An der Scala glänzt das "Rheingold" viel mehr als in München
Dominique Meyer, der langjährige Intendant der Wiener Staatsoper und nunmehrige Chef der Mailänder Scala, wollte immer schon Richard Wagners "Ring des Nibelungen" an einem bedeutenden Opernhaus in einer Neuproduktion herausbringen.
Nach seiner Bestellung in Wien hatte er sich sofort mit diesem Gedanken getragen - da kam ihm die Planung seines Vorgängers Ioan Holender in die Quere, der schon einen "Ring" in der Regie von Sven-Eric Bechtolf konzipiert hatte.
"Rheingold" an der Scala in Mailand
Kaum in Mailand designiert, machte sich der Franzose an die Vorbereitung eines neuen "Ring" für die Scala, den letzten gab es dort vor mehr als zehn Jahren mit Daniel Barenboim am Pult. Meyer engagierte Christian Thielemann als Dirigent, der - neuer Musikdirektor der Berliner Staatsoper - aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absprang. Und auch das Ende des neu zu schmiedenden "Ring" wird Meyer nicht mehr in der Funktion des Intendanten mitverfolgen - aus politischen Gründen wird er als Nicht-Italiener vorzeitig von der Rechts-Regierung verabschiedet.
Ein Fluch liegt also über dem "Ring", nicht nur über jenem von Alberich, sondern auch dem von Dominique Meyer.
Was jedoch am Montag im berühmtesten Opernhaus der Welt beim Auftakt zur Tetralogie, bei "Rheingold", zu erleben war, verdient das Prädikat fabelhaft - eine solche Produktion können sich andere Theater nur wünschen.
Simone Young, eben erst zur Dirigentin des Jahres gewählt, ist für Thielemann eingesprungen - und sie begeistert in Mailand völlig anders, aber genauso, wie sie in diesem Jahr schon in Bayreuth (als Einspringerin für Philippe Jordan) begeistert hatte.
Das Scala-Orchester hat freilich eine gänzlich andere Klangkultur und Tradition als jenes am Grünen Hügel, aber die Mischung aus wagnerianischer Schwere und Intellektualität sowie italienischer Leichtigkeit und Spielfreude ist mitreißend. Das "Rheingold"-Vorspiel hebt so zart und reduziert an, als handle es sich um Minimal Music. Die Zwischenspiele sind grandios musiziert, farbenprächtig und mächtig. Young weiß als Vollprofi mit den Sängern zu atmen, wunderbare Akzente zu setzen, mit stets logischen Accelerandi und Ritarandi für größte Differenzierung zu sorgen. Dieses "Rheingold" ist klanglich ausgefeilt, mit südlicher Würze und Frechheit aufgepeppt und insgesamt dirigentisch viel besser als jenes tags zuvor in München, wo Vladimir Jurowski am Pult des Bayerischen Staatsorchesters stand.
Auch sängerisch punktet Mailand im direkten Vergleich mit München, man kann fast von einer Referenz-Besetzung sprechen.
Michael Volle ist (wie zuletzt bei der Neuproduktion der Berliner Staatsoper oder auch schon bei der "Rheingold"-Wiederaufnahme an der Scala im Jahr 2013) der Wotan und weiterhin ein herausragender Gestalter mit Kraft, Noblesse, Wortdeutlichkeit und schöner Phrasierung. André Schuen (Donner) und Siyabonga Maqungo (Froh) sind sehr gute Götter an seiner Seite, Norbert Ernst ist weiterhin ein enorm präsenter Loge, hatte stimmlich aber nicht seinen besten Tag bei dieser Premiere. Olafur Sigurdarson ist - wie zuletzt in Bayreuth - ein geradezu idealer Alberich, darstellerisch wandlungsfähig und gesanglich ausdrucksstark. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Mime sowie Jongmin Park als Fasolt und Ain Anger als Fafner sind Top-Besetzungen. Okka von der Damerau singt die Fricka dramatisch und sehr schön, Olga Bezsmertna die Freia solide, Christa Mayer die Erda routiniert. Die Rheintöchter (Andrea Carroll, Svetlina Stoyanova und Virginie Verrez) komplettieren das exquisite Ensemble.
Klassische Oper trifft Herr der Ringe
Die Inszenierung hat Meyer in die Hände von David McVicar gelegt, einem Routinier mit großer klassischer Kenntnis, Geschmack und ästhetischem Bewusstsein. Dieses "Rheingold" ist klar und linear erzählt, optisch von der nordischen Mythologie, aber auch von der Kunstgeschichte, etwa der spanischen Malerei beeinflusst und eine Traditionsarbeit im besten Sinne. Die Götter sind ermüdet, weil Freia, die Göttin der goldenen Äpfel, von den Riesen festgehalten wird - ein Aspekt, den die meisten Regisseure übergehen. Die Verwandlungen des Alberich gelingen mit großen Figuren, die von Statisten geführt werden, zauberhaft, auch viele Masken werden von McVicar raffiniert eingesetzt. Das Rheingold selbst wird von einem grandiosen Tänzer gespielt, um den es am Ende schlecht bestellt ist. Klassische Oper trifft hier auf den Herr der Ringe - das Ergebnis ist ein Schaustück erster Güte mit präziser Personenführung. Selbst Einsteiger sollten diesmal die Geschichte verstehen, was ja mittlerweile die Ausnahme ist - ein Märchen, bei dem Riesen Riesen und Zwerge Zwerge sein dürfen und das gut in die Scala passt.
Auch in dieser Hinsicht hat Mailand im Vergleich zu München zumindest vorerst die Nase voraus.
Die Zeit der Groß-"Ringe" ist aber noch nicht vorbei, die Salzburger Osterfestspiele legen ab 2026 los, in Bayreuth kommt 2028 wieder ein neuer "Ring", und auch an der Wiener Staatsoper dürfte sich diesbezüglich einiges tun.
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