Van der Bellens Kickl-Ansage, die aus der Dunkelheit kam
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
In der „ZiB1“ am Mittwochabend konnte man sich irgendwie Sorgen machen. Der Bundespräsident habe am Vorabend der Angelobung zu seiner zweiten Amtszeit aufhorchen lassen, „wie er bei einem Wahlsieg Kickls handeln würde“, sagte Tarek Leitner. Kollegin Nadja Bernhard rief aktuelle Umfragen in Erinnerung, welche die FPÖ an der Spitze zeigen.
Im Bericht danach bekam man ein Gefühl von Weltuntergangsstimmung. Alexander Van der Bellen saß in einem abgedunkelten Raum, nur eine Lichtquelle über dem schwarzen Tisch erhellte sein Gesicht und das der Interviewer Susanne Schnabl und Hanno Settele. Sitzt der Präsident im Keller der Hofburg oder gar schon im Schutzbunker?
"Partei, die Krieg Russlands nicht verurteilt"
Und dann der Satz, der seitdem die politischen Kommentatoren beschäftigt: „Eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, werde ich nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen“, antwortete Van der Bellen auf die Frage, ob er - so wie es Usus ist - die stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung betrauen werde, auch wenn es die FPÖ sein sollte.
Kickl sieht man dann im nächsten Schnittbild vor dem Schriftzug „Festung Österreich“ Reden schwingen, danach folgt wieder ein nachdenklicher Van der Bellen, in der Dunkelheit sitzend.
Danach ein Präsident, der eiligen Schrittes durch die Hofburg geht. Vor ihm läuft Hund Juli. Bringen sich die beiden gerade vor Kickl in Sicherheit?
Van der Bellen weiter auf Distanz zu Kickl
Analyse vor Interview
Es folgt eine Art Auflösung: Die gezeigten Bilder sind bei der Herstellung der ORF-Sendung „Der Präsident - 20 Fragen an Alexander Van der Bellen“ entstanden. Diese werde nach der „ZiB2“ zu sehen sein, sagt Bernhard.
Bis dahin ist noch viel Zeit, in der man vielleicht auf ORF1 ins gleißende Schladminger Flutlicht blickt, das nun auch erstmals eine lange Riesentorlaufpiste erhellt.
Zurück auf ORF2, kann man in der „ZiB2“ dann die Analyse betrachten. Nein, nicht die des Skirennens, sondern die des minimal ausgeleuchteten Präsidenteninterviews. Das die Öffentlichkeit aber noch gar nicht gesehen haben konnte. Kommt ja erst nach der „ZiB2“.
Van der Bellen weiter auf Distanz zu Kickl
Armin Wolf fragt Kathrin Stainer-Hämmerle, ob es „gescheit“ war, die - vorab gezeigte - Ansage an die FPÖ „ohne Not“ am Tag vor seiner Angelobung zu machen.
Die denkwürdige Antwort der Politologin: „Naja, er wurde gefragt und er hat eine Antwort gegeben.“ Sie lächelt.
Als Wolf nachsetzt, dass er das schon öfter gefragt wurde, gibt Steiner-Hämmerle dann die ausführlichere Antwort. Die Aussage sei wohl der zweiten Amtszeit geschuldet, „Er muss sich keine Gedanken machen über eine Wiederwahl. Er hat jetzt nicht nur keine Verpflichtung einer Partei gegenüber, sondern er muss überhaupt keine Rücksicht mehr nehmen. Vermutlich plant er jetzt einfach, deutlichere Worte und Signale zu setzen und zumindest auf jeden Fall nicht als jener Bundespräsident in die Geschichtsbücher einzugehen, wo die FPÖ Kanzlerpartei wurde."
Über Van der Bellens Distanz zu Kickl
Dunkle Kammer
Nach der „ZiB2“ folgt dann endlich die Auflösung, warum sich Van der Bellen in einer dunklen Kammer aufhielt.
Die ORF-Interviewer haben für das „20 Fragen“-Interview eine Art Black Box in die Prunkräume gestellt. „Bei so viel roten Tapeten und Gold haben wir uns gedacht: simpel“, sagt Susanne Schnabl.
Van der Bellen findet: "Das hat schon was. Man kann sich besser konzentrieren. Nicht abgelenkt von allen Habsburgern ..."
„Report“-Moderatorin Schnabl führt das Interview mit Kollegen Hanno Settele, der von seinem Heimatsender ORF1 offenbar auch die auffällig originelle Inszenierung mitgebracht hat. Denn schon beim Weg zur Hofburg werden die beiden wie in einem Tarantino-Film inszeniert.
