Scorsese, De Niro und Pacino: "Wir sind eine alte Familie"
Martin Scorsese (76), Robert De Niro (76), Al Pacino (79) und Joe Pesci (77) machen in „The Irishman“ das, was sie am besten können: Mafia spielen.
Mit dabei: Leute umbringen, Deals machen, Leichen verschwinden lassen.
Dass sich vom Film niemand etwas Neues erwarten durfte, war von vornherein klar. Dass sie 3 Stunden 40 Minuten brauchen, um alte Geschichten filmisch aufzubereiten, ist durch die wunderbare Erfindung von Netflix durchaus auszuhalten – man kann sich die Saga ja in Teilen anschauen. Was schon zu erwarten war: dass die alten Herren für ihr angeblich allerletztes gemeinsames Abenteuer in der Welt der Mobster eine Oscarnominierung bekommen.
Wenn auch nicht jeder einzelne. De Niro ging leer aus, die anderen werfen sich in ihre Smokings. Im Interview kommt er neben Pacino und Scorsese aber auch zu Wort.
KURIER: Mr. Scorsese, viele Regisseure Ihrer Generation und Ihres Status weigern sich aus cineastischen Gründen, große Filme für ein Streamingservice wie Netflix zu machen. Hatten Sie Bedenken?
Martin Scorsese: Nein. Denn Bob De Niro und ich versuchten seit Jahrzehnten, wieder etwas so Großes zu machen. Das letzte Mal war „Casino“, und das war 1995. Die Idee für „The Irishman“ kam uns 2010. Der Film war fast allen zu teuer. Nur nicht Netflix. Die sagten, okay, der Nachteil ist, dass ihr nur ein paar Wochen im Kino seid, und danach nur noch im Streaming. Aber der Vorteil ist: Wir unterstützen euch finanziell. Und ich muss sagen, so frei habe ich mich noch nie gefühlt wie bei der Arbeit an diesem Film.
Mr. De Niro, Sie spielen Frank Sheeran, eine Figur, die es tatsächlich gegeben hat. Nur dass er Jimmy Hoffa umgebracht hat, bestreiten Historiker. Lassen Sie sich von der Wahrheit beeinflussen, wenn Sie sich auf eine Rolle vorbereiten?
Robert De Niro: Nein, und es gibt vermutlich weitere Theorien. Wir wollten hier nur eine Geschichte erzählen, und dass Sheeran Hoffas Mörder ist, war plausibel genug. Die Wahrheit kennt bis heute keiner.
Mr. Pacino und Mr. De Niro, Sie kennen einander schon ewig, haben aber nicht sehr oft miteinander gearbeitet. Mr. DeNiro hat neunmal mit Martin Scorsese gedreht. Mr. Pacino, für Sie war es das erste Mal. Wie war das?
Al Pacino: Ich habe Bob auf der 14. Straße zwischen Avenue B und C (in New York, Anm.) kennengelernt, durch meine damalige Freundin Jill Clayburgh, die mit ihm in einem Film von Brian de Palma war. Ich verdanke ihm nicht nur jahrzehntelange Freundschaft, sondern auch diese Rolle in „The Irishman“, weil er es war, der das Projekt vorangetrieben hat und Marty Scorsese überredet hat, mir die Rolle zu geben. Und es ist großartig, dass ich nun mit Marty drehen konnte.
De Niro: Ja, Al und ich kennen einander, seit wir in unseren 20ern waren, und wir haben oft darüber gesprochen, dass wir eines Tages etwas zusammen machen wollen. Aber wir wussten auch, dass es besser etwas wirklich Großes ist.
Scorsese: Für mich war wichtig, dass alle drei Schauspieler die Welt verstehen, in der wir hier drehen. Und wir – mich eingeschlossen – sind alle aus New York, und wir haben alle Migrationshintergrund, wenn auch nicht wir selbst die Einwanderer sind, sondern unsere Eltern und Großeltern. Al, Bob, Joe und ich kennen die Art von Leuten, über die wir unsere Geschichten im Kino erzählen. Wir kennen die Situationen, die Gesten. Wir wussten schon als Kinder, dass wir lieber abhauen, wenn einer den anderen mit einem gewissen Blick ansieht.
Die Darsteller spielen dieselben Figuren in zwei verschiedenen Epochen, in Rückblenden sind alle 30 Jahre jünger. Gab es da nicht die Angst, dass das unglaubwürdig wirkt?
Scorsese: Ich hatte anfangs die Überlegung, jüngere Schauspieler für die jüngeren Szenen zu engagieren, habe die Idee dann aber wieder verworfen. Dann kam ein Effekt-Spezialist auf mich zu und meinte, kein Problem, wir können das alles digitalisieren. Aber das hätte bedeutet, dass die Darsteller mit komischen Anzügen und Sensoren vor einem Bluescreen agieren hätten müssen, und ich sagte, nein, das geht nicht. Bob, Al und Joe rennen nicht mit Helmen und Tennisbällen und Drähten auf dem Set rum. Wir haben es hier mit Weltklasseschauspielern zu tun, und auch Computereffekte und Make-up haben sich so weit entwickelt, dass es möglich war, sie glaubwürdig jünger aussehen zu lassen. Natürlich ist es nach wie vor leichter, einem jungen Schauspieler Altersmakeup aufzumalen, als einen alten Schauspieler zu verjüngen.
De Niro: Ich scherze jetzt immer, dass „The Irishman“ mir weitere 30 Jahre Karriere geschenkt hat. Und wir hatten einen Bewegungs-Coach, der dafür gesorgt hat, dass wir nicht wie alte Männer gehen, wenn wir in den jüngeren Szenen waren. Ich bin mal vorsichtig die Stiegen runtergegangen, und er hat gesagt, so geht ein 69-Jähriger, ein 39-Jähriger springt runter. Und ich hüpfte perfekt, aber Marty hat das dann rausgeschnitten!
Sie spielen den titelgebenden Iren. Haben Sie, neben den italienischen, irische Wurzeln?
De Niro: Ich versuche seit Jahren, das herauszufinden. Einige Fans haben recherchiert und behaupten, dass ein Teil meiner Familie aus Tipperary stammt.
Sie sind alle Italoamerikaner, aber nur Mr. Pesci spielt auch einen. Sie, Mr. Pacino spielen Jimmy Hoffa, der jüdisch war. Wie haben Sie diese Rolle recherchiert?
Pacino: Es gibt über Hoffa jede Menge Dokumentationsmaterial, das hat mir sehr geholfen. Am überraschendsten fand ich, wie populär er war. Nur der Präsident war noch populärer als er, der Gewerkschafter. Dass er jüdisch war, war wichtig, weil er deshalb so schlecht behandelt wurde, als er im Gefängnis war. Und die daraus resultierende Verachtung seinerseits war ein Schlüssel zur Rolle.
Mr. Scorsese, wie viel Nostalgie war dabei, als Sie den Film gedreht haben?
Scorsese: Nostalgie ist vielleicht zu oberflächlich, was den Film selbst betrifft. Nostalgie ist mehr das Wort, das ich für Bob und Al und Joe verwenden würde. Wir sind eine alte Familie.
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