Nicole Kidman sieht im neuen Film "wie ein echter Mensch" aus
Karyn Kusama gehört zu den wenigen Frauen in Hollywood, die sogenanntes Männerkino machen. Boxkämpfe („Girlfight“), Verfolgungsjagden, Schießereien und Drogendeals gehören bei der 51-jährigen Amerikanerin zum Standard-Repertoire. Kein Wunder – ihr großes Vorbild heißt Kathryn Bigelow.
In dem Cop-Thriller „Destroyer“ (derzeit im Kino) zeigt sie Nicole Kidman, wie sie noch nie zu sehen war: Als verwahrloste und alkoholkranke Polizistin, die den Mord an einem Dealer aufklären soll und in ihre düstere Vergangenheit eintaucht.
KURIER: Frau Kusama, ursprünglich hätte ein Mann die Hauptrolle in „Destroyer“ spielen sollen, doch dann entschieden Sie sich dazu, die Rolle einer Frau zu geben. Warum?
Karyn Kusama: Ich glaube, wir alle haben schon sehr viele Filme gesehen, in denen selbstzerstörerische Männer am Werk sind. Aber nun ist diese Person eine Frau: Sie überschreitet moralische Grenzen, trifft unglaublich schlechte Entscheidungen und zerstört damit ihr eigenes Leben. Das Publikum denkt vielleicht zuerst, es würde einfach einen Thriller sehen, in dem eine Polizistin einen Mord aufklärt. Doch dann wird die Sache immer komplexer – und der Umstand, dass es sich dabei um eine Frau und noch dazu um eine Mutter handelt, macht es einfach interessanter. Es fügt dem Polizei-Thriller-Genre eine neue Variante hinzu.
Stimmt es, dass sich Nicole Kidman von selbst dazu angeboten hat, diese Rolle zu spielen?
Ja, das stimmt (lacht). Ich gebe zu, ich hätte nie an eine Schauspielerin ihres Kalibers gedacht, deswegen war es eine ziemliche Überraschung. Sie las das Drehbuch, rief mich an und sagte: „Ich hoffe, Sie denken bei der Besetzung der Rolle an mich.“ Sie ist keine, die davon ausgeht, dass ihr alles in den Schoß fällt. Ich fand das toll.
Als Polizistin mit Alkoholproblem sieht Nicole Kidman gealtert und abgeschabt aus, aber auch seltsam schön – weil ungewohnt und anders.
Oh ja, ich finde auch, dass sie schön aussieht. Sie sieht aus wie ein echter Mensch. Wenn ich mich selbst in den Spiegel schaue, sehe ich vieles von ihr auch in meinem Gesicht. Ich finde es etwas beleidigend, wenn Leute davon sprechen, wie „hässlich“ Nicole in meinem Film ist. Meines Erachtens sieht sie charismatisch und beeindruckend aus. Aber das ist ohnehin das Problem unserer Kultur: Wir betrachten weibliche Stars auf der Leinwand als gerahmtes Objekt. Aber sie weigert sich, das Objekt zu sein. Sie stellt das Zentrum der Geschichte dar, und das gibt ihr Schönheit und Kraft. Ich kann meine Augen nicht abwenden, wenn ich sie auf der Leinwand sehe.
Gab es so etwas wie Vorbilder für ihr strapaziertes Aussehen?
Ja, die gibt es (lacht). Ich studierte eine Unmenge von amerikanischen Polizeifotos von Leuten, die gerade verhaftet worden sind. Viele davon haben ein Alkoholproblem. Ich habe eine fast morbide Faszination an Körpern, die vor unseren Augen auseinanderfallen. Ich konzentrierte mich beispielsweise speziell auf Fotos von Menschen mit Amphetamin-Sucht. Alkohol und Drogen verändern das Aussehen der Haut, der Augen, der Zähne bereits innerhalb eines halben Jahres enorm. Manche Leute finden ja, dass Nicole in dieser Rolle extrem aussieht – aber in Anbetracht ihres Lebenswandels sieht sie meines Erachtens noch ziemlich gut aus (lacht). Aber die Entscheidungen aus der Vergangenheit schlagen sich in ihrem Äußeren nieder. Dieses Rätsel – was in der Vergangenheit passiert ist – versucht der Film zu lösen.
Es hat sie verändert.
Wir kennen das ja alle aus dem eigenen Leben: Man läuft in jemanden hinein, den man 20 Jahre lang nicht gesehen hat und erkennt ihn kaum wieder. Nur die Person selbst weiß, was sie sich angetan hat. Ich fand es auch interessant, eine Figur im Mittelpunkt zu haben, die andauernd mit der Frage konfrontiert wird: „Du siehst total Scheiße aus! Was ist denn mit dir passiert?“ Solche Fragen beschäftigen mich auch im echten Leben.
Nicole Kidman muss schießen und sich prügeln. Wie haben Sie sie darauf vorbereitet?
Sie hat mit Waffenspezialisten geprobt, die ihr die richtigen Bewegungen gezeigt haben. Ich habe ihr Artikel über Banküberfälle gegeben, die grässlich schief liefen. Aber ich habe ihr auch ganz andere Dinge geschickt, wie Bilder von wilden Kojoten, die in Rudeln durch die Straßen von Los Angeles laufen. Ich habe sie dazu ermutigt, sich selbst als wildes Tier zu denken, das durch die Straßen läuft und seine Rotte sucht. Sie hat mir später erzählt, dass die Tierbilder am hilfreichsten für ihre Vorbereitungen waren.
Sie erzählen die Stadt Los Angeles als Noir-City, in der es gleichzeitig sehr hell ist.
Die Sache mit Los Angeles ist die, dass es dort immer so sonnig ist – und es hört nie auf. (lacht) Manchmal möchte man diesem endlosen Sonnenschein einfach nur entkommen. Wir haben uns darum bemüht, das Sonnenlicht hart und unbarmherzig aussehen zu lassen – wie die Dunkelheit im Film Noir.
Sie erwähnten Kojoten: Wenn Christian Bale sich für eine Rolle „hässlich“ macht, nennt man das Schauspiel, wenn es Frauen machen, nennt man das mutig. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, es gibt ein kulturelles Unbehagen damit, wenn Frauen aussehen wie normale Leute. Wir haben Angst davor. Wir wollen, dass Nicole Kidman immer schön aussieht – weil es eine Fantasie ist, die sie damit bedient. Dabei ist das Älterwerden interessant. Es betrifft uns alle. Wir werden nicht nur älter, wir sterben auch. Deswegen mache ich gerne Filme, die uns daran erinnern.
Dass wir sterben müssen?
Ja! (lacht). Das müssen wir alle, und es ist Wert, darüber nachzudenken. Wenn wir uns das öfter vor Augen hielten, wäre unser Leben vielleicht interessanter und aufregender. Ich glaube wirklich, dass unsere Kultur gesünder wäre, wenn wir offener über den Tod reden würden.
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