"Zuwanderung ist Teil von Wiens Identität"

Regisseur Arman T. Riahi (2. v. li.) bei den Dreharbeiten zu "Die Migrantigen"
Der Wiener Filmemacher Arman T. Riahi möchte erfolgreiche Integrationsbespiele sichtbarer und Multikulturalität natürlicher machen.

Arman T. Riahi kam als Kleinkind mit seiner Familie aus dem Iran nach Österreich und arbeitet seit 2005 als Regisseur und Autor. Seinem ersten KinodokumentarfilmSchwarzkopf“ folgte die Doku „Everyday Rebellion“, die er gemeinsam mit seinem Bruder, dem Regisseur Arash T. Riahi, gedreht hat. Im Sommer erschien sein erster, mehrfach ausgezeichneter Spielfilm „Die Migrantigen“, in dem er mit Klischees, Stereotypen und Vorurteilen spielt. Im Interview erzählt Riahi, warum Zuwanderung Wien so großartig macht, was der Begriff Heimat für ihn bedeutet und was den Wiener Schmäh ausmacht.

Was ist Ihre schönste Kindheitserinnerung an Wien?

Arman T. Riahi: Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen war K.I.T.T. in Wien. Ich war 6 oder 7, Knight Rider war auf Promotiontour in Europa und ich durfte im Messe Prater im modifizierten schwarzen Pontiac Firebird Trans Am sitzen. Das war großartig. Weniger schön ist die Erinnerung an ein Gefühl, das von einer Überschwemmung ausgelöst wurde. Das war kurz, nachdem wir nach Österreich gekommen sind. Ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt, eine meiner ersten Erinnerungen überhaupt. Damals haben wir im 2. Bezirk auf der Oberen Donaustraße gewohnt. Meine Mutter hat mich im Arm gehalten und wir haben aus dem Fenster auf die Lände gesehen. Es hat tagelang geregnet und das Wasser stand vielleicht 30, 40 cm hoch. Zu hoch für mich als Kleinkind. Seit damals hatte ich Angst vor tiefem Wasser, die konnte ich erst im Gymnasium beim Schwimmen überwinden.

"Zuwanderung ist Teil von Wiens Identität"

Sie meinten, Sie konnten 35 Jahre lang für „Die Migrantigen“ recherchieren. Was waren die prägendsten Erlebnisse hierfür in Wien?

Prägend war beispielsweise der Moment, wo mir als Kind bewusst wurde, dass ich nicht ganz so war wie die anderen, die österreichischen Kinder. Es gab außer mir niemanden in der Volksschulklasse, der aus dem Iran kam. Als Wiener mit Migrationshintergrund ist dieser Migrationshintergrund irgendwann in den Vordergrund gerückt. Da habe ich selbst auch unterbewusst die Nähe von anderen Jugendlichen gesucht, die ebenfalls Migrationshintergrund haben. Mein bester Freund in den Jugendtagen war autochthoner Österreicher, aber dann kamen im Gymnasium auch Freunde, die aus Ungarn waren, aus Polen, Ägypten oder Serbien. Da meine Eltern aber Wert auf Bildung gelegt haben, und die meiner Freunde auch, waren wir nie „die Ausländer“, sondern oftmals mit dieser klassischen Situation konfrontiert, die viele Integrierte kennen: Wenn in unserer Gegenwart über Migrantigen gelästert wurde und wir unseren eigenen Migrationhintergrund zur Sprache brachten, die Antwort bekamen, dass wir ja nicht so wie „die“ seien. „Die Ausländer“ waren meistens die anderen, aber manchmal bekam sogar ich Fremdenfeindlichkeit zu spüren.

Wie hat sich Wien seit Ihrer Kindheit diesbezüglich verändert?

Wien ist offener geworden, internationaler, es hat sich viel getan. Mittlerweile ist man in manchen Bereichen zwar wieder einen Schritt zurückgegangen, beispielsweise bei der unsäglichen Gratiszeitungskultur, wobei „Zeitung“ ja in vielen Fällen ein großes, unverdientes Kompliment ist. Oder in der Clubkultur und im Nachtleben. Da bekommt man in Wien das Gefühl die Clubbetreiber werden an den Stadtrand gedrängt, weil es immer ein paar Patienten gibt, die beim ersten Mucks nach 22 Uhr die Polizei rufen. Aber insgesamt ist Wien heute viel weiter als vor 20 Jahren.

Und wie haben sich die Vierteln verändert?

Die „unberührten“ und noch nicht gentrifizierten Grätzel der Stadt werden weniger, aber sind immer noch da. Manche bewerten das vielleicht als Verfehlung, ich finde es gut. Es ist wichtig, dass sich ein Stadtbild langsam verändert, dass es sich erneuert, aber nicht um jeden Preis. Problematisch finde ich die Tatsache, dass öffentlich nutzbarer, konsumfreier Raum immer weniger wird. Nichts gegen die Mariahilferstraße Neu, die finde ich viel besser so. Aber ganz ehrlich, ich werde mich nie auf eine Bank dort setzen, umgeben von lauter internationalen Modeketten und Franchises, die mich daran erinnern, wie amerikanisiert alles ist. So schaut mittlerweile jede europäische Großstadt aus. Da setze ich mich lieber in ein g’standenes Wiener Beisl, das noch genauso aussieht wie vor 20 Jahren. Auch weil ich Wien so liebe und gerne daran erinnert werde, dass diese Stadt meiner Kindheit immer noch da ist.

