Regisseur Thomas Roth: "Das Schweigen ist das Schlimme"

Regisseur Thomas Roth: "Das Schweigen ist das Schlimme"
Der Regisseur im Gespräch über seinen neuen Film „Schächten“, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und den Austausch mit seinem Vater, dem heuer verstorbenen Schriftsteller Gerhard Roth.

von Gabriele Flossmann

Als im Mai 1945 in Europa die Waffen schwiegen, verkrochen sich jene Männer, die sich einst zur „Herrenrasse“ stilisieren wollten, in die entlegensten Winkel der Welt. Aus Deutschland wie aus Österreich. Zu den bevorzugten Zielländern gehörten Argentinien oder Bolivien. Aber auch jene, die geblieben waren, hatten nicht viel zu befürchten. In Österreich sind NS-Verbrechen jahrzehntelang verdrängt und tabuisiert worden.

Falls doch jemand angeklagt wurde, gab es in (zu) vielen Fällen Freisprüche. Wie etwa bei Franz Murer, dem „Schlächter von Wilna“, der im Spielfilm „Murer – Anatomie eines Prozesses“ (2018) vom österreichischen Filmemacher Christian Frosch eindrucksvoll dokumentiert wurde.

Nun hat sich ein weiterer Österreicher der Justiz und ihrem schonenden Umgang mit Nazis angenommen – Thomas Roth. Der 1965 in Graz geborene Filmemacher – Sohn des heuer verstorbenen Schriftstellers Gerhard Roth – gilt als einer der profiliertesten Regisseure für anspruchsvolle TV- und Kinoproduktionen. Dass sein Vater, der heuer verstorbene Gerhard Roth, ein weit über Österreichs Grenzen bedeutender Schriftsteller ist, hat dem Sohn am Beginn seiner Karriere das Gütesiegel „Der Sohn von...“ angeheftet. Aufgrund seines eigenen – um nicht zu sagen: eigenwilligen – Schaffens hat sich Thomas Roth von dieser Etikette längst emanzipiert.

Sein neuer Film „Schächten“ (Kinostart: 2.12.) spielt im Wien der 1960er. Ein junger jüdischer Geschäftsmann muss mitansehen, wie die Verfolgung eines NS-Verbrechens gegen seine Familie scheitert, weil der lange Arm der ehemaligen Nazis immer noch in Teile der Gesellschaft, der Politik und Justiz hineinreicht. Er will die Sache daher selbst in die Hand nehmen. Einer der Protagonisten ist der 2005 verstorbene Simon Wiesenthal, der als „Nazi-Jäger“ bekannt wurde, prominent besetzt mit dem deutschen Schauspieler Christian Berkel.

Regisseur Thomas Roth: "Das Schweigen ist das Schlimme"

Der Titel des Films verweist auf eine besondere Schlachtungsart nach jüdischem Ritual. Nach dem Glauben von Juden – und auch von Muslimen – befindet sich im Blut die Seele eines Lebewesens. Weshalb Anhänger beider Religionen auf alle Speisen und Getränke verzichten, die Blut oder Reste von Blut enthalten. Der Machart dieses Polit-Krimis ist anzumerken, dass Thomas Roth sich auch einen Namen als Regisseur von mehreren "Tatort"-Folgen gemacht hat. Über eine herkömmliche Krimi-Spannung hinaus geht die dramatische Konsequenz, auf die sich Victors Rachefeldzug zuspitzt. Wie Thomas Roth im KURIER-Interview betonte, wollte er mit diesem Film sein eigenes Erwachen und seine Konfrontation mit dieser Nazi-Vergangenheit festhalten, die die Gesellschaft schmerzhaft veränderte, während sie untrennbar mit der Gegenwart verbunden war – und leider immer noch ist.

KURIER: Sie haben „Schächten“ gerade auf einer Tour durch Australien und die USA vorgestellt. Wie war dort die Reaktion auf ein, wie man meinen könnte, sehr österreichisches Thema?

Thomas Roth: Es waren hauptsächlich jüdische Festivals, bei denen ich den Film vorgestellt habe, und da ist das Interesse an so einer Thematik natürlich groß. Interessant zu beobachten waren die Unterschiede zwischen den Reaktionen des Publikums in Amerika und dem in Australien. Bei der Premiere in San Francisco drehten sich die Fragen hauptsächlich darum, welche Teile der Geschichte auf Tatsachen basieren. In Sidney oder auch in Melbourne waren die Leute begeistert von dem Film und haben etwa nach den Drehbedingungen in Zeiten der Covid-Pandemie gefragt. Aber es ging auch um die politischen Zustände im heutigen Österreich. Man wollte sogar wissen, ob noch Auswirkungen der Waldheim-Zeit zu spüren sind. Es war für mich überraschend, dass das Publikum dort Querverbindungen zwischen der Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit in meinem Film und den Protesten gegen Kurt Waldheim zog. Und es hat mich als Filmemacher sehr gefreut, dass überall nach der Vorführung das Publikum noch im Kino-Foyer miteinander diskutierte – auch über das Ende des Films.

