Mit Kultur in die Offensive gehen

Peter De Caluwe.
Der Chef der Brüsseler Oper, Peter de Caluwe, über Integration, Ausbildung und fehlende Lobbys.

Peter de Caluwe, der Intendant der Brüsseler Oper, kommt mit dem Fahrrad zur Aufführung zum Palais de la Monnaie. Auch der Dirigent Paolo Carignani tritt in die Pedale, um den abseits gelegenen Ort, wo gerade ein neues Stadtviertel entsteht, zu erreichen.

Zugegeben, es ist nicht wirklich ein Palais, in dem in der EU-Hauptstadt zur Zeit Oper gespielt wird, sondern ein Zelt. Eine provisorische Spielstätte auf dem Tour & Taxis-Gelände, einer ehemaligen Hafenstation am Rande des Stadtteiles Molenbeek, der zuletzt als mutmaßliche Terror-Hochburg traurige Berühmtheit erlangte.

Im KURIER-Interview spricht De Caluwe, dessen Musiktheater bereits zwei Mal zum Opernhaus des Jahres gewählt wurde, über Oper in Krisenzeiten und künstlerische Pläne.

KURIER: Sie stehen seit 2005 an der Spitze der Brüsseler Oper La Monnaie. Wie beurteilen Sie aktuell die politische Lage in Brüssel?
Peter De Caluwe:
Brüssel hat ja schon seit einiger Zeit kein besonders gutes Image. Die Stadt steht in der Wahrnehmung vieler Europäer für zu starke Kontrolle, für zu großen Einfluss. Dadurch, dass angeblich viele Terroristen aus Brüssel kamen, hat sich das natürlich noch einmal verschärft. Gesellschaftspolitisch ist leider das eingetreten, was wir immer gesagt haben: Es gibt einen Mangel an Integration und an Kultur.

Was können Sie mit einem Opernhaus in dieser Situation leisten?
Durch Kunst und Kultur kann man Menschen das Verständnis füreinander beibringen. Aber das Problem beginnt schon in den Schulen. Musik, Theater, Geschichte – das spielt heute keine Rolle mehr im Unterricht. In Ungarn werden allen Ernstes sogar die Geschichtsbücher für die Schulen neu geschrieben. In vielen Ländern, auch in Österreich, sind die rechten und manchmal rechtsradikalen Parteien extrem stark. Das sind gefährliche Entwicklungen.

Mit Kultur in die Offensive gehen
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Was wäre eine adäquate Antwort?
Die Kultur müsste wieder stärker in die Offensive gehen. Wir verteidigen uns im Kampf gegen den Terrorismus gegen einen Feind, den wir ja nicht kennen. Wenn man angegriffen wird, sollte man sich sich intellektuell wappnen und nicht zurückschlagen. Wenn es an dieser Situation etwas Positives gibt, dann, dass sich wieder mehr Menschen engagieren und Politik wichtig nehmen.

Leiden Kulturveranstalter in Brüssel unter Besucherschwund?
Wir können unseren Status noch gut halten. Aber im Moment kommen definitiv weniger Touristen nach Brüssel. Man darf auch nie vergessen, dass jeden Tag 1,5 Millionen Menschen nach Brüssel fahren, um hier zu arbeiten – aber die sind am Abend wieder fort.

Sie spielen im Moment in einem Ausweichquartier, weil das Opernhaus im Zentrum renoviert wird. Wie lange noch?
Noch diese ganze Saison. Die Wiedereröffnung des Theaters La Monnaie soll am 23. Mai 2017 erfolgen, die erste Premiere dann im September 2017. Das ist zwei Jahre nach der Schließung, viel später als geplant.

Warum diese Verzögerungen? Und was kostet der Umbau?
Wir hatten ursprünglich 45 Millionen Euro für die Sanierung budgetiert. Dann hatten wir 500 Tage lang keine Regierung, und es war kein Beschluss möglich. Danach wurden die Umbaupläne reduziert, und es sollte nur noch 28 Millionen kosten. Aber auch das war für die politischen Entscheidungsträger zu viel, und es wird jetzt in einzelnen Schritten saniert. Die erste Phase kostet etwa 17 Millionen. Die Fassade wird aber erst anschließend saniert. Wir wollten das Zelt, in dem wir hier spielen, ursprünglich der Kölner Oper als Ausweichquartier weitervermieten. Aber jetzt brauchen wir es noch selber.

