Ums Eck gedacht
Die Ausstellung „Avantgarde and Liberation“, die das Haus nun, mit frisch abgedichtetem Dach und zahlreichen Upgrades im Bereich Klima- und Sicherheitstechnik, an den Start bringt, ist ebenfalls keine leichte Kost, wenngleich sie äußerst durchdacht, präzise und sehr gut gestaltet ist. Sie passt gewiss zur Institution, deren räumliche Hülle zumindest materialtechnisch kein Elfenbeinturm ist. Das Konzept der Schau ist allerdings nicht gerade ein offensives Zeichen der Öffnung gegenüber einem breiten Publikum, um es vorsichtig zu formulieren.
Das Kuratorenduo Christian Kravagna und Matthias Michalka zeigt in „Avantgarde and Liberation“ zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler abseits des westlichen Kanons. Kriterium der Auswahl ist, dass die Werke ihrerseits auf historische Figuren einer nichtwestlichen, sogenannten „dekolonialen Moderne“ verweisen, die Befreiungsbewegungen ab den 1920er-Jahren begleiteten. Es geht also um „Kunst über Kunst“ – wie so oft in der Gegenwart, wobei hier für die Kenntnis der einzelnen Bezugspunkte extrem viel vorausgesetzt wird (Kurator Kravagna hat eine Professur in „Postcolonial Studies“ inne, die Basisliteratur ist auf zwei Büchertischen in der Ausstellung ausgelegt).
Andererseits: Ist das neue Beyoncé-Album nicht auch ein riesiger Referenzdschungel, der sich im Detail schwer entwirren lässt? Gibt es auch die Möglichkeit, in der Vielstimmigkeit einfach den Groove zu finden?
Wer sich lang genug in „Avant-Garde and Liberation“ aufhält, hat diese Option durchaus: Die aus ausrangierten Computertastaturen und Flaschenskulpturen arrangierten Wandbehänge von Moffat Takadiwa sind etwa schlicht starke, sprechende Objekte, deren Verbindungen zu afrikanischen Befreiungsdenkern man nicht zwingend durchblicken muss. Die Porträtserie „Les Bijoux“ der Britin Maud Sulter, die Spuren einer exotischen, angeblich nur mit Schmuck bekleideten „Muse“ von Literaten des 19. Jahrhunderts verfolgt, ist ein ebenso starker Beitrag wie das Video „Sojourner“ von Cauleen Smith, das auf die Anti-Sklavereibewegung ebenso Bezug nimmt wie auf schwarze Selbstermächtigung durch HipHop.
Zitatpfeile
Dass die Zitatpfeile in andere Genres hinausschießen, kommt des Öfteren vor – so verweist etwa der Maler Fahamu Pecou in seinem Werk „A.W.N. (Artist with Negritude)“ auf die literarisch-philosophische „Negritude“-Bewegung ebenso wie auf die US-Rap-Crew N.W.A., deren Akronym für „Niggaz with Attitudes“ steht.
In dem auf drei Ebenen aufgeteilten Parcours wechseln sich zudem geografische Schwerpunkte (Afrika, Amerika, Indien) ab. Nicht ganz logisch erscheint, dass manche künstlerische Positionen mehrfach begegnen – so etwa der in Ghana lebende Serge Attukwei Clottey, der zeitweise in Wien lebte und seine Porträtbilder teilweise mit buntem Gewebeklebeband gestaltet. Es ist ein Hinweis auf Marcus Omofuma, der 1999 erstickte, nachdem ihm während seiner Abschiebung aus Österreich der Mund mit einem solchen Band verklebt worden war.
„Avant-Garde and Liberation“ steht zweifellos nahe an den Gegenwartsthemen und kommt ohne die vordergründige, fahnenschwingende Revolutionsgeste aus, die so manche Kulturevents im Zeichen der „Dekolonisierung“ begleitet. Es bleibt allerdings die Frage, ob die Alternativroute zu einem breiteren globalen Ästhetikbewusstsein zwingend über ein solch steiles intellektuelles Terrain führen muss. Die „Harlem Renaissance“, afrokaribische Bewegungen oder der indische Modernismus der 1940er-Jahre sind noch längst nicht in einer Weise Allgemeingut, als dass ein Museum hier nicht auch etwas Basisarbeit leisten könnte.
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