„Universum spezial“ zum Klimawandel und was man sich im ORF dazu denkt
Bären, die ihre Lebens- und Ernährungsgewohnheiten ändern müssen, Meeresschildkröten, die Nachwuchsprobleme bekommen, Zugvögel, die in Österreich überwintern statt im Süden: „Klima wandelt Wildnis – zwischen Anpassung und Artensterben“ lautet der Titel eines „Universum spezial“ (20.15, ORF2), das sich in Beiträgen aus Österreich und einzelnen Ländern rund um den Erdball mit den unterschiedlichsten Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur beschäftigt.
Ein Highlight der von Christa Kummer und Tarek Leitner moderierten Sendung wird eine Schaltung in die Antarktis sein, wo Meteorologe Martin Radenz zwecks Erforschung der Umwelteinflüsse überwintert. Zu Gast im Studio ist der Wissenschaftler des Jahres 2022, der Biodiversitätsforscher Franz Essl. Er wird es hier, dank Augmented Reality, mit wilden Tieren zu tun bekommen.
Es ist ein Thema, das brennt. Doch „so relevant und existenziell die Klimafrage für uns als Gesellschaft ist, als ORF-Journalistin oder Journalist hat man in der Wissenschaftsberichterstattung am Boden der Sachlichkeit und äquidistant zu bleiben“, sagt Thomas Matzek, Leiter der ORF-Hauptabteilung Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen. „Denn das Klima und die Veränderungen sind nach Corona genau das nächste Thema, wo es für uns als ORF erneut um die Glaubwürdigkeit in der Berichterstattung geht.“
Transparente Quellen
Wissenschaft ist in den vergangenen Jahren aus dem Elfenbeinturm herabgestiegen und zum Teil auch am (Medien-)Boulevard gelandet. Entsprechend haben viele eine Meinung zu allem. „Da ist es unsere Aufgabe, das Prozessuale an Wissenschaft klarzumachen – was ist noch Diskurs, was ist Erkenntnis und das mit Quellen transparent machen.“ Dazu gehöre auch eine Fehlerkultur. „Aber mein persönlicher Zugang war immer: Wissen für alle - da kommt dem ORF eine wichtige Rolle zu“, meint Matzek.
Da ist, wie das populäre „Mayrs Magazin“ am Freitag im ORF2-Vorabend, auch das Spin-off der international renommierten Hauptmarke „Universum nature“ ein wichtiger Baustein und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Matzek: „,Universum spezial‘ ist ein journalistisches Format, das inhaltlich und in der Umsetzung breiter angelegt ist. Es bringt damit, was mir wichtig ist, ein Mehr an wissenschaftlicher Erkenntnis in die Gesellschaft.“ Überdies sei es für den ORF eine Möglichkeit, Naturfilm-Talente an den ORF heranzuführen, der so von einer moderneren Bildsprache und Dramaturgie profitiert.
Dezentrales Produzieren
Bei „Universum spezial“ arbeitet man, auch unter dem Aspekt des „Green Producing“, bereits konsequent mit lokalen Teams. „Dieses Konzept setzen wir nun auch bei Lang-Formaten um. Damit sparen wir Geld und CO2 für Flüge von Personal und Material und können trotzdem beste Qualität bieten“, erklärt Matzek. In diesem Vorgehen sieht man sich eins mit dem großen Naturfilm-Unternehmen Terra Mater des früheren „Universum“-Chef Walter Köhler an der Spitze.
Aktuell läuft etwa ein „Universum“-Dreh auf den Nikobaren, wo das Epizentrum des verheerenden Tsunamis lag, der sich 2024 zum 20. Mal jährt. „Wir konnten mit Varun Alagar Surendran einen der besten indischen Naturfilmkameraleute für dieses Projekt gewinnen.“
Dezentrales Produzieren klappt auch im südlichen Afrika. Will und Lianne Steenkamp, ein niederländisch-südafrikanisches Naturfilmer-Ehepaar, zählen heute zu den Superstars der Szene. Ihr neues Projekt „Desert Phantoms“ kommt nächstes Frühjahr in „Universum“. Es geht um die äußerst selten gewordenen Wüstenlöwen in Namibia. „Man wird sie zum Beispiel bei der Robbenjagd erleben. Das sind Bilder, die man noch nie gesehen hat“, so Matzek.