Sie sagten einmal, dass wahrscheinlich zwei Drittel der Wiener ursprünglich von irgendwoher kommen. Wie spiegelt sich diese multikulturelle Gesellschaft im Wiener Alltag wider?

Wien ist anders, Wien ist international. Die Stadt war schon immer so, schon vor 100 Jahren. Nur sehen wir einen Großteil dieser Menschen nicht, Migranten der zweiten oder dritten Generation, weil sie ein Teil der Gesellschaft sind, weil sie integriert und dadurch „unsichtbar“ sind. Sie gehen arbeiten, zahlen Steuern, und wählen – oft auch mehr als die Authochthonen – rechte oder ausländerfeindliche Parteien, weil sie sich noch mehr als die autochthonen vor sozialem Abstieg in Form von mehr Zuwanderung fürchten. Sie kommen ja selbst von dort. Früher war es selbstverständlich, dass die Kantinenmitarbeiterin aus Ex-Jugoslawien kommt. Mittlerweile ist es glücklicherweise so, dass die zweite und dritte Generation oft auch sozial aufsteigt, besser gebildet ist und in „sichtbarere“ Positionen in der Gesellschaft kommt. So wird die Multikulturalität der Stadt, die übrigens entgegen der Unkenrufe ganz und gar nicht gescheitert ist, sichtbarer und natürlicher. Damit haben wir ja zu kämpfen, weil Einwanderung und Integration vom österreichischen Boulevard und den hiesigen Politikern zum Zweck der guten Quote und des Stimmenfangs ja ständig mit Asylmissbrauch, Terrorismus und islamistischer Unterdrückung gleichgesetzt wird.

Gerade in einer Stadt wie Wien sei der Begriff „Migrationshintergrund“ ganz besonders nichtssagend. Wie genau meinen Sie das?

Damit spiele ich auf den Status Wiens als moderne Metropole an, deren Bevölkerung immer zu einem Großteil aus Eingewanderten zusammengesetzt war. Wien war die Hauptstadt des Kaiserreiches, wer waren da die „Wiener“? Das waren Menschen aus Böhmen, Mähren, aus den Ländern der Monarchie. Woher kommen all diese Wiener Namen, die nicht österreichisch klingen? Das Bevölkerungswachstum während des Kaiserreiches war zu zwei Drittel auf Zuwanderung zurückzuführen. Die Zuwanderung ist ein Teil der Identität Wiens. Die Zuwanderung ist eine Zutat, die dazu beiträgt, dass diese Stadt so großartig ist. Natürlich gibt es problematische Aspekte, so wie bei allen Dingen. Doch wer das Gegenteil behauptet, erzählt Unsinn.

Sie sagten auch, dass man die „erfolgreichen“ Integrationsbeispiele nicht sehe, die Menschen, die einfach Teil der Gesellschaft geworden sind, seien unsichtbar und fallen nicht auf. Was kann getan werden, damit diese aus dem Schatten hervortreten?

Das könnte auf dreierlei Wegen funktionieren: Einerseits anerkennen, dass der Großteil der Migranten längst integriert ist, und nichts anderes will als ein normales Leben führen. Dazu muss man hinter die Schlagzeilen sehen, über seinen eigenen Schatten springen. Andererseits müssen diese erfolgreichen Integrationsbespiele sichtbarer werden, durch Eigeninitiative, aber auch durch Unterstützung von Behörden, Institutionen, vom Staat. Positivbeispiele, die andere Menschen inspirieren und anregen, müssen sichtbarer werden. If we can see it, we can be it.

"Zuwanderung ist Teil von Wiens Identität"

Es ging Ihnen in "Die Migrantigen" auch um die in Österreich total unterschätzte zweite Generation, deren Talente manchmal brachliegen, weil die Drehbücher für Menschen mit Migrationshintergrund meist vorgefertigte Rollen vorgesehen haben. Welche Möglichkeit haben da die Kultur, aber auch die Politik und die Medien, diese Talente zu fördern?

Wir müssen Jugendliche und junge Erwachsene, die eine zweite oder dritte Kultur haben, dazu erziehen, dass sie ihre Geschichten nicht nur erzählen, sondern auch mit diesen Geschichten in den Vordergrund treten. Es braucht diese Geschichten als Gegenpol zur "single sided story", die über viele Kulturen und Themen vorherrscht: Ein einziger Aspekt einer Kultur bestimmt meist ihr Narrativ, mit dem wir tagtäglich konfrontiert sind. Wenn ich jeden Tag in den Schmierblättern in der U-Bahn lese, dass jeder syrische Flüchtling ein Terrorist ist, dann glaube ich das irgendwann. Diesem und vielen anderen ähnlichen Narrativen müssen wir mit echten, authentischen Geschichten entgegentreten, wir müssen diese Geschichten rauslocken in den Mainstream, damit sie die Menschen berühren können, ihre Perspektiven erweitern können.

