Philosoph Achille Mbembe: Mit Afrika aus der Sackgasse
In Österreich lebende, aus Afrika stammende Menschen fühlen sich bei der laufenden Debatte um die Rückgabe von Objekten und menschlichen Überresten in ihre Herkunftsländer aus heimischen Museen nicht eingebunden.
Als Zeichen dagegen organisierte der Verein „Afrieurotext“ nun ein Symposium (siehe unten) – und lud mit Achille Mbembe einen prominenten Sprecher ein: Der in Johannesburg lehrende Historiker und Philosoph, der auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron berät, betont die symbolische Wichtigkeit der Restitution kultureller Objekte für eine gemeinsame menschliche Zukunft.
KURIER: Ihnen schwebt das Idealbild eines „Museums der Zukunft“ vor. Erzählen Sie mehr davon.
Achille Mbembe: Die ideale Situation wäre eine, in der die Objekte allen Menschen zugänglich sind, egal wo sie leben. Um das zu ermöglichen, müssen die Objekte ohne Beschränkungen zirkulieren können – in physischer Form, aber auch immateriell, ermöglicht durch Technologie. Es werden andere Ausstellungen sein – wir müssen da alle Möglichkeiten erforschen.
Die Frage, wem die Objekte gehören, ist damit aber noch nicht gelöst.
Wir müssten Systeme des Eigentums erfinden, die sich nicht auf privates oder staatliches Eigentum beschränken. Derart geteiltes Eigentum dürfte dann aber nicht nur Objekte umfassen, dieursprünglich von Afrikanern gemacht wurden – es sollte auch für einige der besten Objekte gelten, die die Chinesen, die Franzosen, die Österreicher oder die Deutschen hervorgebracht haben. Doch das ist eine Utopie, wie Sie sich vorstellen können.
Die Mona Lisa derart auf Reisen zu schicken, könnte auf Widerstand stoßen.
Absolut. Aber die Utopie zwingt uns, alle Protokolle zur Behandlung und Präsentation von Objekten zu überdenken. Wir müssen uns die Möglichkeiten offenhalten.
Ist es schon utopisch zu glauben, der Widerstand gegen die Rückgabe von musealen Schätzen sei zu brechen?
Er zeigt uns die Schwierigkeiten unserer Zeit auf. Wir sind versessen darauf, Lösungsansätze zu wiederholen, die gescheitert sind, und bewegen uns immer weiter in eine ökologische, technologische, politische und ökonomische Sackgasse. Warum tun wir das? Liegt es nur an den Machtverhältnissen, oder gibt es noch etwas anderes, dass uns an der Veränderung hindert, wo doch die Notwendigkeit dazu offensichtlicher ist denn je? Dieses Rätsel gilt es zu entschlüsseln.
In tagesaktuellen Debatten wird die Utopie von vielen kleinen Disputen behindert. Bei der Kunstschau documenta sollte es um neue Ressourcenverteilung gehen, doch es wird über Antisemitismus gesprochen. Anderswo diskutiert man, ob Weiße Dreadlocks tragen dürfen.
Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen, mit denen ich mich beschäftige – darunter die ökologische Krise oder Armutsprobleme in Afrika, wo an jedem einzelnen Tag jemand an meiner Tür klopft und fragt, ob ich irgendeinen Job für ihn habe – macht mich das einfach nur wütend. Es ist nicht meine Welt. Von da, wo ich lebe, sieht das nach einer riesigen Ablenkung aus, verstärkt von manchen Medien und den sozialen Netzwerken, die sich in der permanenten Zurschaustellung von Narzissmus erschöpfen. Ich versuche, dem fern zu bleiben.
Auf dem Weg zur Gerechtigkeit wird mitunter auch Unrecht gegen Unrecht aufgerechnet. Sie waren da in Debatten über den Kolonialismus und Palästina involviert. Hilft es etwas, in diesem Feld Vergleiche anzustellen?
Vergleichen heißt nicht, Unterschiede auszulöschen, im Gegenteil – es ist eine subtile Aufgabe, die Dinge eben nicht gleichsetzt. In der Art, wie das viele Historiker und Sozialwissenschafter tun, habe ich kein Problem damit. Aber es ist nicht meine Methode. Meine Arbeit befasst sich mich mit Möglichkeiten, die Welt zu erneuern. Und sie war oft eine Kritik der Identitätspolitik, weil diese uns in Formen der Zugehörigkeit gefangen hält, die zu schmal sind. Aber ich bin von einer philosophischen Tradition geprägt, in der man glaubt, dass es Formen der Solidarität zwischen verschiedenen Arten menschlichen Leids gibt. Es gibt da keine Konkurrenz, denn in allen Fällen wird das menschliche Antlitz zerstört – und wenn es hier keine radikale Gleichheit gibt, können wir alle anderen Werte vergessen.
Solidarität generiert aber auch Unmut. 2020 wurden Sie ja in Deutschland stark angefeindet – es hieß, Sie hätten bei der Gegenüberstellung der Politik Israels in Palästina und dem Apartheidregime Südafrikas auch antisemitische Klischees bedient.
Aber sorry – das waren politische Attacken. Deutschland sollte aufhören, ständig Sündenböcke zu suchen.
In vielem gleicht die Debatte dem, was aktuell bei der documenta passiert.
Ich verfolge das nicht, dazu bin ich zu beschäftigt. Ich war damals nur Platzhalter. Wir haben genug Sorgen dort, wo wir herkommen und wo wir leben. Deutschland soll seinen eigenen Dreck aufsammeln, so wie wir das auf dem afrikanischen Kontinent tun. Nur so können wir die Welt reparieren und sie für alle Menschen lebbar machen. Das ist das Ziel.
Bis Freitag, 2. 9., findet das „Kitong-Kiass-Symposium“ in der Central European University (1100 Wien) sowie in der Buchhandlung Afrieurotext (1020 Wien) statt. Mbembe spricht heute, Donnerstag, um 17 Uhr über „Restitution, Rehabilitation & Reconciliation“. Detailliertes Programm: www.afrieurotext.at
Achille Mbembes Werke „Kritik der schwarzen Vernunft“, „Politik der Feindschaft“ und „Ausgang aus der langen Nacht“ sind auf Deutsch im Suhrkamp Verlag erschienen
Kommentare