"Vienna Blood"-Koproduzentin: "Man muss davon begeistert sein"
Der ORF zeigt neue Folgen der Krimi-Reihe. Koproduzentin Hilary Bevan Jones im Gespräch über "Vienna Blood", #MeToo und den Brexit.
31.10.20, 05:00
von Gabriele Flossmann
Ihr Lebenslauf liest sich wie eine Hommage an die moderne Powerfrau. Eine, die ein fast schon irritierendes Leistungsdenken offenbart: Hilary Bevan Jones, Managing Director & Producer, Endor Productions. Sie hat zahlreiche bahnbrechende und preisgekrönte Dramen produziert. Wie etwa den BBC/HBO-Film „The Girl in the Café“ mit Bill Nighy, der drei Emmys gewann. Weitere Filme wie „Mary und Martha“, mit Hilary Swank und Brenda Blethyn, oder Roald Dahls „Esio Trot“ mit Dustin Hoffman und Dame Judi Dench, wurden zum Quoten-Hit.
Mit ihrem durchschlagenden Erfolg in der Filmbranche steht Hilary Bevan Jones für einen Wandel in der von Männern dominierten Filmindustrie. Am Beginn ihrer Karriere sah alles noch ganz anders aus. Bis zu ihrem Durchbruch musste sie viel Zeit in testosterongeschwängerten Sitzungen verbringen und ihre Projekte gegen virile Egomanen durchboxen. 2006 wurde Hilary Bevan Jones Vorsitzende der britischen Filmakademie, die jährlich den sogenannten „britischen Oscar“, den BAFTA-Award vergibt. Sie ist damit die erste weibliche Vorsitzende in der mehr als 60-jährigen Geschichte der britischen Filmakademie.
Einer der Schlüssel zu ihrem Erfolg könnte sein, dass Bevan Jones einen Universitäts-Abschluss in Psychologie hat. Kurz gesagt, sie versteht es, Menschen und damit auch Männer mit einem gewissen „Schmäh“ zu nehmen. Was sie auch für ihr neuestes Projekt prädestiniert. Sie ist Koproduzentin der zur Gänze in Wien gedrehten Krimi-Reihe „Vienna Blood“, die in der Zeit von Sigmund Freud im Wien der Jahrhundertwende spielt.
Während die erste Staffel in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und zumindest der erste Teil auch schon in Österreich gezeigt wurde, läuft nun die gesamte dreiteilige erste Staffel in ORF und ZDF (alle Daten zur Ausstrahlung finden Sie am Ende des Artikels in der Infobox).
Auch in weitere Länder wie Spanien, Japan, Frankreich, Finnland und China wurde die Serie bereits verkauft. Eine gute Nachricht gibt es noch dazu: Drei weitere Folgen in Spielfilmlänge werden gerade produziert, erneut nach Drehbüchern von „Sherlock“-Autor Steve Thompson. Robert Dornhelm ist bei den drei neuen Folgen als Regisseur im Einsatz. Der britische Schauspieler Matthew Beard spielt die Titelrolle des Max Liebermann, ein junger Arzt und Psychoanalytiker. Sein Partner. der Kriminalbeamte Oskar Rheinhardt, wird vom Publikumsliebling Juergen Maurer verkörpert.
KURIER: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie als britische Produzentin eine Krimi-Serie wie „Vienna Blood“ produzieren, die zur Gänze in Wien spielt?
Hilary Bevan Jones: Frank Tallis, der die erfolgreiche Krimi-Reihe geschrieben hat, ist zwar Engländer, aber uns war von Anfang an klar, dass alle Folgen in Wien gedreht werden müssen. Wir wollten, dass die Schauplätze authentisch wirken. Die einzige Sorge war, dass wir die richtigen Partner für dieses schöne Projekt finden. Wir haben uns dann in Wien mit den Vertretern der MR-Film und des ORF getroffen und gleich gemerkt, dass wir miteinander können. Etwas später ist auch das ZDF dazugekommen. Oft kommt es ja bei Koproduktionen vor, dass jeder Partner das Projekt in eine andere Richtung entwickeln möchte, aber bei „Vienna Blood“ haben alle Beteiligten nur konstruktive Vorschläge beigesteuert.
