Regisseur Arman T. Riahi: "Die Gefängnisschule ist ein paradoxer Ort"
Mit der Komödie „Die Migrantigen“ legte Regisseur Arman T. Riahi 2017 sein Spielfilmdebüt vor. Nun schlägt er mit „Fuchs im Bau“ ernstere Töne an – ein Gefängnisdrama, das aber auch humorvolle Momente hat. Aleksandar Petrović spielt den jungen Gefängnislehrer Hannes Fuchs, der die eigensinnige Pädagogin Elisabeth Berger (Maria Hofstätter) ablösen soll. Mit ihrem unkonventionellen Kunstunterricht ist sie dem Abteilungskommandanten Weber (Andreas Lust) schon länger ein Dorn im Auge. Ihren Posten will sie aber nicht so einfach aufgeben. „Fuchs im Bau“ läuft ab 18. Juni in den Kinos und feiert bei der Diagonale in Graz Österreich-Premiere.
KURIER: Wie sind Sie auf das Thema Gefängnisschule gekommen?
Arman T. Riahi: Ich wollte für meine erste Kinodoku „Schwarzkopf“ (2011) mit jugendlichen Insassen reden. Ich hab dann im Gefängnis in der Josefstadt angerufen und wurde an die Gefängnisschule verwiesen. Es hat mich total überrascht, dass es so etwas gibt. Der damalige Lehrer, Wolfgang Riebniger, hat mich mit in die Klasse genommen. Jugendliche gehen normalerweise nicht so gerne in die Schule, in die Gefängnisschule sind die meisten aber sehr gerne gegangen, weil der Gefängnisalltag für sie sonst relativ trist ist. Es war das Gegenteil einer normalen Schule und hat ihnen ein Gefühl der Freiheit gegeben.
Wie haben die Jugendlichen darauf reagiert, als plötzlich ein Beobachter aufgetaucht ist?
Eigentlich haben mich die meisten ignoriert. Manche wollten wissen, was ich mache, und waren dann auch interessiert, als sie gehört haben, dass ich Filmemacher bin. Aber tendenziell sind die Jugendlichen dort mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und dabei, zu verstehen, was mit ihnen passiert und wie sie weitermachen. Sie sind in dem Alter – 14, 15 – ja mitten in der Pubertät. Es ist komisch für sie, dass sie überhaupt im Gefängnis sind. Die Gefängnisschule ist ja auch ein paradoxer Ort: ein Ort, der dich eigentlich weiterbringen soll, innerhalb einer Institution, die dich komplett festbindet.
Der Lehrer hat dort verschiedene Rollen, er ist auch Psychologe, Wächter.
Natürlich. Er muss auch aufpassen, dass er sich nicht zu sehr emotional involviert. Wolfgang Riebniger hat eine interessante Mischung gefunden. Er ist den Kids auf Augenhöhe begegnet. Jugendliche in dem Alter, auch in einer normalen Schule, haben ein sehr gutes Gefühl dafür, welcher Lehrer „echt“ ist und es ernst meint – und wer nur seine Arbeit macht und wem die Jugendlichen vollkommen wurscht sind. Du kannst ihnen nichts vormachen, deshalb bleibt dir nichts anderes übrig, als ihnen zu zeigen, wer du bist.
Gleichzeitig gibt es strenge Hierarchien.
Es ist ein eigener Mikrokosmos, ein Spiegel der Wirklichkeit mit klaren Machtlinien. In der Gefängnisschule ist der Gefängnislehrer der Chef, in der Abteilung ist es der Abteilungskommandant und im ganzen Gefängnis der Anstaltsleiter. Jeder hat seine Agenda, und das fand ich sehr spannend. Der Lehrer möchte im Idealfall das Beste für die Kids und eckt damit mitunter an. Die Justizwachebeamten kann man aber auch nicht als Bösewichte abstempeln, weil sie ihren Job machen und noch dazu meistens unterbesetzt sind. Es gibt kein Schwarz und Weiß, obwohl es eine Welt voller Dichotomien ist: Entweder du bist eingesperrt oder du bist nicht eingesperrt. Entweder du bist schlimm oder brav. Es gibt kein Dazwischen. Aber es sind Menschen, die da drinnen sitzen, also muss es dieses Dazwischen geben.
Arman T. Riahi, 1981 im Iran geboren, in Wien aufgewachsen. Er studierte Medientechnik und ist als Regisseur und Drehbuchautor tätig. Zu seinen Filmen zählen u. a. "Schwarzkopf" (2011), "Kinders" (2016) und "Die Migrantigen" (2017). "Fuchs im Bau" wurde beim Max-Ophüls-Filmpreis mehrfach ausgezeichnet (u. a. Beste Regie). Gemeinsam mit seinem Bruder, dem Filmemacher Arash T. Riahi, wird er heuer die Gala zum Österreichischen Filmpreis inszenieren.