Hinter der Tapetentür
Die 20 Fragen in der strengen Kammer werden immer wieder durch Pausen aufgelockert. Einmal führt der Präsident die Interviewer hinter die Tapetentür, hinter der noch eine zweite Tür ist, die in sein Büro führt. Dort steht zwar ein Aschenbecher, aber den benutze er für gewöhnlich nicht, meint Van der Bellen. Der sei eher für kettenrauchende Gäste wie den tschechischen Alt-Präsidenten Miloš Zeman gedacht.
In der zweiten Pause lässt der Bundespräsident in der Teeküche persönlich drei Kapsel-Espressi herunter. Das mache er immer wieder selbst. Weil er, wenn er am Wochenende noch Staatsnotar spielt und einen Haufen Ernennungsdekrete für Hofräte oder Oberstudienrätinnen unterzeichne, oft alleine anwesend sei. Unter der Woche bekomme er den besseren Espresso aus der Siebträgermaschine serviert.
Offenherzig
Im Interview (eine ausführliche Zusammenfassung lesen Sie unten) zeigte sich Van der Bellen tatsächlich sehr freimütig und offenherzig.
Ob Österreich ein Korruptionsproblem habe?
Van der Bellen: „Ja, sicher …“
Er räumt ein, dass er bei "diesen Chat-Geschichten" mehr kommunizieren hätte sollen. Da sei "nicht ganz zu Unrecht der Eindruck entstanden, ich halte mich zu sehr zurück“.
Das gehört nun offenbar der Vergangenheit an.
Van der Bellens Position zu Kickl-Angelobung
"Susanne, geh voran"
Nicht zurück hält sich auch Interviewer Settele. Als es am Ende gilt, den mit schwarzem Stoff behängten Raum zu verlassen, sagt er zu seiner Kollegin Schnabl: „Susanne, geh du voran.“
"Das hast dir nicht verkneifen können", sagt Schnabl. "Aber das haben wir nimmer oben."
Das Zitat stammt just von Jörg Haider, der im Jahr 2000 nicht sich selbst als Vizekanzler nach Wien geschickt hat, sondern Parteikollegin Susanne Riess-Passer.
Ein Fingerzeig in Richtung Bergfex Kickl, der auch jemand anderen die letzten Meter zum Gipfel gehen lassen könnte?
Wenn man Van der Bellen bei seinem im Interview gesagten Wort nimmt, dann würde seine allfällige Verweigerung generell einer FPÖ mit antieuropäischer Haltung gelten. Da bekräftigte er: „Darauf können Sie …“
Settele: „Das darf man nicht sagen.“
Allgemeines Grinsen.
„Wir wissen, was Sie meinen.“
Van der Bellen schärfte nach: „Damit können Sie rechnen.“
INFO: Die Sendung zum Nachschauen
Klar auf Distanz zur FPÖ zeigte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen in dem ORF-Interview. Kickl kann sich demnach bei einem allfälligen Wahlsieg nicht sicher sein, automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen. Offen ließ Van der Bellen, ob er den FPÖ-Chef als Kanzler angeloben würde. Kritik übte er an der Haltung der FPÖ zur EU und zum Russlandkrieg, und er erinnert an die Razzia im Verfassungsschutz.
Van der Bellen definierte "rote Linien", die aus seiner Sicht nicht überschritten werden dürfen. Und sagte dann, noch einmal befragt nach einem Regierungsbildungs-Auftrag an Kickl, sollte die FPÖ Erste werden: Er werde "eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen".
Man möge Kickl - und nicht ihn - fragen, "ob es richtig war, gegen sein eigenes Haus, gegen das Innenministerium, eine Razzia zu machen, die zu nichts geführt hat außer dass die ausländischen Intelligence-Dienste jedes Vertrauen in Österreich verloren haben und und und ...." Ob er Kickl als Kanzler angeloben würde, ließ Van der Bellen in dem am Vorabend seiner Zweit-Angelobung ausgestrahlten Interview offen.
Freie Entscheidung
"Streng genommen" müsse man unterscheiden zwischen dem Regierungsbildungsauftrag, der nicht in der Verfassung stehe - und der Kanzler-Ernennung. Diese liege laut Verfassung in seiner "höchstpersönlichen Entscheidung". Dafür brauche er keinen Vorschlag, das sei "einer der ganz ganz wenigen Punkte, in denen der Bundespräsident frei ist in seiner Entscheidung", erläuterte Van der Bellen - und merkte an: Er lege den Amtseid nicht nur auf die Verfassung ab, sondern sei auch seinem Gewissen verpflichtet - verspreche er doch auch, das Amt nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben, und "darauf können Sie sich verlassen."