Die ersten Folgen von „Vienna Blood“, die jetzt in Österreich und Deutschland gezeigt werden, sind bereits höchst erfolgreich in Großbritannien und in den USA gelaufen. Hatten Sie von Anfang an vor, mit dieser Serie den internationalen TV-Markt aufzumischen?
Mit dem amerikanischen Sender PBS, der die die erste Staffel ausgestrahlt hat, hatte ich bereits gute Erfahrungen mit anderen Projekten. Die Verantwortlichen dort sind an Qualität und Originalität interessiert und deshalb habe ich schon darauf gehofft, dass sie an Vienna Blood“ Gefallen finden. Die Schauplätze und Kostüme dieser Krimis sind exquisit und auch die historischen Anspielungen auf die Zeit der Jahrhundertwende tragen viel zur Qualität bei. Und offenbar hat das beim amerikanischen Publikum auch funktioniert und PBS hohe Einschaltquoten beschert. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass auch die neuen Folgen, die wir gerade drehen, wieder ein internationales Publikum erreichen.
Nicht erst seit der #MeToo-Bewegung wird in den USA und in Europa – und natürlich auch in Österreich – die Frage diskutiert, was man tun kann, damit Frauen in der männlich dominierten Filmbranche gleichberechtigt Karriere machen können. Sie sind bereits seit vielen Jahren eine erfolgreiche Produzentin. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe ein Psychologie-Studium abgeschlossen, wollte aber immer schon etwas mit Film, Fernsehen oder Theater zu tun haben. Ich habe viele Klinken geputzt, aber immer die Antwort bekommen: Sie sind überqualifiziert und unter-erfahren. Um Geld zu verdienen, habe ich zuerst einmal Psychologie unterrichtet. Da ich mir aber nicht vorstellen konnte, das bis zu meiner Pensionierung zu tun, habe ich nach vier Jahren den Lehrberuf hingeschmissen und mich noch einmal in der Film- und Fernsehbranche beworben. Zum Entsetzen meiner Eltern. Von der BBC wurde ich dann für kleinere Botendienste und zum Kaffeeholen engagiert. Als ich in die Studios kam, habe ich mir die vielen Scheinwerfer, die Kameras und die vielen Menschen eingeprägt, die bei Dreharbeiten herumwuseln. Auf diese Weise habe ich von der Pike auf gelernt, worauf es ankommt und bin dann Stufe für Stufe die Karriereleiter höher geklettert. Ich wurde Aufnahmeleiterin und schließlich Produzentin. In diesen Lehrjahren habe ich auch meine Kinder bekommen.
Wie haben Ihre männlichen Kollegen auf Ihre Karriere reagiert?
Ich erinnere mich noch an ein Meeting, zu dem ich mit zwei älteren, männlichen Kollegen eingeladen wurde. Wir sollten unsere Ideen für neue Produktionen vortragen. Zuerst haben ausschließlich die beiden Männer geredet und sich noch dazu mit ihren Sesseln buchstäblich vor meine Nase gesetzt. Plötzlich kam gegen Ende unseres Meetings aus der Runde unserer potentiellen Auftraggeber die Frage: „Hilary, was ist Ihre Meinung dazu?“ Ich war perplex. Denn es war das erste Mal, dass ich nach meiner weiblichen Sicht der Dinge gefragt wurde. Diese Frage hat für mich das Tor zur kreativen Mitarbeit in diesem Business geöffnet.
Hat Ihnen das Psychologiestudium dabei geholfen, sich bei Ihren männlichen Vorgesetzten durchzusetzen?
Wahrscheinlich unterbewusst (lacht). Mein Vater war Psychiater und daher liegt mir das im Blut. Im Laufe meiner Karriere habe ich immer wieder Erfahrungen mit überheblichen und sexistischen Übergriffen von Männern gemacht. Aber die kreative Arbeit hat mir so großen Spaß gemacht, dass mich davon nicht beirren ließ.
War die Tatsache, dass Ihr Vater Psychiater war und Sie selbst Psychologie studierten auch der Grund dafür, dass Sie die Liebermann-Romane von Frank Tallis produzieren wollten?
