Riesenpenisse aus Stahl: Wie "toxisch" ist die Gegenwartskunst?
Huch, ein riesiger Penis!
Um Aufmerksamkeit zu erregen, ist ein erigiertes Geschlechtsteil stets ein verlässliches Werkzeug. Und so sorgte auch die Schlagzeile, wonach Studierende am renommierten Imperial College in London gegen die Aufstellung eines „Drei-Meter-Phallus“ auf ihrem Campus protestierten, jüngst für erwartbare Resonanz – auch wenn der dahinter stehende Konflikt schon seit Jänner schwelt und der Phallus in Wirklichkeit ein Metallblock ist, der in einer Skulptur des britischen Bildhauers Antony Gormley ein Knie repräsentieren soll.
Die Fehldeutung der Londoner Studierenden gibt dennoch mehr her als ein paar Lacher über die oft behauptete Hypersensibilität junger Menschen von heute: Sie berührt die Frage, ob die zeitgenössische Kunst, die sich doch vom klassischen Formenrepertoire der Machtrepräsentation lossagen wollte, wirklich offener, universeller und weniger korrumpierbar ist als die Welt jener Monumente, über deren Entfernung oder „Kontextualisierung“ seit Jahren heftig gestritten wird.
Für Letztere ist das Wiener Denkmal des Antisemiten Karl Lueger das prominenteste Beispiel in Österreich – international gibt es eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle, dabei stehen Kolonisatoren, Sklavenhändler oder Südstaaten-Generäle im Fokus.
Vergiftete Statuen
Bei einem Künstler wie Gormley ist die Sache mangels eindeutig erkennbarer Figuren abstrakter. Doch der hoch dekorierte Bildhauer wird nicht zum ersten Mal für etwas kritisiert, das der Theoretiker Dan Hicks als „toxische Monumentalität“ bezeichnet – analog zur viel gescholtenen „toxischen Männlichkeit“, mit der sie nicht zwingend, aber doch häufig korreliert.
Gerade der behauptete Universalismus der Figuren von Gormley und anderen Bildhauern seiner Generation würde demnach darauf abzielen, herrschende Machtstrukturen als naturgegeben darzustellen und sie in Stein, Bronze oder Gusseisen für die Ewigkeit zu konservieren.
Dass derlei Macht männlich dominiert ist, weiß in Österreich niemand besser als Erwin Wurm, dessen phallische Gurken-Plastiken seit 2011 nahe des Salzburger Festspielhauses zu bewundern sind (die Skulptur eines rückwärts überstreckten, ejakulierenden Mannes, mit dem die Gruppe Gelatin 2003 ganz in der Nähe skandalisierte, hielt es weniger lang am Standort aus).
Mächtige Würschtel
Der mächtige Macho wird bei Wurm und Gelatin ironisiert, auf seine Lächerlichkeit hinuntergeschraubt. Derartige Monumente – zuletzt zeigte Wurm bei der Galerie König in Wien aus Marmor gefräste Salzstangerl und Frankfurter Würstl von gut vier Metern Höhe – muss man sich aber auch erst mal leisten können. Der kopfstehende LKW, den Wurm 2017 vor dem Biennale-Pavillon in Venedig platzierte, hat wegen seiner Financiers heute einen Beigeschmack: Wurde er doch einst vom Unternehmer Siegfried Wolf bezahlt und in den GAZ-Werken des Oligarchen Oleg Deripaska gefertigt.
Skulpturale Marksteine
Formen und künstlerische Intentionen eines Werks im Außenraum verblassen so gut wie immer hinter den Bedürfnissen jener Individuen oder Gruppen, die sich damit ein Denkmal setzen wollen. Derart gestiftete Kunst ist in erster Linie territoriale Markierung, auch wenn die großmütige Rede von Mäzenatentum und „Kunst im öffentlichen Raum“ leicht davon ablenkt. Dieser Umstand stößt in der Kunstwelt allerdings nicht gerade auf Widerstand, denn er finanziert neben den ach so autonomen Ideengebern und deren Galerien auch eine große Infrastruktur aus Werkstätten und Lieferanten.
Falken und Fußball
Die Festspielstadt, in der die „Salzburg Foundation“ von 2001 bis 2011 Objekte aus dem Eigentum des Fabrikanten Reinhold Würth dauerhaft aufstellte, verblasst hier mittlerweile neben Katar, das im Vorfeld der Fußball-WM ein Skulpturenprogramm mit mehr als 100 „öffentlichen“ Kunstwerken installierte.
Am Flughafen von Doha werden Fans nun von einem riesigen Teddybären des Schweizers Urs Fischer begrüßt, ein müder Clown des Pop-Lieblings KAWS grüßt in einer weiteren Airport-Halle. Davor hat der Niederländer Tom Claassen die Skulptur eines Falken platziert. Das Who-Is-Who westlicher Kunststars fängt da erst an: Damien Hirst, Richard Serra oder Isa Genzken sind alle Teil der Kunst-Offensive des ölreichen Emirats. Ein riesiger blauer Hahn (englisch: „cock“) von Katharina Fritsch gehört ebenso zum Reigen der universellen Werke, die im arabischen Raum keine Empfindlichkeiten verletzen.
Die Frage, welche Art von Autorität mit solchen Markierungen sichtbar gemacht wird, bleibt Kunstschaffenden und ihrem Publikum dennoch nicht erspart: Denn natürlich darf sich nicht jede Person oder Gruppe ins Stadtbild einschreiben. Alternative Ansätze, die über „toxische Monumentalität“ hinaus gehen und die Idee des öffentlichen Raums ernst nehmen, gibt es indes viele. Und im Idealfall ist das Kunstfeld ein Übungsplatz der Demokratie.
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