum Sie, Herr Hinterhäuser, den Liederabend – Sie hätten Asmik Grigorian am Klavier begleitet – verschoben haben?
Hinterhäuser: Es war ein wirkliches Durcheinander in den letzten Monaten. Ein solcher Abend braucht aber eine kontinuierliche Vorbereitung. Es fehlten eben die Möglichkeiten zu proben.
Ihr Herzensprojekt können Sie realisieren: „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono.
Hinterhäuser: Es gibt mehrere Herzensprojekte! Aber ja: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass „Intolleranza“ das Werk der Stunde ist. Es ist ein Plädoyer für die Würde des Menschen, für die Menschenrechte, für die Toleranz. Es geht mir nie um eine blöde Aktualität, aber es ist wirklich der richtige Moment für dieses sogenannte „Bekenntniswerk“.
Frau Präsidentin, haben auch Sie ein Herzensprojekt? (Rabl-Stadler denkt angestrengt nach.) Sie können ja strategisch antworten – und eine Produktion nennen, für die es noch recht viele Karten gibt.
Rabl-Stadler: Natürlich gibt es für „Intolleranza“ mehr Karten als für den „Don Giovanni“ von Romeo Castellucci. Alles andere wäre abnormal. Lassen Sie mich so antworten: Ich fand „Così fan tutte“ und „Elektra“ letztes Jahr derart besonders. Es freut mich daher, dass wir beide Produktionen heuer nochmals zeigen. Die Wiener Philharmoniker waren – sowohl unter Joana Mallwitz als auch unter Franz Welser-Möst – sensationell.
Hinterhäuser: Wer kann die „Elektra“ auch nur annähernd so spielen wie die Philharmoniker? Man war vollkommen hypnotisiert!
Rabl-Stadler: Wenn man sich die Frage stellt, was sich durch die Pandemie verändert hat, dann ist es zum Beispiel das Verhältnis zu den Philharmonikern. Früher haben sie uns immer wieder durch die Blume gesagt, wie froh wir sein können, dass wir sie haben. Denn sie könnten woanders viel mehr verdienen. Und für uns war es normal, dass sie spielen – und zwar seit 1922. Aber nun wissen wir genau, was wir aneinander haben.
Hinterhäuser: In der Vergangenheit gab es Friktionen, aber derzeit haben wir ein sehr gutes Gesprächsklima.
Sie wurden kürzlich von Frankreich zum „Officier des Arts et Lettres“ ernannt. Und Sie, Frau Präsidentin, gar zum „Commandeur“.
Rabl-Stadler: Weil ich davor schon Officier war.
Hinterhäuser: Ich sage also zu Dir: „Mon Commandeur!“ Aber das ist gendermäßig sehr daneben …
Rabl-Stadler: Ich habe nichts gegen „Commandeur“.
Ich könnte Sie mit „Frau Präsident“ ansprechen?
Rabl-Stadler: Durchaus. Die weibliche Form ist mir aber lieber. Auch „Commandeuse“ fände ich richtiger!
Es steht für Sie fest, dass Sie nach diesem Sommer nicht mehr weitermachen. Gerüchteweise soll Ihnen Landeshauptmann Wilfried Haslauer nachfolgen.
Rabl-Stadler: Er brächte alle Voraussetzungen mit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Amt übernimmt. Er ist als Landeshauptmann unverzichtbar – auch für die Festspiele.
Hinterhäuser: Ohne ihn wären sie im Sommer 2020 nicht möglich gewesen.
Rabl-Stadler: Er weiß um die Bedeutung als Wirtschaftsmotor und Touristenmagnet, aber er hat auch eine große Empathie für die Festspiele.
Wenn nicht Haslauer: Wer könnte nachfolgen?
Hinterhäuser: Man wird sich mit der künftigen Funktion des Präsidentenamts im Dreierdirektorium ernsthaft auseinandersetzen müssen. Da reicht es nicht, mit Namen zu jonglieren. Den Phänotyp Rabl-Stadler wird man jedenfalls nicht wieder finden. Es wird daher eine Zeitenwende sein.
Helga Rabl-Stadler: Die Tochter des ORF-„Tigers“ Gerd Bacher, 1948 in Salzburg geboren, war Journalistin, Unternehmerin, ÖVP-Politikerin – und ist seit 1995 Präsidentin
Markus Hinterhäuser: Der Pianist, 1958 in La Spezia geboren, arbeitet seit 1993 für die Festspiele. 2014-2016 leitete er die Wiener Festwochen. Er ist Intendant bis 2026
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