Nicole Kidman: "Das ist meine Art der Therapie"
Es ist Herbst, und Nicole Kidman hat – wie jedes Jahr – einen Film, der ihr eine Oscarnominierung einbringen könnte. Heuer ist es „Der Distelfink“ nach der Romanvorlage von Donna Tartt, die dafür 2014 den Pulitzerpreis gewann.
Die 52-jährige Mimin spielt neben Ansel Elgort und Oakes Fegley – die beide dieselbe Rolle in verschiedenen Zeitabschnitten verkörpern: Der junge Theo (Fegley) ist mit seiner Mutter im Museum, als dort ein Anschlag verübt wird. Sie kommt ums Leben, der Bub wird von der wohlhabenden Familie Barbor (u. a. Nicole Kidman) aufgenommen.
KURIER: Wie war es mit zwei verschiedenen Darstellern, die dieselbe Rolle spielen, zu arbeiten?
Nicole Kidman: Eigentlich gar nicht ungewöhnlich. In der Geschichte gibt es ja diese Brücke zwischen den beiden, und nach einer Weile habe ich gar nicht mehr darüber nachgedacht, dass es zwei verschiedene Schauspieler sind. Zu Beginn, mit Oakes, bin ich sehr reserviert, weil ich meine Familie davor schützen will, sich emotional da zu tief hineinzulassen. Später, mit Ansel, bin ich viel offener.
In den letzten Jahren haben Sie in „Destroyer“, „Big Little Lies“, „Boy Erased“ und „The Upside“ sehr viele verschiedene Rollen in relativ kurzer Zeit gespielt. Wie wechselt man so schnell, und wie war es dann direkt von „Big Little Lies“ mit dem Dreh zu „Der Distelfink“ zu beginnen?
Die Herausforderung für mich war, vor allem die Stille und die Unbeweglichkeit dieser Frau zu zeigen, ihre komplizierten Emotionen mit sehr wenig Dialog zu porträtieren. Jede kleinste Bewegung und jedes Wort wog daher viel schwerer und bedeutete um so vieles mehr. „Big Little Lies“ war das Gegenteil davon: Da hatte ich sehr viel Zeit, die Rolle zu entwickeln. Oder bei „Destroyer“, wo ich in jeder Szene bin. Ich suche mir immer wieder Rollen aus, die ich noch nicht gespielt habe. Und dann gehe ich zu Castings.
Moment, Nicole Kidman muss noch zu Castings gehen?!
Ja! Weil ich mir oft Projekte aussuche, für die ich vermeintlich nicht erste Wahl bin. Wo ein Regisseur erst einmal gar nicht an mich denkt. Und dann muss ich ihn überzeugen, und das geht nur mit Vorsprechen. Für mich ist die lange Reise einer Karriere das Abenteuer und das Suchen und auch das Versuchen. Und ja, dazwischen fällst du auf die Schnauze, aber du stehst wieder auf. Und immer schlüpfst du in eine andere Person und siehst die Welt durch ihre Augen. Das ist doch ein exquisiter Job. Nein, das ist für mich eigentlich gar nicht wie ein Job, sondern einfach mein Leben.
Sie gehen zum Vorsprechen, aber Sie haben inzwischen genug Power in Hollywood, dass Sie sich Ihre Co-Stars aussuchen können …
Bis zu einem gewissen Grad. Am Ende ist es immer ein gemeinsames Vorsprechen, damit ich, aber vor allem auch der Regisseur sieht, ob genug Chemie vorhanden ist. Ich habe natürlich mit Oakes gelesen. Und sofort gemerkt, dass er die Stille dieses Films, die Verinnerlichung der Rollen kapiert. Er ist sich seiner selbst sehr sicher, wenn er spielt. Man nennt das Talent.
Der Roman und der Film handeln von Trauer und Verlustängsten. Wovor haben Sie Angst – als Frau, als Mutter, als Mensch in dieser sehr beunruhigenden Zeit, in der wir leben?
Ich habe sehr viel Angst. Ich will das jetzt nicht analysieren, weil ich immer das Gefühl habe, dass ich es ohnehin mit meinen Rollen mache, und vielleicht ist das ja meine Art der Therapie. In diesem Film kommt es besonders stark heraus. Donna Tartt und dann John Crowley, der Regisseur, sind mit dem Thema Verlust sehr gut umgegangen. Der Film ist sehr emotional, aber auch sehr hoffnungsvoll.
Das ist ja nicht Ihre erste Rolle, wo Sie eine traumatisierte Frau darstellen. Wie geht man damit während des Drehs um?
Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe mich damit beschäftigt und gelernt, dass ein Riesenteil der Heilung damit zu tun hat, wie man das Trauma konfrontiert. Man kann es nicht unterdrücken. Und ich habe durch das Spielen solch traumatisierter Menschen entdeckt, dass mein Körper den Unterschied zwischen echt und gespielt nicht erkennen kann. Ich weiß zwar mental, dass ich nicht diese Frau bin, aber physisch reagiere ich, als ob mir das Trauma tatsächlich selbst passiert wäre. Das abzuschütteln, ist am Ende des Drehtages zwar schwierig, aber enorm wichtig. Denn es würde einen sonst krank machen.
"Der Distelfink" ist eine Metapher für etwas Besonderes, an dem man hängt, ein Schatz, ein Lieblingsstück. Haben Sie so etwas?
Ich habe zu viel. Ich versuche gerade, mich von Dingen zu lösen, an denen ich zu sehr hänge. Wir haben aber ein Spielzeug, ein Schmusetier, das mein Mann bekam, als er klein war. Er hat es an unsere ältere Tochter weitergegeben, und sie schläft immer damit. Es ist schon ganz alt und verfilzt, aber kürzlich hat sie gemeint, dass sie es einmal an ihre Kinder weitergeben will, daher müssen wir darauf achten, dass es nicht zerfällt.
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