Man kennt sie alle, diese biografischen Kulturschaffenden-Klischees: lange verkannt, im Privaten unglücklich, irgendwie kantig im Umgang, wenn nicht gar ein wenig psychotisch, und nach dem Tod hochgejubelt und vereinnahmt.
Wenn man daraus eine Liste erstellt mit der Möglichkeit, Erledigtes anzukreuzen, dann lässt das Leben von Anton Bruckner (1824–1896) kein Kasterl leer: Der oberösterreichische Komponist hat ein derart exemplarisches Künstlerleben der Romantik vorgelegt, dass nun, zum 200. Geburtstag, die Jubiläumsveranstaltungen wahrlich aus dem Vollen schöpfen können. So auch die Österreichische Nationalbibliothek, die ihre Ausstellung im Prunksaal unter das Motto „Der fromme Revolutionär“ stellt.
Selbigem kann man da ebenso bei der peniblen Listenführung über seine Gebete zuschauen wie beim Komponieren – die Symphonien-Handschriften hat er der k. k. Hofbibliothek vermacht. Lange eher musikalischer Handwerker als genialer Kompositeur geht er mit dem späten Erfolg – in einem Alter, das Mozart oder Schubert gar nicht mehr erlebt haben, wie Kurator Thomas Leibnitz betonte – auch gebührend ungeschickt um.
Seine ehemaligen Schüler, die an seiner Seite verharren, erleben Bruckner zuweilen als Despoten im ganz Kleinen. In Frauenangelegenheiten gibt er sich als Tölpel. In Wien bleibt er Zug’reister, der von der hiesigen Szene lange geschnitten wird und mit den feinen Unterschieden allein in den Äußerlichkeiten nicht zurecht kommt.
Zeitlebens war er außergewöhnlich obrigkeitshörig und fühlte sich vielleicht auch deshalb von negativen Kritiken – der Über-Kritiker Eduard Hanslick rieb sich gerne an Bruckner, dem er eigentlich früh verbunden war – persönlich diffamiert.
In der Wiener Zeit (ab 1868) wurde noch dazu etwas vorweggenommen, das die spätere Historie Bruckners entscheidend prägen sollte: Er wurde von den Deutschnationalen vereinnahmt, was zur umso vehementeren Ablehnung durch andere führte. Und sich viel später in der Vereinnahmung Bruckners durch die Nationalsozialisten wiederfinden sollte, lächerlicher Germanenkitsch inklusive: 1937 führte Goebbels Bruckner „in die Walhalla“ ein. Der „deutsche Komponist“ wurde nach Kriegsende dann rasch wieder zum genuin österreichischen rückgedeutet.
Kennzeichen: Narbe
Im Prunksaal nun kann man Vitrinen abschreiten, die chronologisch Lebensstationen Bruckners gewidmet sind: dem Stift St. Florian, wo er zur Schule ging, den Symphonien (darunter die handschriftliche Partitur der unvollendeten Neunten), den Treffen mit Richard Wagner, den Bruckner verehrte. Dank einer Reise in die Schweiz weiß man aus dem damaligen Pass, dass Bruckners Lippen „proportional“, sein Gesicht rund und an seinem Hals eine Narbe war.
Leibnitz und Ko-Kuratorin Andrea Harrandt versammelten auch so viele Bruckner-Fotografien, wie zu finden waren, darunter von jenen Frauen, die Bruckner (vergeblich) geliebt hatte. Insgesamt sind es rund 130 Objekte, die bis 26. Jänner 2025 – aus konservatorischen Gründen teils im Wechsel oder als Faksimile – gezeigt werden.
Die musikalisch revolutionäre Kraft Bruckners muss man sich – das ist bei einer Ausstellung klar – dazudenken. Aber an seinen Werken ist in den Konzertsälen heuer wahrlich kein Mangel. In der Nationalbibliothek gibt es viel spannende Hintergrundmusik zu diesen Tönen.
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