Der Stand der Rammstein-Debatte: Show bis ans Ende
Die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann, er habe sich bei Konzerten junge Frauen für private After-Show-Partys mit sexueller Konnotation casten lassen, wobei zusätzlich auch Spekulationen über K.O.-Tropfen und Übergriffe im Raum stehen, haben erste Konsequenzen.
So hat sich die Band von jener Frau getrennt, die in die Rekrutierung der Konzertbesucherinnen federführend involviert gewesen sein soll. Lindemann selbst, der die Vorwürfe zurückweist, lässt sich anwaltlich vertreten und will gegen falsche Anschuldigungen und vorverurteilende Medienberichterstattung rechtlich vorgehen. Und in Deutschland und Österreich fordern Politikerinnen, die Konzerte der Band bis zur Klärung abzusagen.
Die Irin Shelby Lynn, die mit ihren Schilderungen von Hämatomen und einem Blackout nach einem Rammstein-Konzert in Vilnius die Debatte ins Laufen gebracht hatte, wurde laut Die Welt inzwischen von der litauischen Polizei vernommen. Ob es zur Strafverfolgung kommt und wenn, gegen wen dann ermittelt werden sollte, soll sich nächste Woche entscheiden.
Die Polizei habe ursprünglich verweigert, bei Lynn einen Bluttest zu veranlassen, um etwaige illegal verabreichte Substanzen nachzuweisen.
Interne Aufklärung
Rammstein hat inzwischen eine Kanzlei beauftragt, eine Klärung bezüglich der Vorwürfe voranzutreiben. Aus dieser internen Untersuchung sollen nächste Woche erste Ergebnisse vorliegen.
Mehrere Frauen hatten in den vergangenen Tagen – teilweise anonym – den Vorwurf der sexuellen Übergriffigkeit gegen Rammstein-Frontmann Lindemann erhoben. Die Frauen schilderten Situationen, die sie teils als beängstigend empfunden hätten. Junge Frauen seien während Konzerten gefragt worden, ob sie zur After-Showparty kommen wollen. Dabei soll es nach Schilderungen einiger Frauen auch zu sexuellen Handlungen gekommen sein.
Die Band
weist die Vorwürfe zurück. Ein Anwalt will gegen falsche Anschuldigungen und vorverurteilende Medienberichte vorgehen.
Mehrere Medien haben seit Beginn der Debatte mit weiblichen Fans und Menschen aus dem Umfeld der Band gesprochen, die ihre Wahrnehmungen auch eidesstattlich untermauert haben. Diese Wahrnehmungen reichen von Bestätigung der erhobenen Vorwürfe bis zu Personen, die einvernehmlichen Sex mit Lindemann hatten oder diesen ablehnten und keinerlei Vorwürfe erheben.
Zuletzt sprach der Spiegel mit mehreren Frauen, die vom System rund um die Vorwürfe berichteten, teils die selben Frauen wie in anderen Medien. Eine beschreibt, dass sie beim Sex mit Lindemann stark geblutet habe, ohne dass klar war, warum. „Sie will nicht behaupten, dass es nicht einvernehmlich gewesen sei“, heißt es in dem Bericht.
Derweil spielt die Band ausgerechnet jetzt eine große Tournee, die derzeit in München Halt macht und im Juli nach Wien führen soll.
Dagegen erhebt sich Widerstand. Die Stadt Wien stellt Bedingungen für die Durchführung: „Grundbedingung für die Wiener Konzerte sind die Umsetzung jener Maßnahmen, die bereits in München zum Einsatz kamen. Das sind: keine Reihe 0, Schutzzonen, keine After Show Partys und Awareness Teams“, hieß es dazu auf dem Twitter-Account der Stadt Wien.
„Reihe 0“ bzw. „Row Zero“ ist jener Bereich, für den die jungen Frauen ausgewählt wurden, um nachher auf die After-Show-Partys mit Lindemann zu gehen.
Die Frauensprecherinnen der Grünen im Bund und in Wien forderten, dass die Konzerte bis zur Aufklärung der Vorwürfe abgesagt werden sollen. „Keine Bühne für mutmaßliche Täter!“, lautet der Titel der dementsprechenden Aussendung.
Diffuse Debatte
Eine Formulierung, die die Schwierigkeiten der derzeitigen diffusen Debatte rund um Rammstein bzw. Lindemann durchaus gut abbildet: Diese reicht von Verbotsforderungen und Petitionen gegen die Wien-Konzerte über Dementi und eine gewisse Unschärfe bezüglich der Vorwürfe bis hin zu Rammstein-Fans, denen die Debatte herzlich egal ist und die den Frauen, die Vorwürfe äußern, Unsägliches wünschen.
Nahe an der Kunst
Der Debattenverlauf wird auch dadurch unscharf, dass Rammstein hier von ihren Kunstfiguren in der Realität eingeholt zu werden scheinen: Die international erfolgreiche Band kokettiert in ihrer Kunst seit drei Jahrzehnten mit Grenzüberschreitungen zu sexuellen, politischen und ästhetikhistorischen Themen. Damit – etwa mit Faschismusbezügen, mit Texten über sexuelle Randerscheinungen oder auch einem schaumspritzenden Bühnenpenis – bewegten sie sich außerhalb vieler aktueller Themenstellungen.
Und ebenso stellt das Umfeld der Debatte eine gewisse Abwägungsherausforderung dar: Mehrere Kommentatoren wiesen – abseits etwaiger strafrechtlicher Vergehen – auf das einstige Moralfreiheitsversprechen der Populärmusik hin, das mit Safe Spaces und Partyverbot wenig am Hut hatte. Diese Kommentatoren wurden von anderen wieder einer überkommenen männlichen Perspektive bezichtigt.
Kommentare