Michael Maertens zum "Jedermann": "Ich bin nach wie vor stinksauer“
Im Theater ist Burgschauspieler Michael Maertens die Hauptrolle gewohnt. Im Film hatte er bislang meist kleinere Auftritte. Doch nun ist der Ex-„Jedermann“ in einer tragenden Rolle auch im Kino zu sehen – in der Tragikomödie „Das Beste kommt noch!“ von und mit Til Schweiger.
Maertens und Schweiger spielen darin beste Freunde, die nach einem Missverständnis glauben, dass der jeweils andere nur noch zu leben hat. Erst unlängst wurde Schweiger mit Vorwürfen von Machtmissbrauch und Alkoholismus am Set konfrontiert.
Über Til Schweiger kann sich Michael Maertens nicht beklagen. Mit den Salzburger Festspielen aber hat er sich nach dem abrupten Rauswurf als „Jedermann“ noch nicht ausgesöhnt.
KURIER: Herr Maertens, Sie werden bei den nächsten Salzburger Festspielen eine Lesung aus den Briefen des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny machen. Das kommt nach Ihrem Rauswurf als „Jedermann“ überraschend. Ist das ein Zeichen der Versöhnung?
Michael Maertens: Nein, nein, das hat mit Versöhnung überhaupt nichts zu tun. Ich bin nach wie vor stinksauer und finde die Art, wie man mit uns umgegangen ist – und das sage ich auch immer wieder – wahnsinnig unprofessionell, ungehörig und ungeschickt. Aber ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich stehe zu meinem Wort. Wenn ich etwas zusage, dann mache ich es auch – im Gegensatz zu den Festspielen.
Ich habe es auch nicht als Versöhnungsangebot empfunden, und es hat auch nicht mit Versöhnung zu tun. Andererseits muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich arbeite nicht in der Wirtschaft, und es geht in meinem Beruf auch nicht um Leben und Tod. Das habe ich von Menschen wie Jürgen Flimm oder Claus Peymann gelernt und mir fest auf die Fahnen geschrieben: Ich lass mich nicht verbittern, und ich bin nicht nachtragend. Dazu habe ich keine Zeit.
Sie spielen gerade an der Seite von Til Schweiger in dessen Tragikomödie „Das Beste kommt noch!“ Ist das Ihre erste große Kinohauptrolle?
Michael Maertens: Ja, das kann man so sagen. Ich hatte in den „Bibi & Tina“-Filmen von Detlev Buck eine relativ große Rolle und spielte in ungefähr zwölf Fernsehfilmen eine Hauptrolle. In Kinofilmen aber werde ich immer für leicht skurrile Sonderlinge eingesetzt. Das hier war jetzt das erste Mal, dass jemand das Vertrauen in mich hatte und sagte: „Du kannst so einen Film tragen – mit mir gemeinsam.“ Til Schweiger und ich tragen ja beide den Film.
Wie kam es ausgerechnet zu einer Zusammenarbeit mit Til Schweiger?
Ich fand es schon immer ein bisschen ungerecht, wie Til Schweiger vom deutschen Feuilleton behandelt wird, das ihn nicht ernst nimmt. Es gibt Arthousefilme, tolle Krimis und wahnsinnig schöne Kunstfilme, aber es gibt eben auch ein breites Unterhaltungsgenre. Es gibt nicht viele Regisseure, die wie er über Jahrzehnte die Kinos füllen können. In Frankreich oder Italien würde man jemandem wie ihm ein Denkmal bauen. Persönlich kannte ich Til Schweiger nicht. Deswegen habe ich mich wahnsinnig gefreut, als ich vom Casting angerufen wurde. Das war während Corona und ich musste das Vorsprechen in meiner Küche per Facetime absolvieren. Als ich dann die Rolle bekommen habe, hat mich das sehr gefreut.
➤ Maertens über Trennung von Hörbiger: "Wollte Scheidung vernünftig angehen"
Gegen Til Schweiger wurden Vorwürfe wegen Alkoholisierung am Set und schikanöser Bedingungen während Dreharbeiten erhoben. Wie haben Sie das erlebt?