Natur und Zivilisation
Was in „Desert Phantoms“ auch angesprochen wird ist, dass die Löwen auf Nahrungssuche in Dörfer vordringen und Ziegen reißen. Eine Problematik, die ansatzweise an aktuelle Diskussionen um Wolf und Bär hierzulande erinnert. Matzeks Sicht der Dinge: „Die tradierte Trennung von wundervoller Natur hier und böser Zivilisation da, ist nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen uns eingestehen, dass dieser Lebensraum für industrielle Wertschöpfung, Zivilisation, aber auch Artenschutz gleichermaßen da ist. Sonst endet das in immer kleiner werdenden Naturschutz-Bereichen, in die man von außen, wie ins Museum, reinschaut.“
Wie Wildtiere sich ihren Lebensraum in dieser Zivilisation suchen und finden, wird im nächsten Jahr in „New Age - Moderne Wildnis“ des Tiroler Filmemachers Patrick Centurioni behandelt werden. Ein weiteres Projekt dazu ist „Korridore der Wildnis“, in dem es um die Wanderungsmöglichkeiten der Tiere und deren Grenzen gehen wird.
Aktuell läuft etwa ein „Universum“-Dreh auf den Nikobaren, wo das Epizentrum des verheerenden Tsunamis lag, der sich 2024 zum 20. Mal jährt. „Wir konnten mit Varun Alagar Surendran einen der besten indischen Naturfilmkameraleute für dieses Projekt gewinnen.“
„Versteckte" Wissenschaft
Die international bekannte TV-Marke „Universum nature“ ist nur ein Puzzleteil aus dem Bereich Ökologie in Matzeks vielfältigen Aufgabenfeld. Dazu gehören auch noch die Bereiche Mensch mit z.B. Christine Reilers „Bewusst gesund“ und „G‘sund in Österreich“, wo Wissenschaft niederschwellig und in Form von Lebenshilfe „versteckt“ zum Tragen kommt. Einen hohen Stellenwert hat die Zeitgeschichte mit beispielsweise „Universum History“ und „Menschen & Mächte“. Mit beispielsweise Technologie, die der Gesellschaft bei aktuellen Herausforderungen helfen soll, beschäftigt sich der Bereich Zukunft, was sich etwa in „Mayrs Magazin“ wiederfindet.
Und, wenn es nach Matzek geht, auch einmal in einem „Universum science“. Ein schon länger schwebender Plan, der „aus Gründen der Ausrichtung und des Budgets“ noch nicht umgesetzt wurde. Hier könnte man, so die Idee, zeigen, wie Forschung und Wissenschaft, nämlich ergebnisoffen, funktioniert und auch die Menschen dahinter. „Früher waren das ja Männer mit weißen Bärten in weißen Kitteln, heute gehen Molekularbiologinnen Kite-Surfen. Das ist ein völlig anderes Bild. Ich glaube, dass man bei entsprechender Konzeption damit vom Kind bis zu den Großeltern die Menschen erreichen kann“, meint der Wiener
Einfach gescheiter werden
Noch gibt es das neue ORF-Gesetz und die erhofften neuen Möglichkeiten im digitalen Raum nicht. Die Hauptabteilungen und Ressorts werden aber bereits multimedial aufgestellt, seit TV, Radio, digital im neuen ORF-Campus auf dem Küniglberg zusammengezogen wurden. Eine ziemliche Aufgabe, wie Matzek erläutert: „Man muss sich nur vor Augen führen, dass allein Ö1 um die 15 Formate hat, die sehr zur Wissenschaft hin orientiert sind. Beim Fernsehen hat die Hauptabteilung z. B. zehn Sendeleisten. Also, das ist schon ein weites Feld.“
Aber, so der 59-Jährige relativierend: „Menschen, die sich mit Wissenschaft und Bildung beschäftigen, sind meist Idealisten, denen es sehr um die Sache geht.“ Auch hätten viele von TV ins Radio und umgekehrt gewechselt. „Und ich selbst habe schon vor 20 Jahren online für science.orf.at geschrieben. Also, ich sehe in der neuen räumlichen Nähe vor allem die Chance, Wissen zu teilen und ganz einfach insgesamt gescheiter zu werden.“
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