Senta Berger: „Unsere Gesellschaft ist im Aufbruch“
Die Schauspielerin feiert am 13. Mai ihren 80. Geburtstag. Im Interview spricht sie über ihren neuen Film, #MeToo und ihre Sehnsucht nach Wien.
05.05.21, 05:00
von Gabriele Flossmann
Zwischen amerikanischer Traumfabrik und deutschsprachigem Fernsehen konnte und kann Senta Berger höchst kontroverse Rollen spielen. Privat spielt sie nicht, sie ist: Feministin und Menschenfreundin, Ehefrau und Mutter. Am 13. Mai feiert sie ihren 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass zeigt Arte am Freitag (7. Mai, 20.15 Uhr) ihren neuen Film „An seiner Seite“ – in ORF2 ist er am Samstag (8. Mai) zu sehen und im ZDF am Montag (10. Mai).
Senta Berger spielt darin Charlotte, eine Frau, die nach einem luxuriösen und anstrengenden Leben an der Seite eines Stardirigenten endlich ein bisschen Familie genießen möchte. Ihre in München lebende Tochter hat sie inzwischen zur Großmutter gemacht hat. Doch der von Peter Simonischek in jeder Hinsicht elegant dargestellte Dirigent hat offenbar wenig Lust, sich aus dem kulturellen Jet Set zurückzuziehen. Er will noch einen Job in New York annehmen. Einen Strich durchs geplante Familienleben macht auch die Tochter. Sie wirft der Mutter vor, sie in ein Internat abgeschoben zu haben, um ihr internationales Luxusleben genießen zu können. Und die Enkelin kennt die Großmutter kaum. Eine Zufallsbekanntschaft mit einem älteren Herrn lehrt die Frau, was es heißt, familiäre Bande zu haben.
Sie spielte an der Seite von Charlton Heston, Alain Delon & Co
Senta Bergers 80er ist jedenfalls ein Anlass, ihre höchst erfolgreiche Karriere Revue passieren zu lassen. Nach Erfolgen wie in „Schwejk“ an der Seite von Heinz Rühmann, zog sie – mit einem Columbia-Vertrag ausgestattet – aus, um Hollywood zu erobern. Sie spielte unter anderem an der Seite von Stars wie Charlton Heston, Alain Delon, Yul Brynner, Dean Martin, Alec Guinnes – und wurde selbst zur internationalen Leinwand-Diva. Zu ihrem Hauptwohnsitz wurde München – an der Seite ihres nunmehr langjährigen Ehemanns Michael Verhoeven – Regisseur und Drehbuchschreiber und Vater ihrer beiden Söhne. Sie schaffte den Übergang in die heutige Fernsehwelt. Hier setzte sie Maßstäbe, hier erreichte sie das Herz und vor allem den Kopf gestandener moderner Frauen.
2006 hatte Senta Berger in ihrem Buch „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“ erstmals von Übergriffen diverser Schauspielkollegen geschrieben und damit die #MeToo-Bewegung vorweggenommen. Im KURIER-Interview präsentiert sich der Weltstar als ganz normale Frau, die sich (auch) über ihr fortgeschrittenes Alter Gedanken macht.
KURIER: Im neuen Film spielen Sie Charlotte, die Frau eines Stardirigenten, die zwar „An seiner Seite“ bleiben, ihr Leben aber noch einmal neu ausrichten und evaluieren will. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Senta Berger: Mir hat die Geschichte gefallen und ich wollte sie miterzählen. Es ist ein erwachsener Film – sagen wir mal so. Kein Krimi, keine laute Komödie. Das zentrale Thema ist sicher die Frage: Was habe ich versäumt? Mein Leben hätte auch ganz anders verlaufen können ... Wie sieht es überhaupt aus, dieses mögliche andere Leben? Es ist ein zarter Film. Komische Beschreibung eines Films – mir fällt keine bessere ein.
Der Film handelt Thematiken wie Treue, Eifersucht und eingefahrene Mechanismen und Zermürbungen einer langjährigen Ehe ab. Er spielt zwar mit gängigen Klischees, geht aber in keine der üblichen Fallen, wie etwa Verführung des Stardirigenten durch jugendliche Bewunderinnen. War Ihnen das wichtig?