Was wollten Sie mit dem Film zeigen?

Für meine Generation gab es im Schulunterricht dieses Thema gar nicht. Österreichs Geschichte endete mit dem Ersten Weltkrieg und hat dann irgendwann Ende der 40er Jahre wieder begonnen. Das Schweigen über diese Zeit, das Vorgeben, diese Zeit hätte nie stattgefunden und keiner wäre dabei gewesen, das ist das Schlimme, das Unaufgearbeitete, das ich mit meinem Film eben auch zeigen will. Viele denken vielleicht, wenn sie von diesem Film hören, das ist wieder „so ein“ Film über die Vergangenheit. Aber es geht darin um einige, gerade für unsere Zeit sehr relevante Themen. Es geht nicht nur um Antisemitismus, sondern um Rassismus im Allgemeinen. Es geht um die Ausgrenzung von Minderheiten, um Glaubenskriege, auch um die Stellung der Frau in der Gesellschaft Anfang der 60er Jahre. Diese Themen waren damals relevant und sie sind es leider auch heute noch. Das macht meinen Film sehr aktuell.

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Es geht ja auch darin um Selbstjustiz. Um das selbsternannte Recht, das auszuüben, was ein Einzelner unter "Gerechtigkeit" versteht. Gerade im politisch rechten Lager sind viele Menschen davon überzeugt, dass die Gewalt, mit der sie andere zu ihrer Meinung "bekehren" wollten, gerechtfertigt sei. Ist auch das ein Thema, das Sie mit Ihrem Film beleuchten wollten?

Meine Arbeit an dem Film nahm ihren Ursprung mit dem Buch „Recht, nicht Rache“ von Simon Wiesenthal. Ich habe daraus erfahren, dass es in Österreich zwischen den 50er und 70er Jahren eine Vielzahl von Gerichtsverfahren gegen ehemalige Nazi-Verbrecher gab, aber verhältnismäßig nur sehr wenige Schuldsprüche. Das hat mich schockiert. Und auf der anderen Seite bin ich auf die Geschichte der Wiener Familie Wagner gestoßen, die nach der Vertreibung ins Pariser Exil in den 60ern nach Österreich zurückgekehrt ist und sich hier ihre Firma in einem jahrelangen Prozess zurück erkämpft hat. Diese beiden Fakten habe ich als Basis für meine Geschichte benutzt. Meine Haltung gegen Gewalt wird ja auch im Film ziemlich klar, auch in der Figur von Simon Wiesenthal, den ich als moralische Instanz sehe. Ein wenig bleibt es auch dem Zuschauer selbst überlassen, das Ende zu interpretieren. Vielleicht fragt man sich, wenn man aus dem Kino kommt: Was würde ich machen, wenn meine sechsjährige Schwester und meine Mutter im KZ ermordet wurden und der, der das getan hat, trotz aller Versuch nicht mit legalen Mitteln bestraft werden kann.  

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Simon Wiesenthal kommt in "Schächten" als Figur vor. Braucht unsere Zeit wieder so etwas wie einen „Nazi-Jäger“?

Die alten Nazis sind zum Glück alle tot. Die neuen tragen keine SS-Uniformen mehr, sondern Maßanzüge – oder sie geben sich volksnah in Jeans. Wir sind leider wieder in einer Zeit, in der jeder alles sagen darf, was er sich denkt, ob es rassistisch ist, frauenfeindlich, diskriminierend, ist egal. Es löst nicht einmal mehr so richtig einen Sturm der Entrüstung aus, geschweige denn wird jemand seines Amtes enthoben oder – und das passiert in Österreich leider überhaupt nie – verschwindet gleich selbst von der Bildfläche. Ich sehe aber in Wiesenthal keinen Jäger. Er ist für mich eine moralische Instanz. So habe ich zumindest versucht, ihn in dem Film zu zeigen.

Ihr Vater Gerhard Roth hat mit seinen Werken – wie etwa den Roman-Zyklen „Orkus“ oder „Die Archive des Schweigens“, oder Einzelwerken wie „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ die Erinnerung an die österreichische Vergangenheit lebendig gehalten. Sie haben einmal gesagt, dass Sie Filme machen – unter anderem zu diesen Themen – um sich keinem direkten Vergleich auszusetzen. Wollen Sie sein Lebenswerk fortsetzen?

Ich sehe mich nicht als Schriftsteller – obwohl ich gerade begonnen habe, einen Roman zu schreiben. Ich bin Filmemacher und Drehbuchautor. Solange mein Vater gelebt hat, waren wir in regem Austausch, und ich habe ihm „Schächten“ noch zeigen können. Und so düster der Film auch ist – er war beeindruckt und fand es wichtig, dass ich mich mit dieser Thematik auseinandersetze.

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