KURIER: Bei „Martha & Tommy“ hat eine Frau Regie geführt - Petra K. Wagner. Haben Regisseurinnen Ihren Erfahrungen nach mehr Sensibilität in der Gestaltung Frauenfiguren und -schicksalen als ihre männlichen Kollegen?
Senta Berger: Nein, diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Sie beobachten besser als Männer - das ist wahr. Deshalb gibt es auch immer mehr Produktionsleiterinnen, die bei der Zusammenstellung eines Teams ziemlich genau wissen, wer mit wem kann oder eben nicht, und wie Stimmung beim Drehen ist. Wenn ich daran denke, dass bis in die 80er Jahre Frauen vornehmlich in den Abteilungen Kostüm, Maske und vielleicht noch im Schneideraum gearbeitet haben und heute auf den Teamfotos, die man zur Erinnerung macht, mehr Frauen als Männer zu sehen sind - dann freue ich mich. Ich habe wichtige Arbeiten mit Regisseurinnen gemacht, aber nicht, weil sie Frauen waren, sondern sehr gute Regisseurinnen. Ich denke, das gemeinsame „Frau sein“ kann durchaus auch was Trennendes haben. Das muss nicht zu einer besseren Verständigung führen.
Was hat Sie an der Rolle der Martha und an diesem Filmvorhaben gereizt?
Mir hat die Geschichte der zwei Brüder gefallen. Sie ist ungewöhnlich und ich wollte sie miterzählen. Martha und Tommy haben ein Geheimnis, das sie nur zögernd preisgeben. Tommy ist mit seinem kleinen Bruder auf der Flucht vor dem Vater. Weil er die Probleme nicht anders zu lösen. Martha bereitet die Flucht aus ihrem Leben vor, weil sie keinen anderen Ausweg sieht. Es geht um Vergebung. Tommy kann seinem Vater nicht verzeihen, dass er ihm die Mutter genommen hat und Martha kann sich selbst nicht verzeihen, dass sie nicht an der Seite ihrer Tochter war, als die sie gebraucht hat. Man muss auch vergeben können, den anderen und sich selbst. Wobei das sicher das Schwerste ist.
Die von Ihnen gespielte Frau ist nach einem erfüllten Berufsleben als Ärztin im Ruhestand und hat nun mit Schuldgefühlen zu kämpfen, weil sie ihre Tochter zum Medizinstudium drängte, ohne auf deren künstlerische Ambitionen einzugehen. Gibt es da Parallelen zu Ihrem eigenen Leben? Hatten Ihre Eltern auch einen sogenannten „anständigen Beruf“ für Sie im Sinn?
Ich seh‘ das anders. Martha war Ärztin in Entwicklungsländern wie zum Beispiel in Eritrea oder im Jemen. Sie hat mit Hingabe gearbeitet und all ihre Kraft und Zeit dafür gegeben. Ohne zu merken, dass ihre Tochter zuhause mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommt. Daraus besteht ihre Schuld und ihr Versagen. Nun möchte Martha, obwohl sie von Musik so gut wie nichts versteht, die musischen Vorhaben ihrer Tochter zu verwirklichen.
Hätten Ihre Eltern auch Sie lieber in einem bürgerlichen Beruf gesehen?
Nein, es war ziemlich klar von frühester Kindheit an, dass ich einen künstlerischen Beruf ergreifen würde. Ich bin ja schon mit 7 Jahren mit meinem Vater gemeinsam aufgetreten. In kleinen Theatern, Varieté-Bühnen oder auch in Wirtshaussälen. Mein Vater saß am Klavier und ich habe getanzt. Mein Vater hatte am Wiener Konservatorium Musik studiert. Es gibt auch einige Aufnahmen mit ihm als Dirigent des Rundfunkorchesters. Aber er konnte nie von der Musik leben. Trotzdem hat er mich sehr ermutigt, die Aufnahmeprüfung an Reinhardt Seminar zu versuchen. Meine Mutter, praktisch wie sie war oder sein musste, hätte gerne gesehen, dass ich die Matura mache. Aber mit 17 wurde ich an das Theater in der Josefstadt engagiert und meine Mutter gab mir ihren Segen.
Gerade Künstler wollen ihre Kinder oft davon abhalten, ebenfalls eine künstlerische Laufbahn anzustreben, weil sie wissen wie hart dieses Leben sein kann. Wie war das bei Ihren Söhnen, die ja beide beim Film gelandet sind?
Bei Simon war es immer klar, dass er in unseren Beruf gehen würde. Er hat schon als Kind ganze Filmgeschichten als Comics gezeichnet und mit 11 sein erstes Theaterstück geschrieben. Luca hat durch ein Praktikum bei verschiedenen Filmfirmen, unter anderem bei unserer eigenen, der „Sentana Film“, in die Abteilung Produktion hineingeschnuppert und ist dann dabeigeblieben. Zuletzt hat er „Grüner wird`s nicht“, den Kinofilm mit Elmar Wepper produziert. Eigentlich bin ich froh, dass beide in einer Branche arbeiten, die meinem Mann (Regisseur Michael Verhoeven, Anm.) und mir sehr vertraut ist. Da können wir auch mal einen Rat geben - wenn wir gefragt werden.
Könnten Sie sich auch in einem anderen Beruf vorstellen? Und wenn ja – in welchem?
Nein. Am Anfang meines beruflichen Lebens spielte ich in einigen sehr seichten Musikfilmen und hatte das Gefühl, dass ich brach liege, mich nicht weiter entwickeln kann. Da hatte ich Gedankenspiele in der Art, die Matura nachzumachen und Germanistik zu studieren. Aber im Grunde hab‘ ich schon damals verstanden, dass Schauspielen der einzig richtige Beruf für mich ist und meine besten Eigenschaften hervorbringt: Fantasie, Mut, Neugierde, Disziplin.
Spielen Sie lieber Rollen, für die es Bezüge zu Ihrem eigenen Leben gibt, oder stellen Sie lieber Frauen dar, bei denen Sie sich auf völlig neue und vielleicht sogar konträre Charakterzüge einlassen müssen?
Die Rollen, die ich spiele, haben nie etwas mit meinem wirklichen Leben zu tun. Die Eva Prohacek in „Unter Verdacht“ war eine besondere Freude für mich, weil sie völlig anders als ich war. Äußerlich und innerlich. Ich konnte mir viele Sachen für diese Rolle ausdenken
Von der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown sind künstlerische Unternehmungen besonders betroffen. Kinos und Theater wurde rigoroser gesperrt als Restaurants und Ski-Pisten. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich habe mir erklären lassen, dass nicht das Publikum im Zuschauersaal das Problem ist, sondern die Mobilität der Leute, um an die Veranstaltungsorte zu kommen. Ein sehr wackeliges Argument - wenn wir die überfüllten Parkplätze und Staus auf den Straßen der Skigebiete sehen. Es geht um die Wirtschaft – und das ist ja auch richtig so. Aber der Wert unserer Kultur lässt sich nicht in Zahlen fassen. Es gibt und gab Regierungen, die große Wertschätzung für die Kultur ihres Landes hatten. Wie zum Beispiel Bruno Kreisky. Politiker wie ihn vermisse ich heute.
Was werden Sie als erstes tun, wenn die Pandemie aufgrund von Impfungen etc. wieder im Griff ist?
Ich komm‘ nach Wien und geh‘ gleich ins Kaffeehaus, bestell‘ mir einen großen Braunen und les‘ Zeitung.
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