Meine Mutter hätte gesagt: 1000 Paare – 1000 Rezepte. Oder 1000 Verabredungen – würde ich sagen. Was ich meine, ist: Die Untreue scheint ein fester Bestandteil der Verabredung zwischen Charlotte und ihrem Mann zu sein. Darüber stolpert sie kaum mehr. Dass wir diese Dinge mehr nebenbei erzählen – das war uns wichtig. Es sollte nicht die übliche Untreue des Stardirigenten sein, die seine Frau Charlotte verletzt und auf sich selber zurückwirft.
Im Film zitieren Sie die Form eines tödlichen Urteils aus Namibia. Dort wird ein Verurteilter nicht mehr mit den sonst üblichen Worten „Ich sehe dich“ gegrüßt. Als Gleichnis dafür, dass Menschen die wertschätzende Wahrnehmung durch andere brauchen, um ein selbstbewusstes und ausgeglichenes Leben führen zu können. Geht die Tugend der positiven Wahrnehmung im Twitter- und Facebook-gesteuerten Leben zu sehr verloren?
Genau, das ist es: Charlotte hat an der Seite ihres Mannes ihre Aufgabe gefunden. Sie hält ihm den Rücken frei, organisiert sein Leben, das künstlerische wie das private, ist ihm Frau und Managerin zugleich. Ich glaube nicht, dass sie sich als Opfer sieht. Aber „gesehen“ möchte sie von ihrem Mann werden. Die Selbstverständlichkeit mit der er sie wie ein Möbelstück behandelt, das mal da und mal dort geschoben werden kann, die Rücksichtslosigkeit, mit der er über Charlottes Wünsche und Erwartungen hinwegwalzt, tun einfach weh. Ob dieses Verhalten mit Twitter und so weiter zu tun hat? Ich glaube nicht. Ich möchte es nicht glauben.
Gerade junge Frauen sind oft in Gefahr, die Wahrnehmung durch Männer durch optische Reize hervorrufen zu wollen und damit womöglich die menschlich wertschätzende Wahrnehmung zu verspielen. Sie machten am Beginn Ihrer internationalen Karriere wahrscheinlich mehr Schlagzeilen mit Ihrer Schönheit als mit Ihrer Schauspielkunst. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Das sind auf jeden Fall mehr Fragen als eine. Junge Frauen mit optischen Reizen? Warum nicht? Junge Frauen wollen sich ausprobieren, wollen wahrgenommen werden – und sind zumeist überrascht, wenn es dann so ist. Wirklich schlimm ist die Abhängigkeit der Mädchen von geschäftstüchtigen Influencerinnen. Wahrscheinlich wäre ich auch gefährdet gewesen. Ich wollte mit 15/16 unbedingt so aussehen, wie „man“ auszusehen hatte. Die Fotos in den Filmillustrierten konnte ich in den 50ern aber leichter abschütteln als heute die Social Medias. Ich glaube nicht, dass man durch diese übertriebenen Selbstdarstellungen menschliche Werte verspielt. Ich glaube, dass unter allen geklebten Wimpern und falschen Fingernägeln genau die gleiche noch unsichere junge Frau steckt, die auf Liebe wartet, wie in allen Jahrhunderten. Und zum zweiten Teil Ihrer Frage: Dass man mir „Schönheit“ zugeschrieben hat, war erst einmal eine große Verwunderung, ein Staunen und sicher auch ein Sich-geschmeichelt-fühlen. Dass das Aussehen für meinen Beruf nicht genügt, ja sogar hinderlich sein kann, wusste ich ziemlich bald. Am Anfang meiner Entwicklung vertraute man mir manche Aufgaben nicht an, weil ich angeblich zu hübsch, zu jung und so weiter war. Ausgelöst hat diese Zuschreibung bei mir gar nichts. Ich war hübsch. Gut. Warum nicht. Wichtig war, eine gute Schauspielerin zu sein und eine immer bessere zu werden.
