Das liegt nicht zuletzt an den Darstellerinnen und Darstellern im österreichischen Gesamttheater, und zwar allgemein, abseits dieses "Im Zentrum": Nicht nur der Neusiedlersee kämpft gegen den Tiefststand an, auch das Diskussions- und Diskursniveau, und zwar bei eigentlich jedem Thema. Da darf man angesichts einer eigentlich komplexen Debatte um Vorwurfdifferenzierung, gesellschaftliche Machtgefälle, die Randzonen der Ästhetik oder auch simpel der Frage, wie wir leben wollen, schon mal präventiv in die Duckhaltung gehen.
Aber es nützt nichts, man schaut dann trotzdem zu.
Vorab zur Erinnerung: Darum geht es im Fall Rammstein.
Auch wir im KURIER haben das schon debattiert, etwa hier.
Für eines hat sich dieses "Im Zentrum" gelohnt: Wann sieht man schon einen Liveeinstieg vor die Halle, in dem ein Rockkonzert stattfindet, als würde dahinter gerade die Regierung Kurz III angelobt? Nein, es gab ausgerechnet an dem Abend in Bern keine Proteste gegen Rammstein, nein, Till Lindemann hat live die Vorwürfe nicht thematisiert, und, Überraschung, viele Fans gehen trotzdem zu dem Konzert, entweder ungerührt von den Vorwürfen oder abwartend.
Das sollte die Debatte aber nicht aufhalten. Die entspann sich leider an der Papierform. Meri Disoski, stellvertretende Klubobfrau und Frauensprecherin der Grünen, sagte wieder ihren bemerkenswerten Satz, dass einem "mutmaßlichen Täter", einem "mutmaßlichen Vergewaltiger" keine Bühne "aufbereitet" werden solle.
Das ist auf zweierlei Arten erstaunlich: Bisher hat keine der Frauen, die sich medial geäußert haben, einen Vergewaltigungsvorwurf geäußert, aber das ist wohl so eine "keine Details, welches Stück?"-Situation. Und wenns ums eigene Thema geht, das kennt man von Politikerinnen und Politikern allüberall, wird man, zweitens, rasch betriebsblind: Grüne Kernthemen anderswo sind, die Mutmaßlichkeit nicht mit der Tatsächlichkeit gleichzusetzen, man pocht - zu Recht! - auf Differenzierung und gegen Vorverurteilung etwa bei der Kriminalitätsrate von Immigranten. Für Till Lindemann scheint, zumindest in der Sicht der Grünen, die Sache bereits gelaufen zu sein.
Man kann im Allgemeinen sagen, dass sich die Glaubwürdigkeit der Parteien zuletzt in performative Politik aufgelöst hat: Man holt in jeder Sache den Applaus der eigenen Zielgruppe ab, ungeachtet der Kosten. Man kann hier jeweils bei der eigenen Seite mitklatschen, oder das Gesamtbild der heimischen Innenpolitik verheerend finden.
Die Vorwürfe der Frauen sind für Disoski jedenfalls Symptom eines "gesellschaftlichen Versagens".
Rudi Dolezal, Szenegewächs und als solches eingeladen, versucht sich an einem (angesichts der Gesamtdebatte dringend notwendigen) Grundkurs Ästhetikkunde 1.01, Kunst ist für ihn "mit Freiheit verbunden", und deswegen täte er sich mit einem Konzertverbot "ein bisserl schwer". Er schätzt die Angelegenheit so ein - in Kenntnis der Band, für die er ein Video drehte -, dass hier Dinge passiert sein könnten, "die zwar juristisch nicht relevant sind, aber moralisch schwer daneben sind". Das ist "Teil von Sex and Drugs and Rock and Roll", verweist er auf die Geschichte - "Rock 'n' Roll ist kein Kindergeburtstag", und es gehören "immer zwei dazu", und es "gilt trotzdem die Unschuldsvermutung".
Womit man mit Minute 9:45 der Diskussion die Eckpunkte der Debatte abgesteckt hat. Von da an ging es ums Ausziselieren der Position, die man selbst einnimmt - das war die Aufgabe der weiteren Diskutanten, Samir Köck, Musikjournalist, Alexandra Stanić, Journalistin und Podcasterin, und Ulrich Körtner, Ethiker und Theologe. Weiter voran ging es nicht mehr.
Aber es ging, zumindest in der Lautstärke, nach oben: Bei Minute 12.30 beschwerte sich Stanić das erste Mal, dass sie doch bitte weiterreden dürfen solle, eine Minute später war sie bei einem ÖVP-Bürgermeister.
Man handelte ab, was seit Tagen online und medial aufeinander geworfen wird, und das streng an vorgegebenen Argumentationsrichtlinien entlang: Es ging um Safe Spaces bei Rockkonzerten, Sexismus im Hip-Hop, die Ambivalenzen von Moral im Rockzirkus, die Unschuldsvermutung, um R. Kelly, Michael Jackson und die Problematik von Texten, die über den Emotionskorridor von Schlager hinausgehen, um die relativen Gruselmeriten von Rock und Hip-Hop und darum, ob Hip-Hop mehr oder weniger schlecht dasteht, weil er meist von Migranten kommt, und um die Nutznießer der Debatte: "Wir betreiben am Ende auf einer Metabebene das Geschäft" der Band, resümierte Körtner.
Als "weißer Mann", sagte Stanić zu Köck, der warf "ich bin nicht weiß, ich bin halb arabisch" ein, man ortete insgesamt die Doppelmoral beim jeweils Anderen, die Fans sind ihr wurscht, sagte Stanić mittendrin, "jetzt kenn ich mich aus", replizierte Dolezal, beide waren laut.
Wir uns auch, danke: So kommen wir in dieser Debatte nicht weiter. Sie ist, wie so viele andere, nur eines gewesen: Eine Vorlage für die Dritten, sich über diejenigen zu empören, die nicht ihre Meinung darstellen.
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