Im Film war es Ihnen wichtig, ein Wien zu zeigen, mit dem Sie aufgewachsen sind und das viele Leute nicht kennen. Hauptaugenmerk liegt am Hannover-Markt. Was sind weitere verborgene, aber prägende Plätze in Wien?

Der 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, wo ich aufgewachsen bin, hat noch viele dieser Plätze, obwohl er glaube ich der Bezirk Wiens ist, der die meisten EU-Förderungen bekommt und sich jeden Tag ein Stück mehr verändert. Aber wenn man den Bezirk kennt, dann findet man die unberührten Orte, die noch genauso aussehen wie vor 25 Jahren. Auch in der Donaustadt, wo ich heute lebe, oder in Favoriten, wo ich einen Großteil meiner Jugend verbracht habe, gibt es diese Orte noch. Es sind meist Plätze, die noch nicht das Interesse der öffentlichen Hand geweckt haben. Es zahlt sich aus, sich mal zu Fuß durch den eigenen Bezirk zu bewegen und das Wien von damals zu suchen. Dazu braucht man keine großartige Beobachtungsgabe. Dieses Wien ist immer noch da.

Und was ist Ihr Lieblingsort in Wien?

Mein Lieblingsort in Wien ist Fünfhaus. Das ehemalige Sechshaus, Reindorf, der Schwendermarkt und der Auer-Welsbach-Park. In diesen Grätzeln bin ich sozialisiert worden. Das ist für mich die Heimat, nicht Österreich oder Iran oder eine nationalstaatliche Flagge: Wien als Region und Rudolfsheim-Fünfhaus als Bezirk. Dort bin ich aufgewachsen, ein Teil der Stadt geworden. Das wird immer mein Lieblingsort in Wien bleiben, ganz egal, wo ich heute wohne.

Die Hauptfiguren in „Die Migrantigen“ sind Wiener durch und durch. Was macht denn den typischen Wiener aus?

Der typische Wiener grantelt a bissl, raunzt a bissl. Der typische Wiener spricht a bissl Wienerisch, auch a bissl Hochdeutsch, aber nur wenn er will. Der typische Wiener hat eine zweite Kultur, irgendwo im Hintergrund, zumindest von den Großeltern oder Urgroßeltern, aber schimpft trotzdem a bissl gegen die Ausländer. Der typische Wiener hat einen Grant gegen „die da oben“, tut aber nix dagegen. Qualtinger hat es am besten ausgedrückt: Wenn der Wiener an Schas lost, macht der Herrgott schöns Wetter!

Die Seele des Films sei ein Remix des Wiener Schmähs. Was verstehen Sie darunter?

Der Wiener Schmäh ist nicht nur schwarz und lustig, der Wiener Schmäh ist auch eine Gaunerei, ein Kunstgriff. So wie unser Film, dessen Hauptfiguren Migrationshintergrund haben, aber so unsichtbar, dass sie sich selbst zu personifizierten Klischees machen müssen, damit man sie als „Ausländer“ wahrnimmt. Deswegen ist unser Film „Die Migrantigen“ so ein zwingend Wienerischer Film. Der Wiener Schmäh ist sein Kern, mit dem wir drei Autoren uns ja auch identifizieren können, ja müssen. Weil wir sind mehr als alles andere vor allem eines: Wiener.

Aktuell arbeiten Sie an dem Gefängnisdrama „Der Lehrer“ und gemeinsam mit ihrem Bruder Arash an der Tragikomödie "Herr Duschek aus dem Gemeindebau". Worum wird es da genau gehen?

In meinem nächsten Spielfilmdrehbuch „Der Lehrer“ geht es um einen durchsetzungsschwachen Pädagogen, der in der schwierigsten aller Schulen, der Gefängnisschule, einem altgedienten Häfnlehrer aushelfen muss. Die Geschichte ist inspiriert vom echten Gefängnislehrer der JVA Josefstadt, Wolfgang Riebniger, der ein Freund von mir ist. Ein unglaublicher Pädagoge. Das Drehbuch verbindet zwei Themen, die mich schon lange beschäftigen: Bildung und Strafvollzug. Also was ganz anderes als „Die Migrantigen“. Ein harter Film, der berühren soll und trotzdem auch witzig ist. Im Komödien-Genre angesiedelt ist „Herr Duschek aus dem Gemeindebau“, den ich gemeinsam mit meinem Bruder und unserem Freund Senad Halilbasić schreibe. Da geht es um den letzten Hausbesorger Wiens, ein reaktionärer, ausländerfeindlicher Ungustl, der am Tag seiner Pensionierung feststellen muss, dass er schrumpft, auf seine wahre, innere Größe. Eine Wiener Fantasykomödie sozusagen!

Am 11. Jänner um 18:30 Uhr spricht Arman Riahi gemeinsam mit den beiden Hauptdarstellern von "Die Migrantigen", Faris Rahoma und Aleksandar Petrović, im Wien Museum mit Sibylle Hamann über den Film und dessen Bedeutung für die (Migrations-)Geschichte Wiens. Eintritt frei.

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