Durch die #MeToo-Bewegung wird endlich darüber diskutiert, dass optische Reize von Frauen, oder Kleidung, die man als „sexy“ bezeichnen könnte, keinesfalls als eine Einladung an Männer gedeutet werden darf, deshalb übergriffig zu werden. Wo liegt da für Sie die Grenze?
Na, Moment mal: Für wen ziehen sich Frauen verlockend an? Das Wort „sexy“ sollte man jetzt mal ein paar Jahre sperren. Tucholsky schreibt: Wir (also die Frauen) ziehen unsere Augenbrauen für und gegen alle anderen Frauen ... Für wen also setzen wir unsere Signale? Oder eben auch nicht? Wir haben ja heute die Wahl. Wenn ich meine Weiblichkeit betone, wird die Männlichkeit darauf reagieren. Das hat sich die Natur so ausgedacht. Zumindest in den allermeisten Fällen. Die Frage ist nur, wie reagiert der Mann. Wie setze ich ihm als Frau Grenzen. Und das hat wiederum mit dem Selbstbewusstsein der Frauen zu tun, mit dem wachsenden Selbstwertgefühl. Das wiederum hat zu tun mit der Position der Frauen in unserer Gesellschaft, mit ihren Abhängigkeiten und wie sie sich daraus lösen. Da gibt es keine Verordnungen und Regeln. Sensibilität kann man nicht verordnen, Respekt kann man verlangen, was aber noch lange nicht heißt, dass man ihn bekommt. Unsere Gesellschaft ist im Aufbruch. Das Verhältnis der Generationen ändert sich langsam, aber doch. Ein bisschen mehr Humor beiderseits täte gut.
Sie haben sich in einem Interview mit der „Zeit“ darüber geäußert, dass Sie in Hollywood auch so Ihre Erfahrungen mit männlicher Anmaßung hatten. Nun wurde Hollywood ja schon in diversen Büchern und Filmen als „Babylon“ dargestellt. War es in Europa und speziell in Deutschland und Österreich besser?
Produzenten, die zu meiner Zeit in Hollywood noch meinten, sie hätten sozusagen einen verbrieften Bonus, das jeweilige junge Starlet auf ein Stündchen zu sich ins Büro zu bitten, machen noch kein „Babylon“. Ich fand diese ganze Gesellschaft in Hollywood recht spießig. Meine Maskenbildner durften mich nur bis zum Kinn schminken, dann wurde eine ältere Dame mit lila Löckchen gerufen, die meine „cleavage“ – ich hatte das Wort noch nie gehört –, also mein Dekolletee schminkte! Warum sollte Machtmissbrauch nicht auch in Europa ausgeübt worden sein? Wie oft hatte ich in meiner Jugend in Wien, in Berlin das Wort „Besetzungscouch“ gehört. Dennoch – ich kann nur von meinen Erfahrungen sprechen – kann ich nicht sagen, ob es in Österreich „besser“ war.
In den Rollen, die Sie spielen, kommen oft Anspielungen auf Ihr wirkliches Leben vor. In „An seiner Seite“ sagen Sie zum Beispiel: Ich komme aus Wien. Das ist lange her, als wär’s in einem anderen Leben gewesen. Wie präsent ist Wien in Ihrem Leben?
Wien ist immer da. Tatsächlich spaziere ich durch Hietzing oder durch den Ersten in Gedanken. Oder fahre meinen Schulweg, prüfe mich, ob ich auch noch alle Namen der Haltestellen weiß: Jagdschlossgasse, Stadlergasse, Gloriettegasse und so weiter … Ich werde jetzt oft nach den Versäumnissen in meinem Leben gefragt. Alle gebe ich nicht preis. Aber dass es das Versäumnis meines Lebens ist, nicht zurück nach Wien gegangen zu sein, das weiß ich und das sag ich auch. Es hat sich einfach so ergeben, dass wir den Zeitpunkt verpasst haben, endgültig nach Wien umzuziehen. Ich bin wegen der Kinder in München geblieben – und nun sagen mir meine Söhne, dass sie natürlich eines Tages nach Wien gehen werden! Wir sind vor Corona regelmäßig in Wien gewesen und nun haben wir alle schon rechte Sehnsucht nach meiner Heimat.
