Weniger Show, mehr Leben: Was der neue Chef von ATV und Puls4 plant

Der gebürtige Linzer Thomas Gruber ist seit 2005 bei ProSiebenSat.1Puls4
„Klare Handschrift": Thomas Gruber über Programme, Pläne und Sender-Profile

Nach dem Ende der Auflagen der Bundeswettbewerbsbehörde zum Jahresende wird nun die Fusion von ATV mit den Puls4-Sendern komplett umgesetzt. ATV-Geschäftsführer Thomas Gruber ist nun auch Senderchef und leitet damit die beiden größten österreichischen Privat-TV-Sender. Wie die Österreich-Sender von ProSiebenSat.1Puls4 nun aufgestellt werden sollen und ob Berlusconi bereits aufs Programm schaut, darüber spricht Gruber im KURIER-Interview.

Sie sind seit 1. Jänner Chef aller ATV- und Puls4-Sender. Ihre erste Aufgabe wird nun wohl sein, Synergien zu heben?

Formal sind mit 31. Dezember alle Auflagen der Bundeswettbewerbsbehörde, die fast sechs Jahre aufrechterhalten bleiben mussten, ausgelaufen. Die Stärken beider Sender, beider News-Redaktionen, die nun fusioniert haben, erlauben uns, Ressourcen anders für unser Publikum einzusetzen und das Themenspektrum auszuweiten, weil Doppelgleisigkeiten wegfallen. Im Unterhaltungsbereich ist es nun einfacher. Formate und ihre Ausrichtung können besser aufeinander abgestimmt werden und wir schärfen so die Profile der Sender. Das betrifft vor allem die Positionierung von Puls4. Synergien gab es zuvor schon etwa beim Lizenz-Einkauf, z. B. Serien und Filme, was auch ich verantwortet habe. Auch im Technik-Bereich wurde bereits zusammengearbeitet.

Die Eigenständigkeit der Info-Bereiche war ja das Hauptanliegen der Wettbewerbsbehörde. Da war ATV stets erfolgreicher mit einer eigenen Info-Farbe, eigenen Formaten wie „Die Woche“, einem eigenen Chefredakteur, während Puls4, etwa bei Wahlen, nie so relevant war. Wie schaut die Aufstellung nun aus? Gibt es jetzt die große Info-Chefin, Corinna Milborn, die über alles allein wacht in der Puls4-Gruppe?

Corinna Milborn leitet weiterhin inhaltlich den gesamten Info-Bereich als Info-Direktorin in der Geschäftsleitung. Auch hier werden Stärken zusammengeführt und Synergien gehoben. Ein Beispiel auf Sendungsebene ist der neue Hauptabend auf Puls24 mit „Wildumstritten“. Montag bis Donnerstag diskutieren ab 20.15 Uhr bei Werner Sejka polarisierende Gäste wie etwa Eva Glawischnig, HC Strache oder Ursula Stenzl. Alle erfolgreichen ATV-Formate wie „ATV aktuell: Die Woche“ oder „Im Fokus“ bleiben aber wie bisher bestehen. Bei der Wahlberichterstattung jetzt zu Niederösterreich wird natürlich auch wieder das beliebte Trio aus Moderator Meinrad Knapp, Politikexperte Thomas Hofer und Meinungsforscher Peter Hajek zu sehen sein.

Antihelden und Positivdenker

Bei ATV weiß man auch in Sachen Unterhaltung, was man bekommt – von „Bauer sucht Frau“, „Mein Gemeindebau“ bis hin zum jüngsten Format, „Forsthaus Rampensau“. Bei Puls4 ist die Positionierung nicht so klar. Da gibt es jetzt auch Investitionen in den Sport. Und mitunter sieht man ein Format, etwa „NCIS“, auf drei Sendern der Gruppe, nur zu unterschiedlichen Uhr-Zeiten. Wie  soll das jetzt werden?

Das Beispiel „NCIS“ ist eine klassische Content-Synergie im Bereich Fiction. Das ist nicht ungewöhnlich, zumal das zu unterschiedlichen Zeiten läuft. Anders als im ORF, wo Formate auch schon zeitgleich in ORF1 und ORFIII zu sehen waren – das machen wir nicht. Was stimmt ist, dass ATV eine klare Handschrift hat, man weiß, was man als Zuseher an den vier Eigenproduktionstagen bekommt. Das passiert nun auch bei Puls4.

Was wird sich ändern?