Ja, das war tatsächlich ein wesentlicher Grund für mich. Frank Tallis ist ja auch ein praktizierender Psychiater und schon beim ersten Treffen habe ich ihm gesagt, wie begeistert ich von seinem historischen, psychologischen und kriminologischen Wissen bin. Die Beschreibung seiner Protagonisten Max Liebermann und Oskar Reinhardt ist so clever und detailreich, dass man davon begeistert sein muss.
Während der Corona-Epidemie konnten und können TV- und Streamingdienste hohe Einschalt-Quoten erreichen. Denken Sie, dass die Zukunft des Kinos in Gefahr ist?
Ich hoffe sehr, dass das Kino überleben wird. Das kollektive Erlebnis ist bei Filmen eine wichtige Erfahrung. Kunst ist dafür geschaffen, Menschen zusammenzubringen. Schönheit, Horror, Humor, Schrecken, Glück und Leid – das sind alles Gefühle, die man am besten gemeinsam genießen oder verarbeiten kann. Corona hat uns vom Gefühl der Zusammengehörigkeit ohnehin schon viel zu weit entfernt. Als Vorsitzende der BAFTA (British Academy of Film and Television Arts, Anm.) mache ich die Erfahrung, dass bei fast bei jedem unserer Meetings in der letzten Zeit das Überleben des Kinos ein vordringliches Thema ist. Aber es ist keine Frage, dass Filme ohne Netflix und Amazon derzeit schwer vorstellbar wären. Umso wichtiger ist es, dass die europäischen Filmförderungsstellen das nationale Kino und den nationalen Film am Leben erhalten.
Bei der Verleihung der BAFTA-Preise fällt auf, bei der Britischen Filmakademie viel mehr Wert auf die künstlerische Qualität gelegt wird, als bei der Amerikanischen Filmakademie. Könnte es sein, dass die BAFTA-Auszeichnungen schon bald mehr bedeutet als die Oscars? Insbesondere für europäische Filmemacher, die in Hollywood ohnehin kaum Chancen auf die Finanzierung Ihrer Filme haben?
Die BAFTA ist gerade dabei, sich neu zu definieren. Wir wollen die Möglichkeiten für kleinere Filme verbessen, damit sie mehr Beachtung und damit auch mehr Publikum finden. Denn hinter den Hollywood-Blockbustern steht eine so große Marketing-Macht, dass Filme aus anderen Ländern kaum Chancen haben.
Es sind gerade drei weitere Folgen von „Vienna Blood“ in Produktion. War das von Anfang an geplant, oder hat der Erfolg der ersten drei Teile in Großbritannien und in den USA dazu beigetragen?
Wenn man zwei so tolle Hauptfiguren hat wie den Kriminologen und Psychiater Max Liebermann und den Kommissar Oskar Reinhardt und dazu noch so schöne Schauplätze wie in Wien, dann ist es klar, dass man mehr Folgen davon haben möchte als nur die bisherigen drei. Und ich könnte mir vorstellen, die Serie noch weiter fortzusetzen. Am Beginn eines neuen Serien-Projekts ist es immer schwierig, die koproduzierenden TV-Anstalten von mehr als drei Folgen zu überzeugen. Erst wenn etwas so gut funktioniert wie „Vienna Blood“, dann wird es leichter, sie für mehrere Fortsetzungen zu gewinnen. Liebermann wird also sicher noch mehrere Kriminalfälle zu lösen haben.
Glauben Sie, dass Sie nach dem Brexit überhaupt noch mit Österreich und anderen europäischen Ländern koproduzieren können?
Ich bin eine passionierte Brexit-Gegnerin und ich habe bisher an jedem Protestmarsch dagegen teilgenommen. Ich halte das für eine schreckliche Entwicklung und niemand kann genau sagen, wie das Ganze ausgeht. Ich werde mich – wie alle, die gegen den Brexit sind – auch nach einem Austritt Großbritanniens weiterhin als Europäerin fühlen. Und ich möchte auch weiterhin Filme mit europäischen Ländern koproduzieren. Ich jedenfalls hoffe sehr, dass wir da Wege finden.
Die letzte Séance (Folge 1)
Dacapo, heute (Samstag, 31. Oktober), 20.15 Uhr, in ORF 2
Kommentare