Dazu kann ich insofern wenig sagen, weil unser Film vor „Manta, Manta – Zwoter Teil“ gedreht wurde, also bevor diese Vorwürfe erhoben wurden. Ich selbst habe Til Schweiger als einen wirklich reizenden, mit Herzblut und Besessenheit arbeitenden Menschen kennengelernt, der sich wahnsinnig kollegial um alle gekümmert und sich auch für alle verantwortlich gefühlt hat.
Ihnen ist also nichts aufgefallen?
Was mir tatsächlich auffiel, war sein großer Schlafmangel in Kombination mit zu viel Arbeit. Ich dachte manchmal: „Mein Gott, Junge, du musst mal auf die Bremse drücken, das ist vielleicht alles zu viel für dich.“ Und kurze Zeit später ist ja dann auch alles mit zu viel Alkohol und dergleichen eskaliert. Ich habe jetzt ein paar Mal mit ihm gesprochen und den Eindruck gewonnen, dass es ihm sehr viel besser geht. Ich kenne auch Menschen, die ihm sehr nahestehen und bestätigen, dass er sich in guter Behandlung befindet und sich wahnsinnig Mühe gibt. Ich sag das nicht nur wegen unseres Films, aber ich kann wirklich nur Positives berichten. Ich kenne auch viele Kollegen, die schon bei Schweiger am Set waren und sagten, dass er Schauspieler ganz toll behandelt. Es war ja meine erste große Rolle und ich war am Anfang ein bisschen ängstlich und nervös. Insofern war es sehr hilfreich, dass da jemand so liebevoll mit mir umgegangen ist.
Zumindest in dem Film wirken Sie beide wie ziemlich beste Freunde.
Das sind wir nicht, aber wir haben uns wahnsinnig gut verstanden. (lacht) Er hat sich auch ein bisschen in meine darstellerischen Fähigkeiten verliebt und darüber bin ich natürlich stolz. Es wird ja immer von ihm behauptet, dass er nur sich selbst spielen kann, aber das stimmt nicht. Aber er ist ein ganz behutsamer, guter Schauspieler und Regisseur. Ich habe von ihm viel gelernt. Das muss ich jetzt sagen, weil ich für den Film Werbung machen will (lacht). Aber ich lüge nicht: Mir wächst jetzt auch keine Pinocchio-Nase. Die Zusammenarbeit hat richtig gute Laune gemacht.
Sie spielen einen uncoolen Uni-Professor namens Arthur. Ist das eine Figur, mit der Sie viel anfangen konnten?
Ich muss gestehen, mir hat diese Figur wahrlich gut gefallen. Dieser Arthur hat mich in seiner Unbeholfenheit, in seiner Spießigkeit, in seiner Liebessehnsucht und auch in seiner Verkrampftheit sehr gerührt. Er macht ja auch eine Wandlung vom Spießer hin zu einem offeneren Menschen durch, und das mögen Schauspieler natürlich immer gerne. Es macht Spaß, diese Entwicklung zu spielen.
➤ Neuer "Jedermann" Maertens: "Kickl macht mir richtig Angst"
Schon Ihr Outfit mit Schnürlsamthose und Pullunder signalisiert den Spießer. Hatten Sie bei der Rollenvorbereitung ein bestimmtes Vorbild im Hinterkopf?
Ja , ich durfte in meinem Leben schon des Öfteren überforderte, mit Zwängen behaftete Figuren spielen. Natürlich denke ich da an irgendwelche Physik- oder Chemielehrer, die ich früher hatte. Ich denke sogar an Loriot, der gerade 100 Jahre alt geworden wäre. Der war ja ein Meister der Verkörperung von verklemmten Menschen.
Da hat man natürlich seine innerlichen Gedankenanstöße. Vorbilder möchte ich das aber nicht nennen. Ich versuche immer die Rolle an mich heranzuholen.
Ein Teil des Dramas, aber auch der Komik des Films ergibt sich daraus, dass Arthur seinem Freund über seinen fatalen Gesundheitszustand nicht die Wahrheit sagt. Wie sehen Sie das? Muss man immer die ganze Wahrheit sagen?
Ich habe ein sehr großes Harmoniebedürfnis und das führt manchmal dazu, dass ich die Wahrheit scheue. Ich weiß aber auch, dass in der Gesundheit die positive Psyche einen großen Einfluss auf den Verlauf einer Krankheit hat. Insofern sind kleine Lügen erlaubt.
