Noomi Rapace: „Ich habe viel Wut in mir getragen“
2009 hatte Noomi Rapace ihren großen Durchbruch – als Lisbeth Salander im schwedischen Hit „Verblendung“ („The Girl with the Dragon Tattoo“), der auf dem Roman von Stieg Larsson basiert. Für zwei weitere Filme der Trilogie („Verdammnis“ und „Vergebung“) schlüpfte sie erneut in die Rolle. Die schwedische Schauspielerin gehört zu den ganz wenigen nicht-englischsprachigen Schauspielerinnen, die den Erfolg im eigenen Land als Karrieresprung nach Hollywood nutzen konnten, obwohl sie nicht für die US-Version der Filme engagiert wurde (sie ging an Rooney Mara). Nun kehrte Rapace mit dem Horrorfilm „Lamb“ zurück zu ihren Wurzeln. Die isländisch-schwedisch-polnische Koproduktion feierte in Cannes Premiere und steht auf der Shortlist für den Auslandsoscar. Im Interview spricht Noomi Rapace über ihren neuen Film, die Rolle der Lisbeth Salander, Sensibilität, Schmerz und ihren "Prometheus-Ellbogen".
KURIER: In „Lamb“ spielen Sie die Bäuerin Maria, die mit ihrem Mann in einem abgelegenen Bergdorf in Island lebt und nach dem Verlust eines Babys ein Lamm adoptiert. Warum wollten Sie nach Ihren Hollywoodhits wieder einen schwedischen Film machen?
Noomi Rapace: Als ich das Drehbuch gelesen habe, war es, als hätte ich mein Leben lang auf diese Geschichte gewartet. Es war so ein einzigartiges und intimes Drehbuch. Und weil es so wenig Dialog gibt, fühlt es sich an wie ein intimes Epos.
Sie haben gesagt, dass Sie während des Drehs an Klaustrophobie litten. Wie ist das möglich, wenn der Film doch vorwiegend im Freien spielt, in dieser ungeheuren Weite Islands?
Ja, aber wir filmten im Sommer, wenn es 24 Stunden hell ist! Das ist mega-klaustrophobisch. Es ist zwei Uhr früh und die Sonne scheint. Da glaubst du, du wirst wahnsinnig.
Obwohl Ihre Rollen in „Lamb“ und auch in Projekten wie „The Secrets We Keep“ auf den ersten Blick ganz anders sind als der Part, der Sie berühmt machte, haben all diese Frauen doch etwas gemeinsam: Sie sind innerlich aus Stahl. Sehen Sie da eine Verbindung?
Das ist eine sehr gute Frage. Lisbeth Salander war sehr leicht zu spielen, ich kreierte sie aus mir selbst heraus. Aus Kapiteln in meinem eigenen Leben. Denn als ich ein Teenager war, war ich ihr sehr ähnlich. Ich habe so viel Wut und Traurigkeit in mir getragen, wobei sich mein Unglücklichsein als Zorn geäußert hat, wie das meistens ist. Du kannst ja nicht die ganze Zeit unglücklich rumlaufen, also ist der Mechanismus, der einsetzt, dass du deinen Gram anders rauslassen musst. Ich habe mich selbst programmiert, niemals Schwäche zu zeigen, niemanden sehen zu lassen, dass ich einsam bin oder Angst habe. Ich wollte Stärke projizieren, aber stattdessen wurde es Zorn. Und ich musste nur diese Türen in mir öffnen, um Lisbeth zu spielen. Bei den anderen Rollen, die Sie angesprochen haben, war mir die Ähnlichkeit nicht von Anfang an klar. Erst, als ich vor der Kamera stand, und diese Emotionen empfinden musste, wusste ich, okay, das habe ich auch alles in mir. Ich kann das spüren.
Ist das immer Ihr Zugang bei neuen Rollen?
Ja, es ist seltsam, als ich „Passion“ mit Brian De Palma in Berlin gedreht und mich darauf vorbereitet habe, wurde mir klar, dass ich immer mit dem inneren Schmerz beginne, mit der Trauer, dem Leiden. Für mich ist es immer das gebrochene Herz, das eine Person prägt.
Muss man als Schauspielerin sensibler sein als Menschen in anderen Berufen?