Sie sagen im Dialog des Films „An seiner Seite“, dass zwar jeder Mensch besonders sei, aber ein Mensch mit Talent diesem gegenüber auch eine Verantwortung hätte. Haben Sie Ihr Schauspiel-Talent von Anfang an als Verantwortung gesehen?
Aber nein, natürlich nicht. Ich musste erst alles lernen, auch die Verantwortung für mich selber zu tragen. Ich war ein verspieltes, neugieriges Kind als ich mit 17 mein erstes Engagement am Theater in der Josefstadt antrat. Mit den Jahren ist mein Wissen um den Beruf gewachsen. Die Gefährdungen, die Unsicherheiten und Ängste, die er mit sich bringen kann. Und natürlich auch die unbeschreiblichen Glücksmomente, die man erlebt. Mit den Jahren habe ich gelernt, meinen Beruf sehr ernst zu nehmen und damit auch mich und mein Talent, mein Instrument, mit dem ich arbeite. Disziplin gehört zu der Verantwortung, die man für sich übernimmt. Und auch die Frage, was macht man mit seinem Talent und was nicht? Wie setze ich es ein? Und was kann ich mit meiner Arbeit bewirken?
„An seiner Seite“ zeigt die heute noch eher übliche Konstellation einer Frau an der Seite eines berühmten und erfolgreichen Mannes. Bei Ihnen könnte es auch dazu kommen oder gekommen sein, dass sich ein Mann mit der Rolle „An ihrer Seite“ zufriedengeben muss. Wie wichtig war Ihnen und Ihrem Mann, dass Sie gleich erfolgreich Seite an Seite gehen konnten?
Sie vergessen, dass Michael Verhoeven ein wichtiger Regisseur und Autor ist. Als wir uns sehr jung kennen lernten, stand ich noch ganz am Anfang meiner künstlerischen Entwicklung und Michael machte gerade sein erstes Staatexamen in Medizin. Wir haben uns gemeinsam entwickelt und sind gemeinsam erwachsen geworden. Wir mussten uns keine Taktiken überlegen, um Seite an Seite zu gehen. Wir sind einfach zusammen gegangen. Wir haben gemeinsam gearbeitet, zusammen Filme produziert, darunter einige sehr gute. Dass die Schauspielerin vor der Kamera mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt als der Regisseur hinter der Kamera liegt in der Natur der Sache. Manches Mal war es auch umgekehrt. Ich habe Michael oft zu ausländischen Festivals begleitet und zu seinen Pressekonferenzen. Da wurde ich dann auch schon mal gefragt: Und was machen Sie? Are you in the business too?
Bei künstlerischen Berufen wie Ihrem ist es ja so, dass mit dem zunehmenden Alter die Pension nicht als Ausweg aus einer lebenslangen Arbeitsanstrengung gesehen wird, sondern mit den Jahren wird auch die Kunst reicher. Je mehr eine Schauspielerin an Lebenserfahrungen zu bieten hat, desto eindrucksvoller kann sie Charaktere darstellen. Denken Sie an einen Rückzug aus Ihrem Beruf?
Wissen Sie, dass ich gerade 16 war, als ich in dem Heimatfilm „Die Lindenwirtin vom Donaustrand“ mit Hans Moser eine kleine Rolle spielte? Wie lange ist das her? Lange. Obwohl es mir manches Mal scheint, als wäre es gestern gewesen. Es ist an der Zeit, sich langsam aus dem Beruf zurückzuziehen. Der Beruf zieht sich auch vor einem zurück. Die möglichen Rollen für Frauen meines Alters werden selten – zumindest die, die mich interessieren.
Sie feiern in wenigen Tagen Ihren 80. Geburtstag und ich kenne Menschen, die sagen, dass man immer so leben sollte, als hätte man das Beste noch vor sich. Was könnte das bei Ihnen sein?
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