„Wiener Zeitung“: Es hat sich ausgedruckt
Der Countdown auf der Titelseite der Wiener Zeitung läuft … ab. Am Freitag, 30. Juni, erscheint die letzte Ausgabe der aktuell ältesten Tageszeitung der Welt am Markt. 1703 gegründet, ist nach den Beschlüssen der schwarz-grünen Regierung die Zukunft der republikseigenen Wiener Zeitung ab 1. Juli ganz anders und vor allem digital.
Eike Kullmann, Vorsitzender der Journalistengewerkschaft, spricht gegenüber dem KURIER von einem „Vernichtungsirrsinn“, der den Qualitätsjournalismus trifft und damit sinnbildlich für die Medienpolitik im Land steht. Vielfachen Protest, prominent und breit getragen, gab es in den vergangenen Monaten. Dessen Tenor: Schwarz-Grün vollende unsinnigerweise ein Zerstörungswerk, das Türkis-Blau beschlossen habe.
Vorwürfe musste sich auch Geschäftsführer Martin Fleischhacker gefallen lassen. Ist er der Totengräber der Wiener Zeitung? „Nein, ich hoffe nicht. Wir setzen derzeit einen immensen, aber notwendigen Schritt der Transformation, indem wir uns vom Kanal Papier wegbewegen“, sagt er im KURIER-Interview (Langfassung hier).
Begrenzte Möglichkeiten
Die Verkaufsauflage lag zuletzt bei 8.000 Stück, es gab 6.600 permanente Abonnenten. Es gab mehr Leser über 90 als unter 40. Der Jahresumsatz lag bei 24 Millionen, wobei 20 Millionen über das Amtsblatt kamen. Fleischhacker: „Das zeigt eindeutig die wirtschaftlichen Möglichkeiten ohne Amtsblatt.“
Diese „Zwangsveröffentlichungen“ sind nach einer EU-Verordnung kein Geschäft mehr. Staatliche Zuwendungen sind heikel, weil ein Wettbewerbsthema. Und Österreich sei nicht der Markt, auf dem es möglich wäre, eine weitere Tageszeitung zu refinanzieren. Fleischhacker: „Daraus ergab sich, dass es einschneidende Veränderungen geben muss, damit nicht eintritt, was in den Jahren davor – ich bin seit 20 Jahren hier – mehrfach überlegt wurde, die Kompletteinstellung der Wiener Zeitung.“
80 Mitarbeiter von 200 – Redaktion wie Administration – waren zur Kündigung angemeldet, um die 60 werden es sein. Fleischhacker: „Wir sind bezüglich Weiterbeschäftigung rein nach sozialen Gestaltungspflichten vorgegangen, nicht nach Hierarchie.“
Nahezu alle journalistischen Führungskräfte verlassen nun das Haus. Darunter die stv. Chefredakteurin Judith Belfkih und der stv. Chefredakteur Thomas Seifert, die das Blatt führten. Letzterer nennt im Standard „das Ende der Wiener Zeitung einen medienpolitischen Vandalenakt kulturloser Barbaren.“
Digitale Zukunft
Diesem Ende wohnt auch ein Anfang inne. Und zwar mit 1. Juli. Während sich der Schriftzug der Wiener Zeitung nur leicht verändert, wird der (Online-)Auftritt völlig anders. Die Rede ist vom „klassischen, konstruktiven Journalismus“, ausgerichtet auf eine jüngere Zielgruppe. Entsprechend gibt es – „klein, aber fein“ – Podcasts, Bewegtbild und Fokus auf Social Media. „Das bedeutet natürlich einen radikalen Wandel für das Haus.“ Für den hat man die Unterstützung von Stefan Apfls Digitalverlag Hashtag und von Stefan Lassnigs Missing Link Media. Es brauche aber noch Entwicklungszeit.
Die Redaktion soll künftig 20 journalistische Angestellte sowie 24 Trainees umfassen. Und hier setzt weitere Kritik an – wie hält es die Wiener Zeitung künftig mit der journalistischen Unabhängigkeit? „Es gibt ein Redakteursstatut, das überarbeitet wird, weil das noch auf die Tageszeitung abstellt“, sagt Fleischhacker.
Für das Traineeship wird es eine Satzung geben sowie einen Beirat, den die Partner besetzen. Das sind Kleine Zeitung, Dossier, Die Furche, Profil, Puls 24 und Brutkasten. Jeder Trainee durchläuft während 12 Monaten drei Redaktionen – angestellt nach Kollektivvertrag. Weil sonst nicht üblich, „ein ganz wichtiges Asset des Traineeships“, so Fleischhacker. Ein erster Lehrgang läuft bereits. Der nächste startet im Oktober.
Für Erregung sorgte auch die zur Wiener Zeitung gehörende Content Agentur, die für die Republik arbeitet. „Die gibt es seit 2009, also einiges länger als die Diskussionen über die Wiener Zeitung“, erklärt Fleischhacker. Andere Medienhäuser hätten solche Einheiten auch. Tatsächlich leiste man wichtige „Übersetzungsarbeit“ für die Verwaltung. „Will man das verunglimpfen, bezeichnet man es als Regierungs-PR.“ Auch Trainees arbeiten dafür. Das heiße aber nicht, dass es keine Trennung von Auftragsarbeit und Journalismus gebe. „Ich gehe davon aus, dass jeder, der zu uns an Bord kommt, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und das unterscheiden kann“, so Fleischhacker.
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