Hochgatterer-Uraufführung: Endlich frei von Anton Bruckner!
Sie stellt sich als „Schlampe“ vor, und ähnlich derb lernt man sie dann auch kennen, diese junge Frau, die unter anderem wegen unerlaubter Sprayer-Aktivitäten verurteilt wird. „Infantil stilisierte, männliche Genitalien“ prangert der Jugendrichter seufzend an und verdonnert das Punk-Mädel zu mehreren Stunden Sozialdienst.
Der alten Dame, für die die jugendliche Delinquentin künftig einkaufen gehen soll, ist das trotzige Gehabe ihrer neuen Assistentin egal. Sie nennt sie kurzerhand Klara und sie wird, das stellt sich bald heraus, auch darüber hinaus nun öfter machen, was ihr gerade in den Sinn kommt. Hinter Perlenkette und Spitzendeckerldekor steckt nämlich ein spät, aber doch aufbegehrender Geist. Jahrzehntelang hat die betagte Frau unter ihrem dominanten Gatten, einem Bruckner-Begeisterten, gelitten. Jetzt ist Schluss damit. „Wer ist Bruckner?“, fragt die junge Assistentin, und spätestens da will die alte Dame nicht mehr auf ihre Punk-Klara verzichten.
„Der schlafende Wal – ein Stück ohne Bruckner“ heißt das neue Stück des Autors und Kinderpsychiaters Paulus Hochgatterer, der sich nach seiner Auseinandersetzung mit dem Dirigenten Karl Böhm im Stück „Böhm“ nun wieder einem durchwachsenen Musikerleben widmet.
Das Stück, das am Mittwoch im Posthof Linz in der Regie von Simon Meusburger uraufgeführt wurde, ist eine Kooperation mit dem Bruckner Haus anlässlich des 200. Geburtstags des oberösterreichischen Komponisten.
Puppenspielerin Manuela Linshalm übernimmt darin eindrucksvoll alle Rollen. Hinter einer lebensgroßen Puppe (Soffi Povo) verkörpert sie die Seniorin und zugleich, ohne Puppe, die störrische Punkerin. Das funktioniert, denn Linshalm hat viel Erfahrung mit Rollenwechseln in Solostücken, etwa ihrer tollen Performance als Würstelstandlerin Resi im Wiener Schuber Theater.
Warum die Bühne zum Großteil aus Lampen besteht, versteht man ab der Hälfte des 80-minütigen Stücks: Unter den Lampenschirmen stecken ebenfalls Puppen. Die kleineren Handpuppen sind die Nebendarsteller in dem von Anton Bruckner beeinträchtigten Leben der alten Dame: Richard Wagner als dessen Objekt der Bewunderung sowie der einflussreiche Musikkritiker Eduard Hanslick, unter dem Bruckner gehörig zu leiden hatte. Außerdem Johannes Brahms, der zwar das Stammlokal mit Bruckner teilte, ansonsten aber wenig. Er wird hier über Bruckners Musik sagen, sie sei die „eines Pfarrers, an dem ein Anarchist verloren ging“.
Jahrzehntelang musste die alte Dame im Urlaub Bruckner-Schauplätze besuchen. Auf dem Weg dorthin wurde ausschließlich Bruckner im Auto gehört, manchmal auch Wagner. Sie behauptet, sie könne alle Bruckner-Symphonien auswendig. Jetzt endlich, befreit von ihrem Bruckner-Diktator, darf sie daheim ihren geliebten Brahms hören. „Sind Sie eigentlich froh, dass Ihr Mann nicht mehr lebt?“, fragt Klara sie eines Tages. Es braucht Mut, sich das einzugestehen.
Das alles hat viel komisches Potenzial, aber auch differenzierte Zwischentöne. Einerseits wird die nach Anerkennung hungernde, schwierige Persönlichkeit Anton Bruckners angedeutet. Und dann ist da die späte Emanzipation dieser alten, schwer gehbehinderten Frau, zu der ihr ausgerechnet eine straffällige Jugendliche verhilft. Der im Titel angekündigte Wal spielt dabei allerdings eine verhältnismäßig kleine Rolle.
KURIER-Wertung: 4 von 5 Sternen
Das Stück ist ab dem 16. Oktober im Schubert Theater Wien zu sehen.