Diesmal geht es nicht um Macht, sondern primär um Religion (also doch auch um Macht). Die unsterblichen Götter sind gelangweilte Kreaturen im historischen Gewand und sehen aus, als wären sie der Kostümwerkstatt von Monthy Python entsprungen. Die Rheintöchter sind Magierinnen im Street-Look, die viele Tricks parat haben, sich verwandeln können, etwa in eine Ziege oder in eine alte Frau. Und Alberich wirkt, als würde er im Falle einer Nicht-Wahl von Donald Trump mit anderen Gehörnten das Kapitol stürmen.
Sein Nibelheim ist eine Garage, in der er Waffen sammelt, Anschläge plant, etwa auf Kirchen - sein eigenes Unglück hat ihn wohl zur Terrorzelle und zum Verschwörungstheoretiker werden lassen. Zu Beginn der Oper will er sich erschießen, am Ende verliert er das Gold und jede Würde. Aber er sinnt auf Rache - ein bisschen wie die Trump-Fanatiker.
"Gott ist tot" steht auf dem Kirchenportal (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier), während die Orchesterwellen zum "Rheingold" anschwellen, aber auch alle Anderen sind hier nicht besonders lebendig.
Der Ansatz von Kratzer hat durchaus Potenzial: eine Analyse dessen, was passiert, wenn die alten Götter nicht mehr taugen und Religion zum Irrläufer wird. Aber leider verrennt er sich selbst in szenischer Brutalität, in allzu plakativen Effekten, es fließt viel Blut, ein Hund wird ermordet, Freia erhängt, der Ring dem Nibelungen vom Finger geschnitten, es wird inszenatorisch an allen Ecken und Enden gezündelt. Ein Tarantino-Movie auf der Bühne, aber ohne die Distanz und den Humor von Tarantino, daher eher ein Splattermovie.
Klanglich fabelhaftes Bayerisches Staatsorchester
Immerhin einmal wird es amüsant, nämlich wenn Wotan und Loge nach Nibelheim und zurück fahren: Da sieht man eine Weltreise der beiden, durch New York, vorbei an brennenden Kirchen, einen Flug im engen Passagierraum, eine Fahrt mit der U-Bahn - und bei der Rückreise will die Zollbeamtin Wotan wegen der mitgebrachten Kröte (der verwandelte Alberich) nicht über die Grenze lassen.
Schön ist das Schlussbild, wenn nicht Walhall, sondern ein Altar enthüllt wird, mit dem die Götter wie Statuen verschmelzen. Vielleicht wird das Ganze ab der "Walküre" besser - vor Vorabend zum "Ring" war keine szenische Glanzleistung.
Die musikalische Gestaltung durch das wunderbare Bayerische Staatsorchester war um vieles erfreulicher, wenn auch Musikdirektor Vladimir Jurowski manches verschleppte und die Spannungsbögen bei den Übergängen nicht auskostete. Seine raue Lesart näherte sich der Szenerie diesbezüglich zumindest an.
Klanglich ist das Orchester fabelhaft, "Rheingold", das 1869 in München uraufgeführt wurde, klingt farbenprächtig und fein ausbalanciert.
Wotan mit Power, solider Alberich
Aus dem Sängerensemble ragen Sean Panikkar als Loge im Existenzialisten-Outfit mit wunderbar geführtem, kraftvollen Tenor, Ekaterina Gubanova als schön und ausdrucksstark singende Fricka sowie Wiebke Lehmkuhl als erstklassige Erda heraus. Nicholas Brownlee ist ein Wotan mit viel Power, aber wenig Tiefe, sehr hell timbriert für diese Partie. Markus Brück singt als Alberich solide und turnt exemplarisch über die Bühne. Matthias Klink ist ein guter Mime, der auch seinen Hund auf der Bühne dauernd mit Leckerlis ruhigstellen will - vielleicht hätten Teile des Publikums auch welche gebraucht. Die Rheintöchter (Sarah Brady, Verity Wingate, Yajie Zhang), Freia (Mirjam Mesak), die Riesen (Matthew Rose, Timo Riihonen) sowie die anderen Götter (Milan Siljanov als Donner und Ian Koziara als Froh) singen adäquat.
Die Buhrufer blieben in der Minderheit - wie jene, die sich von einem neuen "Ring" mehr erwarten als Gewalt und großteils sängerisches Mittelmaß.
Kommentare