Knallbunte Stoffe, zusammengenäht zu einem Wandteppich, auf dem erst aus der Distanz Figuren zu erkennen sind. Ein riesiges rundes Objekt, aus schwarzen Schnüren in verschiedenen Mustern gewoben. Ein Diorama voll handgenähter Puppen, die an einer Rotlicht-Bar sitzen.
Vor noch nicht allzulanger Zeit hätten solche Werke nicht in einem avancierten Kunstmuseum Platz gehabt – allein die handwerklichen Techniken wären nicht als kunstwürdig erachtet worden. Jetzt aber, in der neuen Ausstellung der Albertina Modern, versteht man darunter „The Beauty of Diversity“, also die Schönheit der Vielfalt. Das Museum demonstriert mit der Schau, dass es, wie zahllose andere Institutionen weltweit, die Erkenntnis erlangt hat, dass das Beharren auf dem immer gleichen, westlichen Kanon zu akademischer Erstarrung führt – und zudem große Teile des globalen Kunstschaffens nicht mehr abbildet.
Der US-Soziologe Howard Becker unterschied in seiner 1984 erschienenen Studie „Art Worlds“ vier verschiedene Künstlertypen: „Etablierte Profis“ nannte er jene, die in der elitären Sphäre der Museen, Galerien, Akademien und Preise reüssieren; „Mavericks“ jene, die ebenso Teil dieser Szene sind, aber gegen deren Regeln anrennen. Abgekoppelt davon sah Becker „Folk Artists“, deren Kunst abseits der Museen verwurzelt ist und oft religiöse oder gemeinschaftsstiftende Zwecke erfüllt. Als „naiv“ bezeichnete er die Kunst jener Menschen, die außerhalb jedes Systems kreativ sind, teils aus obsessivem Antrieb heraus.
Durchlässig waren diese Sphären immer schon – die Diversitäts-Ästhetik macht nun glauben, ihre Grenzen seien vollständig implodiert.
Diversifiziertes Portfolio
Doch natürlich ist eine Investmentbank, die ihr Portfolio auf erneuerbare Energien erweitert, ihrem Wesen nach weiterhin eine Investmentbank. Und die Albertina-Ausstellung ist nicht zuletzt eine Leistungsschau, die vorführt, welche Ankäufe dem Museum in den vergangenen Jahren gelungen sind. Chefkuratorin Angela Stief hat sich dafür einen fetten Bonus verdient, denn die Menge und Qualität der Neuerwerbungen ist in der Tat beeindruckend. Das System dahinter ändert sich aber nicht unbedingt: Der Weg ins Museum führt weiterhin über professionelle Akteure, etablierte Auswahlprozesse und potente (hier absichtlich nicht gegenderte) Geldgeber.
Bei Hans Peter Haselsteiner – der Investor legte jüngst seine Rolle in der Start-up-Show „2 Minuten 2 Millionen“ zurück – konnte Stief erfolgreich „pitchen“, mit der Folge, dass kapitale neue Porträts des Ghanaers Amoako Boafo nun Teil der Sammlung sind. Als der Maler noch nicht internationaler Kunstmarkt-Star war, hatte ihm der „Strabag Kunstpreis“ ersten Ruhm in Wien beschert – auch einige Werke dieser Periode sind zu sehen.
Flankiert werden sie von Werken von Alexandre Diop, der ausdrucksstarke Figuren aus Materialcollagen schafft. Eine echte Entdeckung ist Aïcha Khorchid, deren Biografie von vielen Entwurzelungen geprägt ist und die traumatische Erlebnisse – den Selbstmord der Mutter, Übergriffe des Pflegevaters – in Gemälde bannte, die ins Mark treffen.
Immer wieder wirft Stief den Anker zu älteren Werken der Sammlung aus: Zu Franz Ringels düster-bunten, geschlechtlich uneindeutigen Wesen der 1960er, zum Symbol-Dschungel des Gugginger Künstlers August Walla oder zu Emily Kame Kngwarre: Sie ist eine Hauptvertreterin der Aboriginal Art, für die sich der Unternehmer Karlheinz Essl einst begeisterte. In Australien zeigte man ab den 1970ern den Transfer einer ehemals in Ritualen verankerten Kunst auf Leinwände und den Kunstmarkt vor.
Transferleistungen
Man kann der Schau vorwerfen, dass sie solche Prozesse nicht kritisch thematisiert. Dass die Diversifizierung des Kunstportfolios im strategischen Sinn klug ist, beantwortet auch nicht die Frage, ob sie im ästhetischen Sinn „schön“ ist. Tatsächlich rennt vieles gegen tradierte Vorstellungen von Schönheit an: Jonathan Meeses wilde Plastik, die Mona-Lisa-Plastillinvariationen der Gruppe Gelatin, die abgründigen Collagen von Ines Doujak.
„Schön“ ist der Umstand, dass diese Kunst sichtbar ist und Gewohnheiten herausfordert. Dass die Kunstwelt dadurch weniger exklusiv, die Welt gar gerechter wird? Eine schöne Vorstellung.
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