Jeden Morgen kommt Wild Bill beim Hintereingang des Mohawk Grills hereingesaust und schaut, dass er ein paar Würstchen abstauben kann. Zu Weihnachten hat Harry ihm ein ganzes Frühstück mit Eiern, Speck und Pan Cakes gemacht. Hat er aber nicht so gut vertragen. Wild Bill ist nicht ganz richtig im Kopf, Harry ist der Einzige, der auf ihn schaut. Früher, sagt man, soll Bill ein ganz normaler Bursch gewesen sein.
Irgendwas muss passiert sein in dieser Kleinstadt, die einst dank ihrer Lederindustrie florierte. Langsam kommt man drauf, dass die Gerbereien und das verschmutze Wasser schuld daran sein könnten, dass die Krebsrate hier so hoch ist und vielleicht auch daran, dass Bill nicht ganz richtig ist. Forellen gibt’s im Fluss auch schon lange keine mehr. Das Leder ist unterdessen nicht mehr gefragt, die Gerbereien und Handschuhgeschäfte haben nach und nach alle entlassen. Man hat die Stadt vergessen.
Krisengebeutelte Kleinstädte sind seit „Mohawk“, dem 1986 auf Englisch und nun auf Deutsch publizierten Debütroman von Richard Russo, zur Spezialität des 1949 in Gloversville, New York, geborenen Schriftstellers geworden. Auch „Empire Falls“ ist so ein Ort, der schon bessere Tage gesehen hat. Für den gleichnamigen Roman, auf Deutsch unter dem Titel „Diese gottverdammten Träume“ erschienen, erhielt Russo 2002 den Pulitzer-Preis.
Mohawk ist eine Kleinstadt, deren Bewohner ihre Träume, die ohnehin nie besonders extravagant waren, begraben haben. Russo schreibt von trostlosen Diners, von schäbigen Häusern und von Menschen, deren Leben sehr überschaubar sind. Es ist das Jahr 1967 und wer hier jemals rausgekommen ist, war wahrscheinlich in Vietnam. Russo schreibt von Diana, der man ansieht, dass sie „ihr Leben damit zugebracht hatte, sich hintanzustellen“ und von Harry, der noch den Kalender vom Vorjahr verwendet, weil ja ohnehin nicht viel los ist.
Richard Russos Romandebüt ist ein gelungenes Porträt einer tristen Kleinstadt, in der unternehmerische Gier und politisches Versagen dem Populismus den Boden bereiten. Hier sind sie zu Hause, die Wohlstandverlierer und die Alleingelassenen. Atmosphärisch dicht, wirkt dieses Provinzporträt wie angelegt auf ein Drehbuchformat. Zu Herzen gehend, aber etwas zu beredt.