Eine Kindertotenoper: Beklemmende "Alma"-Uraufführung an der Volksoper
Zutiefst traurig und absolut sehenswert: „Alma“ an der Volksoper erzählt das Leben der Muse Alma Mahler-Werfel als bittere Leidensgeschichte mit eindrücklicher Musik.
Die Neue Musik hat ein Hauptproblem: Sie massiert oft den Intellekt, bietet faszinierende Klangerlebnisse und erfreut sich an ihrer eigenen Konstruktionsgescheitheit. Sie erreicht aber beim Publikum nicht jene Grundemotionen, an denen die Oper historisch auf besonders erfolgreiche Weise so lange herumgedrückt hat, bis sie im Finale aus den Menschen herausgeplatzt sind. Sie stimuliert, kurz gesagt, das Hirn, nicht das Herz.
Umso phänomenaler ist das, was nun mit „Alma“ an der Volksoper Wien gelungen ist: Das Werk rund um die Jahrhundertwende-Übermuse Alma Mahler ist vielleicht eines der genuin traurigsten, beklemmendsten Dinge, die man auf der Bühne derzeit sehen und hören kann. Und ja, das ist als vehementes Lob gemeint.
Alma Mahlers (1879-1964) Glanz und Gloria – als Salondame, als Muse und heiß umfehdete Affäre von Künstlern wie Werfel, Kokoschka, Gropius im Wien des Fin de Siècle – ist viel beschrieben, das kennt man bis ans Ende, auch ihre dunkle, antisemitische Seite.
Diese neue Oper nun erzählt etwas ganz anderes: vom bitteren, eigentlich unerträglichen Schmerz Almas angesichts des Todes ihrer Kinder. Und vom künstlerischen Todesurteil, das Gustav Mahler über sie gesprochen hat – er verbat ihr, hier mit düsterstem Bassgeknarze unterlegt, als seine Frau weiter selbst zu komponieren.
Die Oper von Ella Milch-Sheriff (Musik) und Ido Ricklin (Libretto) entreißt damit Alma, es war längst an der Zeit, auch der Problemmännersicht – und erzählt ihr Leben als Frauenleben, als umgekehrte Entwicklungsgeschichte: Wie aus einer hochtalentierten Frau durch gesellschaftlichen Druck, innere Leere und den Horror des Kindstodes eine gebrochene, erniedrigte, verzweifelte Leidende wird.
Der Abend war ein Triumph für Annette Dasch: Sie steht als Alma fast die ganze Dauer – an die zweidreiviertel Stunden mit Pause – auf der Bühne, glänzt stimmlich, emotional und darstellerisch: Mahler-Werfel wird von der hässlichen, versoffenen Frau beim Tod ihrer am meisten geliebten Tochter Manon zurückerzählt bis zum ehrgeizigen Jungtalent, das für die (dann natürlich unglückliche) Ehe mit dem Genie Gustav Mahler das eigene Schaffen in einem Todesfeuer verbrennt. Dasch zieht dafür schichtweise, von Kindstod zu Kindstod, eine Art „Fat Suit“ aus, der hier den Verfall des weiblichen Körpers ausformt.
An ihrer Seite – und am Schluss zurecht ebenso umjubelt – Annelie Sophie Müller als Anna Mahler, das einzige überlebende Kind, das Alma Mahler auf dieser Reise bis an den Anfang in Zwiesprache begleitet.
Das Ungeborene singt
Auf der Bühne eine Art Geisterbahn; wenn gerade wieder ein Kind gestorben ist, fährt ein Wagerl die im Halbkreis verlegten Schienen entlang und holt es ab. Darüber ein glashausförmiger Universalbau, in dessen graue Architektur die Stationen Almas – ihr berühmter Salon, die Wiener Staatsoper, wo sie Gustav kennenlernt – hineinprojiziert werden.
Die Oper nun widmet sich in fünf Akten je einem toten Kind. Als Letztes muss Alma Schindler sterben, jene hoffnungsvolle junge Frau also, die ihre Seele Gustav Mahler opfert. Es stockt einem öfters der Atem. Etwa, wenn ein ungeborenes, abgetriebenes Kind singt – wohl eine Premiere in der gesamten Bühnengeschichte. Jenes von Oskar Kokoschka nämlich, als obsessiver Alma-Narr dargestellt von Martin Winkler. Alma Mahler zerstört, aus seiner Sicht, dessen größtes Werk, das Ungeborene (Hila Baggio), das hier blutüberströmt mit riesiger Nabelschnur besingt, dass es im Mutterleib zerkratzt wird.
Eine surreale Szene, bei der man sich vielleicht einen feineren Inszenierungspinsel gewünscht hätte. Ruth Brauer-Kvam arbeitet zu Beginn – beim Auftritt Manons (Lauren Urquhart), beim Chor, der im Zuschauerraum auf voller Lautstärke singt – mit vordergründigem Gestaltungswillen.
Im Laufe des Abends aber tritt die Regiearbeit in den Dienst der Oper und findet viele sensible Bilder – und, wo nötig, auch derbe. Besonders erschütternd der Tod von Gustav Mahlers heißgeliebter erster Tochter, Maria: Ein kleines, energetisches Mädchen – Victoria Schnut aus dem Kinderchor – erschlafft plötzlich in des Vaters (stimmpräsent: Josef Wagner) Armen.
Schon zuvor hatte das unzugängliche Genie ausgerechnet „Kindertotenlieder“ geschrieben, klagt Alma. „Alma“ ist eine Kindertotenoper.
Auch Countertenor Christopher Ainslie als von Alma Mahler verstoßenes Affärenkind von Franz Werfel (Timothy Fallon), Martin, berührt: Er besingt die Freude zu leben, den unerträglichen Kopfschmerz, den eigenen Tod.
Kaleidoskop
Aus dem Graben kommt, unter der hervorragenden Leitung von Omer Meir Wellber, ein Kaleidoskop der Musiken der Wiener Jahrhundertwende. Es wagnert, als Alma Manon aus dem Totenreich bittet wie Klingsor Kundry im „Parsifal“. Es mahlert, natürlich. Es gibt ideologiebefreite Neue Musik, die Dramatik besonders gut kann, die unterhält und zum Mitleiden verführt. Es gibt zeitgebundene Zitate wie das von den Nazis missbrauchte Volkslied „Im Frühtau“, das hier nicht „zu Berge“, sondern zur Eroberung Almas durch Kokoschka führt. Es ist neue Musik auch für jene, die Neue Musik sonst ablehnen.
Apropos Ablehnung: Am Schluss gab es viel, viel Jubel für alle Beteiligten, ein berechtigter Geburtsstolz. Denn das ganze Unterfangen ist mutig, die Volksoper geht hier an Grenzen. Gut so, und gut auch, dass hier in der Oper ermüdend die überstrapazierte Männerperspektive endlich mal ignoriert wird, auch wenn das nicht jedem gefallen wird.
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