Festwochen gegen "Fidelio" 0:2

Michael König als Florestan inmitten anderer Gefangener
Die letzte Großproduktion des Festivals geriet im Theater an der Wien zur Enttäuschung.

Die Wiener Festwochen wussten offenbar schon vorab, dass die österreichischen Fußballer bei ihrem ersten EURO-Spiel nix reißen würden und setzten die Premiere von Beethovens "Fidelio" im Theater an der Wien so an, dass man von den Toren der Ungarn nichts mehr mitbekam. Die Ernüchterung war aber ob der Darbietungen an der Wienzeile ebenso groß wie in Bordeaux. Festwochen gegen "Fidelio" 0:2. Und Rote Karten wären auch angemessen gewesen.

Beginnen wir mit dem Positiven: Die ersten Minuten waren da wie dort von großem Offensivgeist geprägt, und Regisseur Achim Freyer, der anstelle des seine Pläne nicht rechtzeitig abgeliefert habenden Dmitri Tcherniakov aufgeboten wurde, schoss mindestens so spektakulär an die Stange wie David Alaba.

Dreigeschoßig

Es gibt bei dieser Aufführung sogar viele Stangen auf der Bühne, denn diese besteht aus einem Gerüst mit drei Spielebenen und Gaze-Vorhängen für Videoprojektionen: Im Erdgeschoß werden die Gefangenen gehalten, und Florestan ist schon im ersten Akt dauerpräsent; im Stock darüber hausen Rocco, Marzelline, Jaquino und Leonore; und im Obergeschoß sind Don Pizarro und später der Minister in einem Krampus- bzw. Superhelden-Outfit Bedrohung und Erlösung.

Sie alle stecken in fantasievollen Hüllen, tragen Masken und sind an Türen fixiert – sie können sich damit zwar drehen, aber nicht interagieren. Wir verstehen schon: Alle sind Gefangene in diesem System – einer stringenten Personenführung oder Entwicklung der Beziehung der Protagonisten zueinander, einer psychologischen Analyse ist das jedoch hinderlich.

Bei einer poetischeren, parfümierteren, märchenhafteren Oper wäre ein solches Konzept sinnvoller, bei "Fidelio" ist es kontraproduktiv. Aber Freyer ist Freyer und setzt seine bildgewaltige Assoziationskette auch hier konsequent um. Mit Farbenpracht, Zitaten von Hieronymus Bosch, mit Flugzeugen, die in und über Hochhäuser fliegen, in Comic-Sprache und als Puppenspiel.

Er füttert das Auge dermaßen, dass es bald ermüdet. Der Anfangselan ist rasch vorbei (siehe Bordeaux). Dennoch ist die Regie zweifellos das geringste Problem an diesem Abend.

Eindimensional

Womit wir bei Marc Minkowski am Pult der Musiciens du Louvre wären. Die musikalische Gestaltung ist leider unpräzise, dramaturgisch nicht plausibel, die Intonation vor allem der Blechbläser (auf den alten Instrumenten freilich schwierig) grenzt an Foulspiel, es wackelt auch in der Koordination mit den Solisten und dem Chor: klassisch vercoacht.

Diese musikalische Leistung ist kaum besser als jene von Minkowski vor einiger Zeit bei einem Wagner-Gedenkkonzert auf alten Instrumenten und genauso dröhnend und unsensibel wie beim "Fliegenden Holländer" an eben diesem Ort.

Und wenn wir also schon von sogenanntem Originalklang im Uraufführungs-Theater des "Fidelio" sprechen: den weltmeisterlichen Nikolaus Harnoncourt und den Concentus Musicus sollte man lieber als Vergleich nicht heranziehen, sonst wird es tragisch.

Die dritte "Leonoren"-Ouvertüre wird nicht gespielt, die Texte wurden von Achim Freyer bearbeitet und stark gekürzt. So bleibt ein reichlich bebildertes Abspielen der einzelnen Nummern, wie ein Musikvideo, diesfalls jedoch ohne Hitgarantie.

Das liegt auch an der mediokren Besetzung. Christiane Libor ist eine zwar höhensichere, jedoch sehr schrille Leonore mit starkem Tremolo. Michael König als Florestan singt elegant in der Mittellage und mit viel Kraftanstrengung in der Höhe. Jewgeni Nikitin hatte zumindest am Premierenabend nicht ausreichend Dramatik für die Figur des Don Pizarro, sein Bariton ist kultiviert, in der Tiefe jedoch äußerst limitiert. Franz Hawlata als Rocco hat zumindest eine gute Präsenz, die zumeist geschätzte Ileana Tonca als Marzelline und Julien Behr als Jaquino sind diesen Rollen nur bedingt gewachsen und zu eindimensional, Georg Nigl als Don Fernando überragt alle anderen.

Der Arnold-Schoenberg-Chor muss Masken tragend am Boden kriechen und singt dabei mächtig und gut.

Die Sinnhaftigkeit dieser Produktion erschließt sich jedenfalls nicht. Sie wirkt eher wie ein Aufruf zu hinterfragen, welchen Sinn denn Festwochen-Opern an diesem Ort noch haben. Einst waren sie unverzichtbar, weil das Theater an der Wien ohne Festwochen-Bespielung niemals wieder zu einem Opernhaus geworden wäre. Aber heute?

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