Paulus Manker ist ein Genie. Er kann sich ORF Live-Auftritte bestellen

Paulus Manker ist ein Genie. Er kann sich ORF Live-Auftritte bestellen
Manker weigerte sich, zu Missbrauchsvorwürfen Stellung zu nehmen. Und verlangte einen Live-Auftritt. Den bekam er. Und wie er den bekam!
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Die schwierige Frage, wie man Kulturschaffenden die Möglichkeit zur Stellungnahme bietet, wenn ihnen grober Machtmissbrauch vorgeworfen wird, hat der ORF-„Kulturmontag“ diese Woche ein für alle mal geklärt. 

Es ging um Genie und Wahnsinn. Es ging um: Paulus Manker. Dem wurden in der vielbeachteten NDR-Doku „Gegen das Schweigen - Machtmissbrauch bei Theater und Film“ zahlreiche Übergriffe bis zu tätlichen Angriffen vorgeworfen. 

Das montägliche Kulturmagazin des ORF nahm sich also dieses heißen Eisens an und räumte Manker die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Die er ablehnte. 
Der journalistischen Sorgfaltspflicht zufolge hätte die Geschichte hier enden können.

Paulus Manker ist ein Genie. Er kann sich ORF Live-Auftritte bestellen

Jedoch: Der "Kulturmontag“ hatte eine bessere Idee: "Paulus Manker wollte keine Stellungnahme abgeben, sondern hier im 'Kulturmontag' sprechen“, erklärte Moderator Peter Schneeberger dem ORF-Publikum einen Plan, von dem an diesem Montag vor allem einer überzeugt schien: Paulus Manker, der es sich im von ihm bestellten Livestudio gemütlich gemacht hatte.

Ihm Gegenüber: Eine Expertin. Es handelt sich Meike Lauggas von der Beratungsstelle „we_do“. Dort können sich Betroffene Hilfe holen, und Institutionen beraten lassen, wie sie Machtmissbrauch verhindern. 

In der Mitte: Schneeberger, den auch eindringliche Appelle, Manker keine solche Plattform zu geben, von dieser Sendung abhalten konnte. Die Proteste ergingen übrigens, als der Sender am vergangenen Freitag ankündigte, „unter anderem“ mit Manker über die gegen ihn gerichteten Vorwürfe diskutieren zu wollen. Das "unter anderem" hatte sich offenbar am Weg ergeben und die Gestalt von Meike Lauggas angenommen.

Diese hatte nicht nur einschlägige Expertise im Gepäck, sondern fand darüberhinaus dieses Experiment der ORF-Kulturabteilung nicht besonders gelungen: „Eine Entscheidung ist es auch: Personen, die in dieser Doku vorkommen ernst zu nehmen oder ob jemand wie hier wieder eine Bühne bekommt.“

Der Jemand saß mit rotem Schal, schwarzem Anzug und schwarz-weißen Sneakers im Sessel auf seiner Studiobühne und schien kein Wässerchen trüben zu können.

Lauggas führte aus, dass es um strukturelle Änderungen gehe, nicht um das öffentlich-vor-den-Vorhang-Bitten von mutmaßlichen Tätern: „Strukturelle Änderung heißt, dass die Personen, die für Entscheidungen Macht haben, auch zur Verantwortung gezogen werden.“

Paulus Manker ist ein Genie. Er kann sich ORF Live-Auftritte bestellen

Schneeberger scheint seine Pflicht in puncto "unter anderem" an dieser Stelle erledigt zu haben. Er kann sich nun dem Haupt-Studiogast widmen: „Man wirft Ihnen Schreianfälle, demütigendes Verhalten und Aggression vor. Warum verzichten Sie nicht einfach auf so ein Verhalten und gehen mit Mitarbeiterinnen respektvoll um?“ 

Fastenzeit extrem im ORF.

Manker beugt sich verständnisvoll nach vorne: „Ich bin natürlich bestürzt, wenn ich diese Dinge höre und wenn ich Interviews sehe, wo das alles vorkommt. (Holt tief und schwermütig Luft).“ Die meisten Interviewpartner hätten aber noch vor der Aufführung hingeschmissen. 

