Auch wenn der Untertitel von einer „transatlantischen Moderne“ spricht, ist die Harlem Renaissance in Europa kein solch vertrauter Begriff wie jene, die wir mit Florenz oder Rom assoziieren. Im Grunde geht es um jene kulturelle Blüte, die sich im frühen 20. Jahrhundert entwickelte, als Afroamerikaner in Folge der Industrialisierung zunehmend vom Süden der USA in die Metropolen des Nordens zogen. Bei aller anhaltenden Diskriminierung ermöglichte die dortige Wirtschaft die Heranbildung einer schwarzen Mittelklasse und einer schwarzen intellektuellen Elite. Der New Yorker Stadtteil Harlem wurde zu ihrem prominentesten, aber bei weitem nicht einzigen Zentrum.
Intellektuelle Elite
Der Soziologe W.E.B. Du Bois war 1895 der erste Afroamerikaner, der – nach einem Auslandsstipendium in Berlin - einen Doktortitel an der Harvard-Universität erlangte. Ihm folgte der Philosoph Alain Locke, der – nach Aufenthalten in Paris und Berlin – 1918 als erster Schwarzer ein „Rhodes Scholarship“, das renommierteste Stipendium der USA, zugesprochen bekam.
Du Bois und Locke gelten als die „Väter“ der Harlem Renaissance: Mit ihren Theorien und Manifesten forderten sie die Ausbildung einer selbstbewussten, unabhängigen und modernen afroamerikanischen Kultur. Doch wie diese genau aussehen sollte, war Gegenstand hitziger Debatten und Lagerkämpfe: Wollte man sich an europäischen Vorbildern orientieren oder doch stärker die Formensprache afrikanischer Ahnen berücksichtigen? Oder gar einen anderen historischen Fluchtpunkt finden und das Alte Ägypten statt der griechischen Antike wieder aufleben lassen? Welchen Platz hatten der Alltag, die Folklore und die ständig erlebte Diskriminierung in der Kunst? Inwieweit sollte diese dem Protest gegen gesellschaftliche Zustände dienen?
Die Ausstellung und der lesenswerte Katalog versammeln hier zahlreiche Publikationen, Gemälde, Zeichnungen und Fotografien, die diese Auseinandersetzungen lebendig werden lassen – viele der Fragen wirken heute ungebrochen aktuell, wenngleich die Referenzgrößen andere sind.
Aus der Perspektive eines europäischen Besuchers ist es erhellend zu sehen, dass die Auseinandersetzungen nicht auf inneramerikanische Fragen beschränkt blieben: Viele der Protagonisten der Harlem Renaissance, die Kunst und Literatur ebenso umfasste wie Musik und Tanz, verbrachten schließlich auch Zeit in Europa, setzten sich mit dortigen Strömungen auseinander – und beeinflussten ihrerseits Künstler vor Ort.
So kam Archibald Motley, der in den 1920 teilweise in Paris lebte, mit der „Neuen Sachlichkeit“ und den satirischen Collagen des Berliners George Grosz in Kontakt. Dieser war seinerseits von dem Siegeszug des Jazz in den „wilden 1920ern“ beeindruckt. Ebenso ein Jazzfan war Henri Matisse, der mit einigen Gemälden in der Schau vertreten ist. Diese gehen auf spätere Ausflüge des Franzosen in New Yorker Jazzclubs zurück.
Die Reduktion der Formen, die sich Matisse, Picasso und andere ab 1907 von afrikanischen Skulpturen abgeschaut hatten, fand als „Primitivismus“ Eingang in die Kunstgeschichtsbücher und wurde später als kulturelle Aneignung kritisiert. Alain Locke, der Philosoph der Harlem Renaissance, begrüßte seinerseits aber durchaus, dass sich europäische Künstler für die Kultur seiner Ahnen interessierten, und ermunterte schwarze Künstler, sich ebenso in diesem Fundus zu bedienen: „Die Kunst muss jene Schönheit entdecken und hervorbringen, die durch Vorurteile und Karikaturen überlagert wurde“, schrieb er.
Wie man gegen Ende der Ausstellung erfährt, beriet Locke in den 1930ern bereits amerikanische Museen und kuratierte Ausstellungen afroamerikanischer Künstler. Seine Idee, diese Seite an Seite mit ihren weißen Zeitgenossen zu zeigen, wurde aber von den Verantwortlichen als „konzeptuell mangelhaft“ abgelehnt.
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