Grenzerfahrungen der Gegenwartskunst
Das Schwarzweißfoto zeigt zunächst einmal Gestrüpp. Nicht der Rede wert, wäre da nicht auch ein Stück eines Zauns: Der französisch-amerikanische Künstler Mikael Levin machte das Bild 2015 an der „Demilitarisierten Zone“, die Nord- von Südkorea trennt, kurz DMZ genannt. Er stellte es zuerst als Teil der Kunstinitiative „Real DMZ Project“ aus. Dessen Initiatorin Sunjung Kim hat die Bildserie nun in die Wiener Secession gebracht.
Schatten der Ereignisse
„Forms of the Shadow“, Formen des Schattens, heißt die von der koreanischen Kuratorin gestaltete Gruppenausstellung (bis 17.11.), die eine sehr zentrale Frage der Auseinandersetzung der Kunst mit der Realität aufwirft: Wie zeigt man das Nachwirken von schockierenden, emotional besetzten Ereignissen, wenn vordergründig nicht mehr wirklich etwas zu sehen ist? Was kann die Kunst hier leisten, wenn sie sich nicht damit zufriedengeben will, dass manche Dinge einfach „unvorstellbar“ bleiben?
Dass die Ausstellung sich nicht ganz leicht erschließt, mit etwas Erklärung und Zeit aber doch sehr starke Statements zur Entfaltung bringt, ist bei dieser Ausgangslage wenig verwunderlich.
Der Titel nimmt auf jene „Schatten“ Bezug, die Ereignisse werfen – auch wenn deren Intensität, etwa im Krieg, einem Blitz gleichkommt, der keine Schatten zulässt, wie es im Katalog heißt.
Die Kuratorin wollte das Thema dabei nicht auf die Situation in Korea beschränkt wissen. Dennoch ist die „Demilitarisierte Zone“ als Land gewordene Spur eines bis heute schwelenden Konflikts der Fluchtpunkt ihres Denkens: Als der Koreakrieg 1953 endete – formell gibt es bis heute nur einen Waffenstillstand – wurde entlang des 38. Breitengrades eine 248 Kilometer lange, vier Kilometer breite Sperrzone geschaffen. Kurioserweise entwickelte sich der in Summe rund 1000 Quadratkilometer breite Landstrich zu einem Refugium der Artenvielfalt – anders als Menschen migrieren Tiere weitgehend ungestört.
Kraniche im Minenfeld
Die Ausstellung nimmt auf diesen Umstand oft Bezug – etwa in dem zusätzlich zur Secession genutzten „Korea Kulturforum“ (Kärntnerstr. 43, Eingang Krugerstraße). Dort zeigt Künstlerin Young In Hong aus Rattan geflochtene Schuhe für Kraniche – gewissermaßen als Ausrüstung für den Weg über die Grenze.
Parallel läuft eine TV-Show, die die Künstlerin Minouk Lim vor dem Vergessen bewahrte: 1986 holte das koreanische Fernsehen 138 Tage lang Menschen vor die Kamera, deren Familien durch die Teilung zerrissen worden waren. Im Eiltempo – heute würde man „Speeddating“ sagen – mussten sie ihre oft herzzerreißenden Geschichten erzählen, 10.000 Zusammenführungen gelangen dadurch – viele aber auch nicht.
Es bleibt die Frage, wo Erkenntnisse aus einer so speziellen Situation wie jener Koreas auch andere Konfliktpunkte der Welt klarer sehen lassen. Die Auswahl Kims suggeriert das etwa mit Landschaftsaufnahmen der Japanerin Tomoko Yoneda, die Orte mit düsterer Geschichte zeigen, oder mit einem Video der Otto-Mauer-Preisträgerin Nilbar Güres, die auf die kurdisch-türkische Region blickt, der ihr Vater entstammt.
Nicht alles fügt sich ins Konzept, und doch streicht die Schau den Wert des künstlerischen Blicks hervor: Im Detaillierten, auch Rätselhaften lassen sich jene Schattierungen erkennen, die im Blitz- und Scheinwerferlicht unsichtbar bleiben.
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