Inhaltlicher Einschub 1: Manker werden bei den Proben Demütigungen, Grausamkeiten und auch körperliche Attacken vorgeworfen: Ein Ausstatter etwa berichtet in der NDR-Doku darüber, von Manker "mit der Faust aufs Ohr geschlagen" worden zu sein, weil er mit einer Kerze nicht rechtzeitig aufgetaucht war.

Der Vorwurf blieb von Manker nicht unbemerkt: "Der junge Mann, der da vorhin gesprochen hat und gesagt hat, ich hätte ihm einen Schlag versetzt, redet von einer Aufführung von 2006. Da werden Sie mir nicht böse sein, wenn ich mich daran nicht mehr erinnere.“ 

Mankers Blick wandert wieder ins Unendliche. Sein Text ist beendet.

Schneeberger: „Allerdings kommen in dieser Dokumentation auch viele Schauspieler zu Wort, die bei der Alma 2023, bei den „Letzten Tagen der Menschheit“ 2020"...

Manker unterbricht: „Eine. Eine.“

Schneeberger, der sich jetzt auch nicht mehr sicher ist, wieviele Personen in seiner Frage vorkommen sollen, vollendet den Satz sicherheitshalber im Singular: „…die mit Ihnen über drei Jahre hinweg gearbeitet hat. Es ist nicht nur schon lange her, sondern diese Vorwürfe begleiten Sie ja auch schon eine sehr lange Zeit. Das heißt: Diese Vorwürfe stimmen doch. Oder glauben Sie…“

Manker wendet korrekterweise ein, dass Behauptungen allein jetzt noch nicht unbedingt Beweiskraft hätten.

Schneeberger: „Der NDR hat auch eidesstattliche Erklärungen eingeholt.“

Manker kontert - ebenfalls richtig: „Auch da kann man die Unwahrheit sagen. Das bedeutet gar nichts.“ 

An dieser Stelle schlüpft er ansatzlos in die von ihm abonnierte Rolle des grausigen Antihelden und versteigt sich zu einem atemberaubenden Satz: “Es ist auch bedauerlich, dass natürlich nur die Kritiker und die Kleingeister und die Blockwarte zu Wort kommen und die, mit denen ich seit Jahrzehnten gut in meinen Inszenierungen zusammenarbeite, was ja Dutzende Künstlerinnen und Künstler sind, nicht.“

Inhaltlicher Einschub 2: Blockwarte waren im NS-Regime Leute, die unter anderem „Judenfreunde“ an die Nazis verpfiffen und für nationalsozialistische Ordnung in dem ihnen zugeordneten Wohnblock sorgten.

Schneeberger: „Herr Manker ....“

Manker, unbeirrt: "Natürlich sind bei einer Dokumentation über Machtmissbrauch die positiven Stimmen fehl am Platze, aber es ist wichtig, auch die andere Seite zu beleuchten.“ 

Machtmissbrauch als Nullsummenspiel: Dieses Argument hätte Harvey Weinstein wohl auch gern zur Hand gehabt, als er wegen sexueller Übergriffe für 39 Jahre ins Gefängnis wanderte. 

Schneeberger, in dem das Wort „Blockwart“ keinen journalistischen Impuls weckt:  „Das Positive wird meistens beleuchtet, wenn es um Ihre Stücke geht.“

Manker, in endgültiger Gewissheit über die eigene Lufthoheit im Studio: „Sie waren noch nie in meinen Stücken, Herr Schneeberger.“

Schneeberger: „Doch, schon. Und ich habe Karten gekauft.“

Manker: „Nein“

Schneeberger hört unverständlicherweise auf, sich vor seinem Studiogast zu rechtfertigen und formuliert den berechtigten Einwand, dass Einzelfälle auch eine Bedeutung hätten. Und: „Wenn Sie sagen, diese Schauspieler waren bei den Aufführungen teilweise nicht beteiligt, dann auch deshalb, weil Sie sie vorher entlassen haben.“

Manker: „Nein, weil sie wieder weggegangen sind. Es kommen wahnsinnig viele Schauspieler zu mir und wollen bei meinen Produktionen dabei sein, weil sie gehört haben, wie toll das ist."

Ein konkretes Beispiel hat er passenderweise aus der ORF-Maske live in die Sendung mitgebracht: „Da ist der Chef von diesen zwei Zauberern, die jetzt dann später in Ihrer Sendung auftreten und sagt: 'Herr Manker ich muss Ihnen sagen: Ich habe Ihre Alma acht mal gesehen.' Jetzt da, vor zwei Minuten!