"Ja sicher, das hat sich ja anhand der Chat-Protokoll herausgestellt", war Van der Bellens Antwort auf die Frage, ob Österreich ein Korruptionsproblem hat. Er mahnte nicht nur die gesetzliche Schritte ein - die Koalitions-Einigung zum Lückenschluss im Strafrecht begrüßte er -, sondern auch eine "Änderung der Haltung". Die in den Chat-Protokollen sichtbar gewordene "Freunderlwirtschaft" - "wie wir das so beschönigend in Österreich nennen" - müsse "wirklich aufhören, das ist ein Gift". Und die Regierung sollte diskutieren, was man vom Anti-Korruptionsvolksbegehren noch umsetzen kann bis zur Wahl. Er selbst hätte bei "diesen Chat-Geschichten" mehr kommunizieren sollen, räumte Van der Bellen ein. Da sei "nicht ganz zu Unrecht der Eindruck entstanden ich halte mich zu sehr zurück".
Auch um das Verhältnis des Bundespräsident zu den Regierungsspitzen ging es. Mit ÖVP-Ex-Kanzler Sebastian Kurz - der ja "berühmt, manche sagen berüchtigt war für seine Versuche der Message Control" - habe er einige Auseinandersetzungen gehabt, aber "da soll man nicht empfindlich sein, das gehört zur Politik". Mit dem jetzigen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe er "sehr gutes Arbeitsverhältnis entwickelt im Laufe der Zeit", meinte Van der Bellen - eigentlich angesprochen auf dessen kühle Reaktion auf Van der Bellens Silvester-Appell zur "Generalsanierung des Vertrauens", sei doch der von ihm - nach Ausbrechen der ÖVP-Chataffäre konstatierte - "Wasserschaden" noch nicht behoben.
Durchaus positiv beurteilte Van der Bellen die von der ÖVP-Grün-Koalition geleistete Arbeit zur Linderung der Krisenfolgen. Da sei die Regierung "nicht untätig" gewesen, deshalb seien auch bei Beginn des Ukraine-Angriffs befürchtete Katastrophen - Gas- und Strommangel, nicht Heizen können etc. - nicht eingetreten. Nicht gelungen sei allerdings die Kommunikation der zahlreichen Maßnahmen, mit denen die Teuerungsfolgen abgefedert wurden.
Terroristen mit Sprengstoff, nicht mit Klebstoff
Emotional zeigte sich Van der Bellen in Sachen Klimakrise. Er forderte nicht nur vehement mehr Tempo bei Gegenmaßnahmen ein, sondern trat auch scharf jenen entgegen, die die Klimakleber-Aktivisten als "Terroristen" bezeichnen - ohne die FPÖ zu nennen. Dies zu tun sei eine "Geschmacklosigkeit erster Güte", denn "diese Leute verwenden Klebstoff, ein Terrorist verwendet Sprengstoff". Auch der von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl erhobenen Forderung nach höheren Strafen für Blockaden von Klimaklebern trat Van der Bellen klar entgegen: "Das finde ich weit über das Ziel schießend." Für "wirklich zumutbar" hielte er Tempo 100 auf der Autobahn.
Kickl reagierte auf Van der Bellens Aussagen umgehend via Facebook. Offenbar solle nicht der Wählerwille in Sachen Regierungsbildung entscheiden, "sondern die persönliche Willkür einer einzelnen Person", postete er. Und wandte sich gegen die kritischen Anmerkungen des Bundespräsidenten zur FPÖ: "Um moralisch zu sein, genügt es, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu verurteilen. Alle anderen Angriffskriege sind offenbar gar kein Problem", schrieb Kickl, sowie: "Und zur EU darf man nur freundlich sein, sonst ist man ein Europafeind." Abschließend merkte der FPÖ-Chef an: "Aha. Sehr neutral. Sehr demokratisch. Sehr moralisch. Sehr rechtsstaatlich. Sehr tolerant. Oder vielleicht doch nicht"
Für blaue Aufregung sorgte Van der Bellens Aussage auch noch am Donnerstag. Dass der Bundespräsident Kickl nicht automatisch mit der Regierungsbildung beauftragen würde, sei ein "gleichermaßen besorgniserregendes und inakzeptables Liebäugeln des Staatsoberhaupts mit dem völligen Ignorieren des Wählerwillens", sagte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung. Eine "willkürliche Verweigerung des Regierungsbildungsauftrags" durch den Bundespräsidenten wäre damit nicht nur der Bruch mit einer seit Bestehen dieser Republik gelebten Usance, sondern ein zutiefst "antidemokratischer und autoritärer Akt", so Hafenecker.
"20 Prozent - 20 Fragen an Alexander Van der Bellen" erreichte am Mittwochabend auf ORF2 im Schnitt 458.000 Zuseherinnen und Zuseher (bei 27 Prozent Marktanteil). Für die späte Sendezeit um 22:30 Uhr sind das auffallend gute Zahlen.
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