Ihre Eltern, die vor ihrer Flucht aus dem Iran selbst im Gefängnis waren, waren auch bei dem Dreh dabei ...
Wir haben in einem echten Gefängnis gedreht. Mein Vater war fünf Jahre lang im Gefängnis, meine Mutter auch; auch mein Bruder, meine Schwester und ich waren auf der Flucht in die Türkei als Kinder eine Zeitlang im Gefängnis. Wir haben meinem Vater vorgeschlagen, dass er dort hinkommt und sich das anschaut. Er war seitdem Gott sei Dank nicht mehr im Gefängnis, aber das ist natürlich ein großes Trauma, fünf Jahre unter Folter eingesperrt zu sein.
Wie war der Besuch am Set?
Es war sehr berührend, weil sie gesehen haben, wie wir dort drehen und arbeiten. Arash hat auch eine Szene mit ihnen für eine mögliche Fortsetzung von „Exile Family Movie“ gedreht, der Kinodoku über unsere Familie. Es war ein Moment, wo unsere Arbeit und unser Leben sich auf eine ganz eigenartige und berührende Art und Weise getroffen haben. Natürlich waren die Gefängnisjahre meines Vaters immer auch ein Thema für mich. Zusätzlich sind meine beiden Eltern Lehrer. Da haben sich einige Dinge getroffen, die mich immer schon begleitet haben. Abgesehen von meinen Eltern hatte ich zwei, drei ganz markante Lehrer, die mich in die richtige Richtung gelenkt haben oder mir Sachen gezeigt haben, die mich interessieren könnten. Die Rolle von Lehrern kann man gar nicht überbewerten.
Obwohl dieses Thema Sie schon so lange beschäftigt, haben Sie davor „Die Migrantigen“ gemacht. Warum?
Wir hatten das Gefühl, dass der Zeitgeist dafür da war und dass es wichtiger war, diesen Film zuerst zu machen. Das Thema von „Die Migrantigen“ ist uns – Faris Rahoma, Aleksandar Petrović und mir – schon länger im Magen gelegen. Dauernd jemand sein zu müssen, mit Erwartungen spielen und Erwartungen durchbrechen, was es heißt, einen Migrationshintergrund zu haben – das hat uns unser ganzes Leben begleitet. Es war auch eine spannende Herausforderung, eine Komödie als ersten Spielfilm zu machen.
"Fuchs im Bau" ist ein Drama. Haben Sie Sorge, dass die Leute nach Corona keine Lust auf dieses Genre haben könnten?
Die Menschen sind sehr lange zu Hause gesessen, und ich kann schon verstehen, dass sie tendenziell eher lustige Sachen sehen wollen. Aber ich glaube, dass der Hunger nach Kultur groß ist und dass es vielen ähnlich geht wie mir: Ich habe es satt, auf einen Fernseher zu starren. Ich möchte ins Kino gehen und zwei Stunden in eine andere Welt eintauchen. Und ich hoffe, dass die Leute das mit „Fuchs“ tun können und das auch weitererzählen. Dass es ein Film ist, den man gerne sieht – auch, wenn er düstere und bittere Momente hat. Aber ich sehe das so, wie das Leben halt ist: Es ist nicht immer nur traurig und nicht immer nur lustig. Und ich denke, die Zuschauer können sich auf einen Film freuen, der wie eine Achterbahnfahrt ist.
Nach der coronabedingten Absage im Vorjahr kann die Diagonale – unter Einhaltung der geltenden Bestimmungen – wieder in Graz stattfinden. Am heutigen Dienstag wird das Filmfestival mit der Österreich-Premiere von „Fuchs im Bau“ in der Helmut-List-Halle eröffnet. Dabei werden auch die Vorjahres-Diagonale-Preisträgerin Ursula Strauss und die heurige Preisträgerin Christine Ostermayer ausgezeichnet.
Am Mittwoch feiern dann die Tragikomödie „Me, We“ sowie „Sargnagel – der Film“ Premiere. Die Reihe „Zur Person“ ist Filmemacherin Jessica Hausner gewidmet, Elfriede Jelinek wird anlässlich ihres 75. Geburtstages geehrt.
Insgesamt 108 Filme stehen im Wettbewerb, die Diagonale geht bis 13. Juni. Tickets sind im Festivalzentrum in der Herrengasse 26 in Graz, im Kunsthaus Graz, online auf diagonale.at/tickets sowie ab Mittwoch in den Festivalkinos erhältlich. Es gilt die 3-G-Regel.
Die Preisverleihung ist als voraufgezeichnete Show am Sonntagabend u. a. in der TVthek zu sehen.
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