Nitschs Bayreuther "Walküre"-Aktion spaltete das Publikum
Es war, was das Prestige betrifft, wohl der Höhepunkt seiner Karriere: Der österreichische Aktionskünstler, einst skandalisiert, längst schon als fixe Größe etabliert, wurde nach Bayreuth eingeladen, eine Aufführungsserie von Richard Wagners "Walküre" mit einer Malaktion zu begleiten. Was er daraus machte? Alles andere als eine Begleitung, eine sondern eine große Kunstaktion, die das Publikum begeisterte, viele Besucher aber auch irritierte.
Nitsch saß, nicht sichtbar, neben der Bühne und dirigierte zehn Assistenten, die aus Farbkübeln eine riesige Leinwand auf dem Boden beschütteten, mit Besen und mit den Händen die Farbe verrieben oder von oben auf drei große Wände rinnen ließen.
Nitsch-Kenner wissen freilich, wie spektakulär eine solche Aktion abläuft und wie farbenprächtig das Ergebnis zumeist ist. Zur Musik von Wagner passt die Kunst von Nitsch aber besonders gut (nur zu "Parsifal“ hätte sie noch wesentlich besser gepasst).
Wie der Bayreuther Meister versteht sich der alte Herr aus Österreich als Gesamtkünstler. Wie Wagner versucht er, verschiedene Kunstformen zu verbinden. Und wie zahlreiche Künstler in der Kulturgeschichte ist Nitsch auch ein Synästhetiker (Vermischung der Sinne). Tonarten sind Farben zugeordnet, Musik kann man demnach sehen (oder umgekehrt Farben hören).
Der erste Aufzug beginnt in Blau und Grün, bei der Blutschande des Wälsungenpaares wird es kräftig Rot.
Der zweite Aufzug ist von viel Schwarz gekennzeichnet - und kippt am Ende ebenfalls ins Rote.
Und im dritten Aufzug beginnt der Walkürenritt in hellem Gelb, dann kommen Orange und Pink dazu, am Ende beim Walkürenfelsen leuchtet die Bühne wieder in allen Rotschattierungen.
All das ergibt, unabhängig davon, ob man jede Farbgebung sofort versteht, die vielleicht faszinierendste konzertante Aufführung seit Jahrzehnten.
Apropos konzertant: Die Sängerinnen und Sänger stehen zwar an der Rampe, interagieren aber dennoch. Tomasz Konieczny ist für den Österreicher Günther Groissböck als Wotan eingesprungen und singt kraftvoll wie immer, aber auch stark forcierend. Lise Davidsen ist eine spektakuläre Sieglinde, Klaus Florian Vogt ein besonders lyrischer und recht kultierter Siegmund. Als Brünnhilde attackiert sich Iréne Theorin durch die Partie, Dmitry Belosselskij ist ein martialischer Hunding, Christa Mayer eine solide Fricka.
Das musikalische Probleme der Aufführung ist Dirigent Pietari Inkinen, der allzu viele Passagen verschleppt, Attacken schuldig bleibt. Präzision ist immerhin gegeben, der große Bogen allerdings nicht. Da er im kommenden Jahr den gesamten "Ring des Nibelungen" dirigiert, äußerten erste Besucher bereits Zweifel ob der Richtigkeit der Entscheidung.
Hermann Nitsch wird jedenfalls nicht mehr dabei sein. Mit den empfangenen Buhs ist er aber in Bayreuth in bester Gesellschaft.
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