Und in der Liebe?
In der Liebe und beim Lieben darf man nicht lügen, das geht wirklich nicht. Das tun wir leider auch immer wieder, aber das ist absolut verboten. Am Ende kommt ohnehin immer die ganze Wahrheit heraus.
➤ Ein Nestroy-Preis für den abgesetzten Jedermann: Maertens bester Schauspieler
Es gibt eine Szene, wo Sie bitterlich weinen. Fällt Ihnen das vor der Kamera leicht oder schwer?
Ich habe oft mit vielen Kollegen darüber gesprochen: Komischerweise ist das befreite Lachen für den Schauspieler schwerer zu spielen als das Weinen. Ich weiß nicht, warum. Ganz offen und ehrlich ansteckend zu lachen ist gar nicht so leicht. Ich kenne Schauspieler, die können auf Knopfdruck weinen, aber bei mir geht das überhaupt nicht. Deswegen nehme ich da heimlich Hilfsmittel, die es beim gibt Film.
Haben Sie Zwiebelringe eingesteckt?
Das verrate ich nicht, aber es hat etwas mit den Augen zu tun, ja. (lacht)
Theater
Michael Maertens, geboren 1963 in Hamburg, hatte zahlreiche Engagements u. a. am Schillertheater in Berlin, den Münchner Kammerspielen und dem Berliner Ensemble. Seit
2009/10 ist er Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. 2005 und 2023 erhielt er den Nestroy-Preis. 2023 spielte er den „Jedermann“ in Salzburg. Derzeit probt er am Burgtheater „Dantons Tod“; Premiere ist am 16. Dezember
Film
Maertens spielte in Kino- und Fernsehfilmen, u. a. in den „Bibi & Tina“-Filmen von Detlev Buck. Unter der Regie von David Schalko drehte er die Miniserie „Kafka“. Demnächst im Kino ist er in Simon Verhoevens „Girl you know it’s true“ zu sehen. Derzeit spielt er neben Til Schweiger in „Das Beste kommt noch!“
Eine Frage, die die Freunde beschäftigt, lautet: Was tun wir, wenn wir nur noch ein halbes Jahr zu leben hätten. Was würden Sie tun?
Das ist wahnsinnig schwer. Ich habe natürlich auch drüber nachgedacht. Ich bin in meinem Leben so beschenkt worden. Das sage ich nicht kokett, das ist so. Es gibt so wenig Wünsche, die ich tatsächlich habe. Es gibt allerdings einen Wunschtraum, den ich mir erfüllen möchte, und zwar möglichst so, dass ich die Natur nicht beschädige. Ich habe eine Afrika-Sehnsucht. Ich möchte unbedingt bald mit Freundin und meinen Kindern, solange sie noch nicht zu erwachsen sind, eine Safari machen. Natürlich nicht so eine doofe touristische Safari, sondern eine, wo man auch für die Natur etwas tun kann. Es gibt so etwas wie Fernweh, und mein Fernweh geht Richtung Afrika.
Der mittlerweile leider verstorbene Peter Simonischek spielt in „Das Beste kommt noch!“ eine seiner letzten Rollen. Ihre Erinnerung daran?
Das war wahnsinnig schön. Wir hatten drei gemeinsame Tage in den verschneiten Bergen und haben viel miteinander geredet. Ich hatte gerade erfahren, dass ich den „Jedermann“ spielen würde, und er hat mir viel über die Rolle erzählt. Manchmal sind ältere Kollegen ein bisschen verbittert oder skeptisch gegenüber den Jüngeren, oder behaupten, dass früher alles besser gewesen sei. Aber Peter war so ein offener, neugieriger und dadurch für jeden Kollegen bereichernder Mensch. In seiner Umgebung zu sein war immer sehr glamourös, man war sehr stolz darauf und hat viel davon profitiert.
Fühlen Sie sich mehr auf der Bühne zu Hause als im Film?
Ja, absolut. Ich bin der Kamera 15 Jahre aus dem Weg gegangen und habe alle Filmangebote abgelehnt, weil ich sogar Angst vor der Kamera hatte. Dann kam irgendwann Detlev Buck und hat mich zu den „Bibi & Tina“-Filmen überredet. Im Theater bin ich zu Hause, im Film bin ich zu Gast.
Kommentare