Song Contest 2024: Entzweit durch Musik
Es war ein Song Contest der bitteren Pointen. Die vorletzte davon war, dass sich das durchpolitisierte Wettsingen am Schluss in die neutrale Schweiz flüchtete.
Die letzte war, dass der Gewinner Nemo dann auch noch den ESC-Siegerpokal zerbrach. Ein besseres Bild dafür, was heuer mit dem Song Contest in Malmö passiert ist, hätte man nicht erfinden können.
Es war eine Veranstaltung der unschönen Szenen, was nicht so schlimm klingt, für den Song Contest aber existenzgefährdend ist – nämlich für das, was er sein will, eine freundliche Feier dessen, was Europa ausmacht.
Das ist unter anderem, dass hier vieles geht, was anderswo nicht geht; etwa das „Gewand“ von „Windows95Man“ und all den anderen halbnackten Männern (Frauen sind hier wirklich nur mitgemeint).
Der Song Contest hat sich zu einer sympathischen Party der Freiheit, der String-Tangas und des „Du darfst so bleiben, wie du bist“ entwickelt. Das regt zwar Onlinekommentatoren und Rechtspopulisten auf, aber bildet schon einen Unterschied von Europa zu vielen anderen Teilen der Welt ab.
Buhrufe und Drohungen
Dieser Zauber verschwindet aber, wenn der Bewerb selbst zum Streitort der Minderheiten und Meinungen wird.
Die Buhrufe gegen die israelische Sängerin Eden Golan haben fast schon an physische Gewalt gegrenzt, sagte Moderator Andi Knoll zu Recht. Dass jedes Land, das Israel stimmen gab, auch noch im Finale ausgebuht wurde, treibt das auf eine Spitze, die vom Gedanken des Song Contest nicht viel übrig lässt. Die Bilder der Demos gegen Israel aus Malmö und all die daranhängenden politischen Reibereien haben die Stimmung beim Song Contest 2024 ebenso aufgeraut wie die Schlagseite, die in der Kulturwelt gerade auftaucht. Es ist dort bei gar nicht wenigen sozial mehr erwünscht, gegen Israel zu sein, als wirklich für Frieden.
Golan wurde so auch von Mitbewerbern geschnitten; die griechische Teilnehmerin gähnte demonstrativ bei einer gemeinsamen Pressekonferenz; der Niederländer Joost Klein stichelte gegen Golan. Es passte auch sehr gut ins Bild aus Malmö, dass Klein und eine Kamerafrau in der angespannten Stimmung derart aneinandergeraten sein sollen, dass Klein disqualifiziert wurde. Der Chef des Veranstalters EBU wurde auch bei jedem Auftritt im Finale ausgebuht, es scheint aus Prinzip, da das Publikum den Vorfall ja auch nicht bewerten kann. Was genau passiert ist, klärt nämlich gerade die Staatsanwaltschaft.
Und da schließt sich der Kreis: Der Song Contest, bisher sichere Zone genau dagegen, wurde heuer zum Ort der Vor-Urteile.
Das Ganze war so verbockt, dass man selbst die Jury-Votes skeptisch anschaut. In Österreich etwa ist Israel beim Publikum fast ganz vorne gewesen (Zweiter hinter Kroatien), bei der Jury kommt das Land nicht vor.
Publikum gegen Jury
Wie überhaupt das Publikum viel vehementer für Israel und den anderen politikumflorten Kandidaten, die Ukraine, gestimmt hat. Fast ganz Westeuropa hat Israel 12 Punkte gegeben, im Osten liegt hier die Ukraine vorne, insgesamt landete das Land auf Platz zwei hinter Kroatien. Bei den Jurys wurde Israel viel weiter unten angesiedelt, auf Platz 12. Klar, wird die musikalische Qualität gewesen sein, lautet hier der erwartbare Einwand.
Das Motto „United By Music“ wurde jedenfalls nicht erfüllt, im Gegenteil: Bestehende Gräben bekamen viel Scheinwerferlicht ab. „Die Trophäe kann repariert werden – vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung“, sagt selbst Sieger Nemo.
Dessen Status als nicht-binär – Nemo fühlt sich weder als Mann noch als Frau – begann nach dem Sieg dann, die Internetdebatte zu beherrschen; man kippte wieder in die Debatte um „Wokeness“.
Dabei gäbe es viel Entscheidenderes zu diskutieren: Wie nämlich der Song Contest von hier aus weitergehen kann. Wie man mit der giftigen Politisierung des Bewerbs, der einst nur in Favorisierungen bei der Punktevergabe politische Spielchen spielte, umgeht. Wie aus dem allen wieder eine unbeschwerte Party wird. Nächstes Jahr, in der Schweiz.
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