In jeder Manege dieser Welt wäre das eine Sensation. Hier verpufft die Enthüllung auf skandalöse Art und Weise. Wenn nicht einmal mehr der Chef von Zauberern etwas zählt: Woran soll man sich als sensibler Theatermacher noch aufrichten?

„Alma ist die größte österreichische Theaterproduktion der gesamten Nachkriegsgeschichte. Das rechtfertigt natürlich nicht schlechtes Verhalten oder Missbrauch, aber es wirft ein gewisses Licht darauf, dass Schauspieler, die ich teilweise AMS-Zombies nenne, weil sie arbeitslos sind und dann zu mir kommen und unbedingt (reißt die Hände in die Höhe) unbedingt dabei sein wollen.“

"AMS-Zombies." Wow.

Schneeberger hat sich für einen kurzen Moment entschlossen, nicht locker zu lassen: „Bei all dem, was wir gesehen haben: Haben Sie den Eindruck, dass Sie Fehler gemacht haben?“

„Sicher. Ich bin bestürzt, wenn ich mir das anhöre. Aber ich möchte mir aussuchen und ausbedingen, wen ich bei seiner Kritik ernst nehme und wen nicht.“

Wer möchte das nicht, Herr Manker, wer möchte das nicht.

„Die eine Schauspielerin, die mir in der Dokumentation vorgeworfen hat, ich hätte ihr bei einem Tanz am Ende des Stückes 'Alma' zu fest angefasst: Sie redet von einer Szene aus dem Jahr 2006. Ich höre von diesen Dingen das erste Mal – sie ist damals nicht zu mir gekommen und hat gesagt: Sei ein bissl vorsichtig, pass auf, dass du mir nicht weh tust.“ 

Ohne Experte für die Feinmechanik einer Theateraufführung zu sein, aber ohne Aufforderung darauf zu achten, seinen Bühnenpartnerinnen nicht wehzutun, könnte einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma darstellen. 

Für Manker "kommt das aus heiterem Himmel. Das muss doch einen Grund haben.“ Der Grund sei, dass die Dokumentaristinnen zwar gewissenhaft recherchiert hätten, aber „es ist natürlich tendenziell“. 

Manker möchte sich tendenziell ja eher "aussuchen und ausbedingen", wer ihn kritisieren darf.

Schneeberger erinnert sich wieder an die Frau, die man im Studio platziert hat. Expertin Lauggas hätte während Mankers Redezeit locker einen Ausflug zum nächsten Würstelstand antreten können. 

Er fragt sie, ob der Geniekult in der Kunst, der allem Männern viel Freiheit einräume, ein Problem sei?

Lauggas: „Genie ist ein sehr männlich konstruiertes Konzept. Da zu sagen, das steht über dem Gesetz, das entspricht nicht der Realität.“ 

Manker verkneift sich den Einwand, dass Realität - neben nicht von ihm selbst ausgesuchten Kritikern - ein weiteres fehlerhaftes Konstrukt sei. Die Dummköpfe hätten auch das nur wieder missverstanden.

Die "we_do“-Vertreterin führt die Absurdität der Aufarbeitung von Machtmissbrauch in der Kulturbranche aus: Zuerst habe es geheißen, es gebe keine Meldungen. "Dann hat sich Luna Jordan (auf der Bühne des Österreichischen Filmpreises) gemeldet und hat gesagt: Mir ist vier Mal was passiert. Das Argument danach: Sie solle doch bitte Namen nennen. Jetzt haben wir eine Dokumentation, in der Namen genannt werden und die Frage ist: Wann setzt es eigentlich Konsequenzen?“ 

Wenn man die Konsequenzen für Manker betrachtet, dürften wir in Zukunft einige Live-Auftritte von Unschuldigen aus der Kulturbranche im ORF erleben.

Der Theatermacher entlässt uns mit folgenden Gedanken in die kühle Montagnacht: „Ich werde mich nicht so erniedrigen wie der Herr Pölsler (Regiekollege Julian Pölsler hatte sich jungst öffentlich für Fehlverhalten entschuldigt). Und: Ich werde mir genau überlegen, wen ich engagiere, damit mir dieses Engagement später nicht auf den Kopf fällt."

Manker ist ein Genie.

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