Wie hoch ist Ihr Jahresbudget?
47 Millionen Euro. 33 davon bekommen wir als Subvention. Wir konnten zum Glück eine Kürzung von 20 Prozent gerade noch abwenden. Aber wir kriegen seit zehn Jahren nicht mehr. Also mussten wir das Personal von 490 auf 390 reduzieren. Es gibt leider keine starke politische Lobby für uns.

Mit diesem Problem sind Sie nicht alleine.
Ja, die Musik hat es generell schwer. Ich mache mir wirklich Sorgen um die nächste Generation. Es gibt keinen Humus mehr, auf dem neue Künstler wachsen können. Es besteht langsam die Gefahr, dass wir in diesem Bereich unsere Identität verlieren. Woher sollen die Musiker künftig kommen, wenn nichts mehr in die Ausbildung investiert wird?

Müssen Sie im Ausweichquartier auch künstlerisch ein Sparprogramm realisieren?Definitiv nicht. Wir versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen und haben in dieser Saison nur Regisseure eingeladen, die ganz neu für dieses Genre sind und die im Opernhaus wohl nicht diese Chance bekommen hätten. Wir machen neun neue Produktionen, von "Capriccio" bis "Madama Butterfly". Die Eröffnungspremiere "Macbeth" hat etwa Olivier Fredj inszeniert. Er erreichte bei uns Platz 2 bei einem Regiewettbewerb, und ich habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, einmal bei "Macbeth" Regie zu führen. Da zog er spontan ein Buch aus der Tasche – das war tatsächlich Shakespeares "Macbeth". Da habe ich ihm gesagt: Du bist eine Hexe, du machst das. Und konzentriere dich bitte besonders auf die Hexen.

Sie haben mit zahlreichen großen Regisseuren intensiv zusammengearbeitet, wie etwa mit Krzysztof Warlikowski. Wie wichtig sind große Namen für Inszenierungen?Warlikowski ist ein echter Glücksfall. Grundsätzlich finde ich es langweilig, wenn alle Theater die gleichen Regisseure engagieren wollen. Das ist nicht innovativ und macht alles zu einheitlich. Interessanter ist es, neue Leute zu entdecken und mit ihnen konsequent zu arbeiten.

Sie werden immer wieder als Kandidat für andere Musiktheater genannt. Wie lange läuft Ihr Vertrag in Brüssel?Bis 2019. Ich wurde von meinem Aufsichtsrat schon gebeten, noch einmal sechs Jahre dranzuhängen. Das freut mich sehr, aber unterschrieben ist noch nichts.

Also die Hexen. Die sind in Brüssel wirklich magisch und verfügen über Zauberkünste. Bei der hier besprochenen Aufführung von Verdis „Macbeth“ sorgten sie für ein Gewitter, das Sänger wie Musiker vor gröbere akustische Probleme stellte. Die jedoch, trotz des auf das Dach des Zeltes prasselnden Regens, bravourös bewältigt wurden.
Der junge französische Regisseur Olivier Fredj, der noch nie zuvor eine große Oper inszenierte, hat für die Hexen in diesem Shakespeare-Stoff, die so viele Theatermacher vor Probleme stellen, eine fabelhafte Lösung gefunden. Die Hexen werden von Tänzerinnen und Tänzern gespielt – und vom Chor aus dem Off (oder wie Publikum sichtbar hinter der Bühne platziert) gesungen. Das ist nicht nur kreativ, sondern enorm frisch, lebendig, teilweise ironisch, aber stets auch ernsthaft.

Die Hexen sind omnipräsent in dem Stück, das diesfalls in einem Hotel, offenbar vom Film „Grand Budapest Hotel“ inspiriert, spielt. Sie treiben ihr Spiel in der Hexenküche, sind das Servierpersonal, treten als Pagen auf – all das ist extrem musikalisch choreografiert.

Paolo Carignani dirigiert das Orchester der Monnaie-Oper kraftvoll, präzise und dynamisch ausgefeilt – klanglich wäre in einem echten Opernhaus natürlich mehr möglich. Scott Hendricks ist ein markanter Macbeth, der einen König wider Willen gut spielt und stimmlich solide bewältigt. Béatrice Uria-Monzon ist eine äußerst dramatische Lady Macbeth, Carlo Colombara ein routinierter Banco. Andrew Richard (Macduff) und Julian Hubbard (Malcolm) singen teils vom Zuschauerraum aus und gar nicht übel.
Eigentlich hätte ja „Macbeth“ in der Warlikowski-Regie im Haupthaus wieder aufgenommen werden sollen – durch die Verzögerungen beim Umbau kam es zu dieser Neuproduktion. Mit einem vielversprechenden Debüt.

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