Wir gehen weg von großen Shows und setzen verstärkt auf österreichische Factual-Reality-Formate, True Crime und Comedy. Das Leben in Österreich bietet so viele Facetten, was aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann. Wenn bei ATV die Antihelden und Underdogs im Vordergrund stehen, dann ist jetzt der Ansatz bei Puls4, dass hier die Protagonisten das Leben aktiv und eher positiv angehen und so ihre Probleme und Herausforderungen, die es da auch gibt, meistern. Das spiegelt sich in den neuen Dienstags-Reihen „Very Good for Hollywood“ und „Junges Geld“ wider. Wir forcieren zudem am Montag die Comedy-Schiene mit derzeit „Cooking Comedians“ „Und wer hat’s erfunden“. Wir versuchen aber auch neue Programmfarben auf Puls 4 aus. Dazu zählt ab März das Lifestyle-Format „So lebt sich’s leichter“ mit Ernährungsberaterin Holly Wilkinson. Am 14. Februar schicken wir drei Spitzenköche, den Österreicher Alexander Kumptner, Frank Rosin und Ali Güngörmus auf den „Roadtrip Amerika“. Das ist eine Co-Produktion von Puls4 mit Kabel1. Ab 27. Februar werfen wir dann in „Taxi, bitte“ einen Blick in die Fahrerkabine. Skurrile Charaktere und lustige Geschichten sind garantiert.

Sie erwähnten „weniger große Shows“. Was bedeutet das etwa für „2 Minuten 2 Millionen“?

„2 Minuten 2 Millionen“ ist und bleibt ein fixer Bestandteil des Puls4-Programms. Wir begehen da heuer die Jubiläumsstaffel 10. Allerdings steigen wir heuer später ein und werden das Format dichter machen. Ich schließe auch nicht aus, dass es künftig hin Show-Formate auf Puls 4 geben wird. Aus Gründen der Kosteneffizienz wollen wir aber verstärkt hin zu Formaten, die auch die Möglichkeit von einer nochmaligen Ausstrahlung bieten und in der Produktion leistbarer sind. Das funktioniert bei ATV schon sehr lange sehr gut. Auch ein „Forsthaus Rampensau“ dort ist nicht billig, aber die Kostendimension passt zum Sender.

Wie grenzt sich da Puls4 ab, welchen Zugang gibt es hier?

Wir haben zum Beispiel im Herbst 2022 einen dritten Eigenproduktionstag bei Puls4 am Donnerstag gestartet und wir senden da inhaltlich starke eigenproduzierte Dokumentationen zu aktuellen Themen. Bereits gezeigt und auf unserem Streamer Zappn abrufbar sind etwa „Mütter am Limit“ oder „Monster Einsamkeit“. Wir produzieren allein 2023 38 neue Dokus. Über diese eigenrecherchierten Themen wollen wir den Donnerstag bei Puls4 als Doku-Tag positionieren. Immer im Anschluss, 21.20 Uhr, läuft die Magazin-Sendung „Exakt“.  Das heißt, wir haben 2023 den lokalen Eigenproduktionsanteil erheblich ausgeweitet und das mit Public-Value-Formaten, die auch Puls24 einbeziehen. Das zeigt die Synergien, die nun quer über die Senderfamilie möglich geworden sind.

Quoten
Die österreichische Senderfamilie hat das Supersportjahr 2022 gut überstanden. In der Zielgruppe 12 – 49 Jahre kam Puls4 auf 4,9 Prozent Marktanteil (–0,3), ATV auf 4,3  (–0,2), ATVII auf 1,4  (–0,1) und Puls24 auf 0,9 Prozent. Während Puls4 in der Früh und am Vorabend stark ist, punktet ATV im Hauptabend

Programm-Starts
Puls4: „Super Bowl“ (13. 2.), „Roadtrip Amerika – Drei Spitzenköche auf vier Rädern (14. 2.),  „Taxi, bitte“ (27. 2.), „So lebt sich’s leichter“ (März).
ATV: „Geschäft mit der Liebe“ (15. 2.), „Die Bambis“ mit Nina „Bambi“ Bruckner  (16. 2.), „Orte des Schreckens“ (24. 2.), „Sex & Crime“ (24. 3.)

 

Fußball spielen

Der Haken daran: Puls4 hat viel in Sport investiert, hat überraschend etwa die UEFA Europa League/Conference League sich sichern können. Die findet aber just am Donnerstag statt?

Als der neue Donnerstag geplant und gestartet wurde, ist niemand davon ausgegangen, dass die Europa League zu Puls4 zurückkehren wird. Das war ein Lucky Punch, der es uns ermöglicht, als einziger Free-TV-Sender in Österreich europäischen Top-Klub-Fußball zu zeigen. Neben UEFA Europa League/Conference League haben wir ja auch noch die Champions League-Highlights am Dienstagabend. Wie wir dann 2024 mit den Dokumentationen verfahren, müssen wir uns erst anschauen. Jedenfalls stärkt der Fußball die Primetime von Puls4 massiv. Wir hoffen natürlich auf erfolgreiche Saisonen der heimischen Klubs. Das passt auch gut zur grundsätzlichen neuen Ausrichtung, mehr Österreich bei Puls4 on air zu bringen, mehr Content aus Österreich, mehr von dem, was die Österreicher:innen betrifft und auch berührt.

Die Primetime zu stärken, ist wichtig für Puls4, das vor allem in der Früh mit Cafe Puls und im Vorabend mit „Onkel Charlie“ punktet. Die Stärke von ATV ist der Hauptabend mit den bekannten Formaten wie „Bauer sucht Frau“, der Vorabend funktioniert hingegen nicht so. Irgendwie eine kuriose Situation?