Ich denke, es hilft. Aber es ist auch anstrengend. Weil man es nicht abdrehen kann, oder wenigstens die Pausetaste drücken. Ich heule los, wenn ich mir die Nachrichten ansehe. Wenn ich sehe, welch grauenhafte Dinge sich in der Welt abspielen. Das bricht mir das Herz. Ich habe begriffen, dass ich die emotionale Hochschaubahn, die Frustration in etwas umwandeln muss, das es mir ermöglicht, anderen Menschen zu helfen. Manchmal ist das durch einen Film, der beim Zuschauer Gefühle weckt. Oder ein Teil von Kunst zu sein, von Geschichtenerzählen. Und das ist ein lebenslanges Versprechen, das ich halten will.
Gibt es Regisseure, die mit Ihnen aufgrund Ihres ersten Karrierehits arbeiten wollen?
Ja, Ridley Scott! Ich habe ihn zum ersten Mal in L.A. getroffen, weil er das wollte. Er hat gesagt, dass er „Verblendung“ dreimal gesehen hat, weil ich ihn so beeindruckt habe und er unbedingt mit mir arbeiten will. Ich bin fast vom Stuhl gefallen. Er ist einer meiner Helden, ich habe alle seine Filme gesehen. Und dann bekam ich die Rolle in „Prometheus“. Ich habe lange nicht geglaubt, dass das alles wahr ist, ich sprach damals nur wenig Englisch und warum würde das Studio eine unbekannte schwedische Schauspielerin in einem so großen Film akzeptieren? Es war auch das erste Mal, dass ich so hart trainiert habe für eine Rolle. Was nicht heißt, dass ich mich nicht verletzt hätte. Wir drehten in Island und ich hatte die ganze Zeit eine Schwellung in der Größe eines Pingpongballs am Ellbogen. Das ist übrigens die Stelle, die ich mir an jedem Actionfilm seither verletze – ich nenne ihn meinen „Prometheus“-Ellbogen.
Hat Ihr 18-jähriger Sohn "Verblendung" schon gesehen?
Nein, und es ist lustig, weil ich ihn erst kürzlich gefragt habe, weil ich wusste, dass seine Freunde es gesehen haben. Er will es nicht sehen, wegen der Vergewaltigungsszene, und weil er ohnehin brutale Filme nicht mag. Er liebt dafür "What Happened To Monday", einen anderen Film von mir, den hat er mehrmals gesehen. Und "Sherlock Holmes: A Game of Shadows". Er ist sehr streng mit mir. Und absolut nicht beeindruckt. Jedes Mal, wenn ich ein neues Projekt beginne, fragt er mich „Wen spielst du, und wird das wieder so ein düsterer Film? Wirst du dich wieder verletzen? Was musst du dir antun, um in diese Rolle zu schlüpfen?“ Er ist sehr praktisch veranlagt. Und viel cooler als ich. Er ist ein toller Tänzer, ich bin furchtbar. Und wenn ich einen Film beendet habe und nach Hause komme, sagt er immer: „Du weißt, dass du in diesem Haus kein Star bist, oder?“
Wo leben Sie und wo fühlen Sie sich zu Hause?
In London. Aber zu Hause ist für mich nicht ein bestimmter Ort, sondern Menschen. Ich habe mich immer als wurzellos gesehen. Meine Wurzeln finde ich nur in den Connections zu anderen Leuten. Ich kann irgendwo sein, aber wenn ich mit jemanden essen gehe, einen netten Abend mit guten Gesprächen verbringe, dann ist es gleichgültig, wo ich mein Haupt bette. Denn ich habe mich wohl gefühlt, mich sicher gefühlt. Ich habe vor einigen Jahren erkannt, dass ich meine eigene Geschichte bin, meine eigene Familie bin, dass ich meine Reise durch das Leben selbst kreiere. Ich bin keine Konsequenz, ich folge nicht den Wegen, die meine Eltern für mich geschaffen haben. Ich weigere mich, das zu tun, denn das wären keine guten Wurzeln.
Noomi Rapace
Die Tochter eines spanischen Flamenco-Sängers und einer schwedischen Schauspielerin wurde in Schweden geboren, aufgewachsen ist sie in Island. Rapace begann schon mit acht Jahren mit dem Schauspiel. Ihren internationalen Durchbruch hatte sie mit der Rolle der Hackerin Lisbeth Salander in den Verfilmungen der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson. Daraufhin spielte die 41-Jährige u. a. in Ridley Scotts „Prometheus“, in Brian De Palmas „Passion“, im Netflix-Thriller „Close“ und in der Amazon-Serie „Tom Clancy’s Jack Ryan“. Rapace hat einen 18-jährigen Sohn und lebt in London.
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