"Die Gwangju-Biennale ist eine Wiedergutmachung", sagt Lim Gil-Taek. Dem städtischen Archivar ist es spürbar ein Anliegen, dass Besucher der 1,5 Millionen Einwohner zählenden Stadt im Südwesten der koreanischen Halbinsel die Bedeutung des Ortes verstehen: Am 18. Mai 1980 erhob sich hier eine von Studierenden getragene Protestbewegung, die von der Militärregierung, die das Kriegsrecht verhängt hatte, brutal niedergeschlagen wurde – es gab mehr als 200 Todesopfer.
"Es war das beschämendste Ereignis in der jüngeren Geschichte Koreas“, sagt Lim. „Aber auch der wichtigste Katalysator für die Demokratisierung unseres Landes."
Das einstige Militärgelände im Stadtzentrum ist heute ein Park, ein Denkmal erinnert dort mit schwülstiger Ästhetik an die Ereignisse. Seit 1995 versucht die Stadt dazu den Anschluss an die Welt der zeitgenössischen Kunst. Und sie ist auf Expansionskurs.
Wie bei der Biennale-Urversion in Venedig werden seit 2018 Länder zum Mitmachen animiert: Nach zuletzt sieben Beiträgen sind bei der heurigen 15. Ausgabe 30 Länder dabei – darunter Österreich mit einer Installation der Künstlerin Liesl Raff. 2026 sollen es dann schon 70 Beiträge werden, die Stadt will dazu eigene „Pavillons“ bauen.
Wie in Venedig gruppiert sich das Geschehen in Gwangju um eine zentrale Ausstellung. Der französische Kurator Nicolas Bourriaud zeichnet heuer dafür verantwortlich, er hat sich als Motto den Begriff „Pansori“ ausgeborgt: Er bezeichnet eine traditionelle koreanische Form des musikalisch-erzählerischen Vortrags, lässt sich wörtlich aber als „Klang eines Ortes, an dem viele Menschen zusammenkommen“ übersetzen.
Entlang der Idee, die Klänge, Bilder und Räume immer wieder in Bezug setzt, gelingt Bourriaud eine geschickt komponierte Schau, die in ihrer Künstlerauswahl aber wenig Korea-Bezug aufweist und genauso in jeder anderen Stadt stattfinden könnte. Immer wieder aber geht es um öffentliche Orte, um Rituale und um die Hörbarkeit verschiedener Stimmen, wobei sich immer wieder globale Perspektiven mit kleinen, privaten abwechseln.
Da ist der karibische Künstler Dominique Knowles, der mit einem riesigen Wandbild den Verlust seines Pferdes betrauert. Oder die israelische Künstlerin Netta Laufer, die in ihrer Installation Bilder von Überwachungskameras aus der West Bank und dem Gazastreifen arrangiert und zeigt, wie Tiere dort relativ unbehelligt leben. „Das gibt mir Hoffnung, den Irrsinn in Israel durchzuhalten“, sagt sie.
„Club Liaison“
Der Österreich-Beitrag von Liesl Raff fügt sich gut in das Konzept ein: Auch bei ihr geht es um alternative Möglichkeiten, sich zu versammeln, um Rituale und um Darbietungen. Die Künstlerin gestaltete einen Schauraum in Gwangju, der sonst als kleines Privatmuseum dient, mit Vorhängen aus lila gefärbtem Latex.
Die organische, weiche Qualität des Materials, das Schummerlicht und nicht zuletzt der Geruch ergeben dabei ein Ambiente, das gleichermaßen Versteck und Bühne ist. Ein Performanceprogramm – bei der Eröffnung gab der Sänger Alex Franz Zehetbauer eine famose Darbietung – streicht die Nähe zu Cabarets und Underground-Clubs hervor.
Südtirol
Deutschland transferierte dagegen eine Almhütte als Versammlungsort nach Gwangju, passenderweise ins dortige Volkskundemuseum – inklusive gemütlicher Sitzecke und Neon-Lagerfeuer. Ausgangspunkt ist ein Austauschprogramm, das seit 2018 koreanische Künstlerinnen und Künstler in die Südtiroler Dolomiten holt. Sie bauten etwa rustikale Kuckucksuhren und Möbel zu traditionellen koreanischen Musikinstrumenten um. In einer konzertanten Aufführung rattern dazu dann kleine Figuren über den Boden, wie man sie in den zahllosen Shoppingmalls aus blinkenden Automaten ziehen kann.
Der harsche Kontrast zwischen solchen Kunstaktionen und dem rastlosen, konsumgetriebenen koreanischen Alltag lässt sich nicht übersehen. Als Renommeemaschinen für Künstlerlaufbahnen und als Verstärker für Repräsentations- und Standortinteressen sind Biennalen zweifellos ein probates Mittel. Für den angereisten Besucher bleibt aber doch die Frage offen, wo sie an andere Realitäten andocken.
Kassel goes Korea
Besonders offensichtlich wird das in der Hafenmetropole Busan, drei Autostunden von Gwangju entfernt. Auch hier gibt es eine Biennale, sie erinnert sehr stark an die documenta von 2022 in Kassel, die dem „Globalen Süden“ eine Stimme geben wollte und sich dann wegen antisemitischer Inhalte ins Knie schoss. Das indonesische Kollektiv Taring Padi, damals Auslöser des Konflikts, grüßt hier mit Schweinsnasen-Darstellungen gleich am Beginn der Hauptschau.
Als österreichischen Beitrag hat das Medienkunst-Duo Ubermorgen (sic!) eine kleine Dystopie für Busan entworfen. Die Installation mit digital überdrehtem Kitsch, deren komplexer Überbau sich vor Ort nicht erschließt, findet sich in einem schönen alten Haus, das aber dem Verfall preisgegeben ist. Daneben werden schon neue Exemplare der Wohntürme hochgezogen, die das Stadtbild bestimmen.
Die wirtschaftsgetriebene Rasanz Koreas lässt die alternativen Räume des Innehaltens, die zeitgenössische Kunst vorschlägt, reichlich exotisch wirken – denn Kultur heißt für viele, die hierherkommen, zunächst einmal Spektakel. Jeden Samstag tanzt ein Drohnenballett über der Bucht Busans, in der „Centum City“ – der Zukunftsstadt, die alles kann – steht die weltgrößte Shopping Mall, daneben das Kinozentrum. Es ist ein riesiger Pavillon, dessen Dach ein einziger großer LED-Screen ist. Geplant wurde der Bau vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au. Es ist also auch gewissermaßen ein österreichischer Kulturexport.
Die Reise des KURIER wurde von Phileas – The Austrian Office for Contemporary Art in Kooperation mit der Koreanischen Zentrale für Tourismus (DE) und mit Unterstützung von Frieze Seoul, der Gwangju Biennale sowie der Busan Biennale organisiert.
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