ATV ist der stärkste Privatsender im Hauptabend in der Zielgruppe und Puls4 ist trotzdem insgesamt der stärkste österreichische Privatsender. Das ist wichtig festzuhalten. Um die Markanteile von Puls4 auszuweiten, müssen wir deshalb in der Primetime investieren. Das geschieht eben vor allem durch österreichische Produktionen. Genauso findet das bei ATV im Vorabend statt. Was nicht sein wird ist, dass man gegen eine Ausgabe von „Bauer sucht Frau“ bei ATV ein eigenproduziertes Puls4-Format setzt, das wäre Unsinn. Es gibt eine klassische Komplementär-Programmierung, die jetzt noch besser aufeinander abgestimmt werden kann. Das Ziel muss natürlich Wachstum bei beiden großen Sendern sein.

Befürchten sie nicht, dass sich ATV und Puls4 gegenseitig kannibalisieren?

Wir produzieren natürlich zunächst fürs lineare Fernsehen. Aber vor allem ist es Content, den wir im Digitalbereich verbreiten wollen. Das ist die Zukunft. Dass beispielsweise sowohl ATV als auch Puls4, zu unterschiedlichen Zeiten, auf True Crime setzen, ist da nicht das Thema. Überspitzt formuliert kann man sagen: Wichtig ist, dass wir der Zuseherin ein Format bieten, das ihr zusagt. Wichtig für uns ist, dass dieses Format auf unseren Plattformen stattfindet. Sehr viele, besonders junge Seher schauen nicht mehr linear, sondern streamen ihren Content. Auf Zappn können sie beispielsweise deshalb Folgen ihrer Lieblingssendung schon eine Woche vor der linearen Ausstrahlung schon kostenlos streamen.

„Ramepnsau" für Deutschland

Wie und wohin entwickelt sich Zappn und gibt es einen Austausch mit Joyn, der Plattform Eures deutschen Mutterkonzerns?

Zunächst bietet Zappn die Möglichkeit, inzwischen insgesamt etwa 25 Live-Sender über die App linear digital zu konsumieren. Darunter sind auch die ORF-Kanäle und ServusTV. Der zweite Aspekt ist die Mediathek. Die angesprochene, im Vorjahr eingeführte Preview-Strategie - gleichzeitig mit der ersten Folge kann man auch schon Folge 2 einer Reality kostenlos streamen – funktioniert sehr gut. Inhaltlich muss man einräumen, dass Shows auf Zappn schwächer funktionieren als etwa die Reality-Formate. Da ist das Positiv-Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit „Forsthaus Rampensau“. Das hatte linear den stärksten Start eines Formats bei ATV seit 2005 und hat natürlich auch digital funktioniert - ein Format, über das Österreich gesprochen hat. Zappn wurde technisch weiterentwickelt und wir liegen aktuell bei drei Millionen Downloads. Wir sind natürlich im Austausch mit unseren deutschen Kollegen, auch was programmliche Synergien betrifft. Sie haben sich „Forsthaus Rampensau“ mit Tara auf die Plattform geholt, auch „Very good for Hollywood“ ist für sie ein Thema. Umgekehrt gibt es linear die Co-Produktion bei „Roadtrip Amerika – Drei Spitzenköche auf vier Rädern“.  

Ressourcen und Wirtschaftlichkeit sind ein wichtiges Thema, nicht zuletzt für einen Privatsender. Viel wurde zuletzt über ORF-Gebühren und Förderungen privater Medien diskutiert. Die ATVPuls4-Gruppe kommt über alle Sender hinweg gerechnet auf um die drei Millionen beim ersten Antragstermin 2023.  Welchen Stellenwert hat das für Euch?

Diese Förderungen seitens der RTR sind natürlich wichtig, denn, überspitzt formuliert, mit Nachrichten kann man kein Geld verdienen. Das ist so. Andererseits wollen wir, weil wir es für wichtig erachten, diese Schiene ausbauen. Aber um die Relationen deutlich zu machen: Im Verhältnis zu den 650 Millionen, die der Öffentlich-Rechtliche aus Gebühren derzeit bekommt, ist das verschwindend gering, was wir jetzt als größte private Sendergruppe erhalten. Aber natürlich ist diese Förderungen ein essenzieller Bestandteil der Budgetierung und wichtig dafür, dass wir unsere Informationsschiene in dieser intensiven Art und Weise bespielen bzw. auch weiter ausbauen können.

Zum Ende nochmals zum Anfang: zur österreichischen Wettbewerbsbehörde. Die verfolgt sehr skeptisch das verstärkte Engagement der Berlusconi-Gruppe bei ProSiebenSat.1. Sie hat ja nun auch das Kartell-Gericht angerufen. Wieweit tangiert Euch das jetzt aktuell?

Was ich dazu tatsächlich sagen kann: Ich kümmere mich ums Programm, das entsteht bei uns in Österreich auch stark im Teamwork. Eigentümer Einflüsse habe ich bis dato noch nie erlebt und so wird es aus meiner Sicht auch in Zukunft sein.

Danke für das Gespräch.

 

 

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