"ZiB Spezial": Der Unterschied zwischen "Normalität" und "stabiler Lage"
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Montag, 20.15 Uhr, ORF 2, das ist üblicherweise Armin-Assinger-Land. „Hier stelle ich die Fragen“, würde der gelernte Gendarm, Ex-Skirennläufer und nunmehrige „Millionenshow“-Moderator vielleicht sagen, wenn ihm zu dieser quotenträchtigen Sendezeit jemand in die Quere kommt.
Diesen Montag stellte aber nicht Assinger die Fragen, sondern„ZiB“-Journalistin Margit Laufer. In einer weiteren Ausgabe der „ZiB Spezial“-Sendungen, die in der Corona-Krise immer wieder das gestiegene Informationsbedürfnis befriedigen. Mitunter auch statt der „Millionenshow“, wie zuletzt am 15. März, als ein Jahr Corona-Krise mit einer Sondersendung begangen wurde.
Die „ZiB Spezial“ war diesmal keinem Jubiläum dieser Art gewidmet. Gewissermaßen war sie aber auch eine Art „Millionenshow“, denn die Sondersendung mit dem Titel "Impfen - Wo steht Österreich?" drehte sich um die „positiven Nachrichten“ beim Impfen. Die zweite Million an geimpften Österreichern wurde zuletzt überschritten.
Die Sendung lieferte in ihren Beiträgen einen informativen Ausblick auf die weitere Impfkampagne bis zum Sommer, da nun die vorgezogenen Lieferungen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs einlangen. Außerdem wurden mögliche Nebenwirkungen der Impfung in einen wissenschaftlichen Kontext gestellt. Etwa könne ein Augenarzt ein mögliches Anzeichen auf eine seltene Hirnvenenthrombose erkennen, wurde berichtet.
Der Frageteil: „Stabile epidemiologische Lage“
Nun zu den „Kandidaten“ bei dieser „Millionenshow“: Zunächst Impf-Experte Herwig Kollaritsch, dann der Hauptkandidat, Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Kollaritsch erklärte, wie viele Menschen geimpft werden müssten, um eine „stabile epidemiologische Lage“ zu erreichen, bei der man „nicht mehr in einen Lockdown laufen“ könne. Denn mehr sei realistischerweise nicht zu erreichen, eine Herdenimmunität sei bei Corona illusorisch.
45 Prozent der Österreicher müssten geimpft werden, diese Zahl und die 20 Prozent, die die Krankheit bereits durchgemacht haben, würden diese stabile Lage herstellen. Wobei Kollaritsch auch sagte, dass die Wirkung der Antikörper nach einer Covid-Erkrankung nur für sechs Monate wissenschaftlich gesichert sei.
Impfunwilligen teilte Kollaritsch mit, dass das Virus weiter zirkulieren wird und daher auch nach einer breiten Durchimpfung eine Gefahr darstellt.
Ob man vor einer Covid-Schutzimpfung einen Corona-Test durchführen müsse?
„Das ist absolut nicht notwendig“, sagte Kollaritsch.
Und wieder Ischgl
Nach einem Bericht über die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt folgte eine kurze Aufarbeitung der Impfstoff-Verteilungsdiskussion auf EU-Ebene, bei der es bekannterweise Empörung über die österreichische Position gab. Es ist rund einen Monat her, dass sogar der niederländische Premier Mark Rutte aus dem Verein der „Frugalen Vier“ ausscherte und sagte, dass vor allem Bulgarien, Lettland und Rumänien ein Problem hätten, während er bei Österreich keines erkennen könne.
Bundeskanzler Kurz wurde in der "ZiB Spezial" noch einmal mit diesen Ungereimtheiten konfrontiert, auch mit einer noch viel früher ausgelösten Imagekrise namens Ischgl.
Da darf es nicht wundern, wenn Kurz wieder einmal darauf verwies, dass das Virus nicht durch Ischgl in die Welt gekommen sei, sondern in China, woraufhin es über Italien weitere Verbreitung gefunden habe.
Die in Umfragen zuletzt festgestellte Vertrauenskrise der Bundesregierung wurde ebenfalls thematisiert. Das Thema Chatprotokolle, nach dem in diesem Zusammenhang auch gefragt wurde, konnte der Kanzler aber eher elegant außen vor lassen.
"Extrem gut und unkompliziert"
Die Zusammenarbeit mit dem neuen Gesundheitsminister, Wolfgang Mückstein, beschrieb Kurz als „bisher extrem gut und unkompliziert“, auch der „große Schritt“ des Öffnungsplans sei schon mit Mückstein gemeinsam gestaltet worden.
Der Kanzler nutzte also die Gelegenheit, um viel Positives zu berichten. Dass Österreich bei den Impfungen unter den zehn schnellsten Ländern sei, hörte man wieder einmal, beim Testen gehöre man ohnehin zu den weltweit Besten.
Ein bisschen gereizt wirkte Kurz, als der Mikrobiologe Michael Wagner zitiert wurde. Dieser hielt den angekündigten großen Öffnungsschritt Mitte Mai für ein „unnötiges Risiko“.
Er finde die öffentliche Debatte „mittlerweile relativ interessant“, sagte Kurz. „Jedes Mal, wenn wir Schließungen verkünden mussten, habe ich vom ORF die Frage gestellt bekommen, ob ich nicht weiß, welche Schäden das auslöst, bei Kindern, die nicht in die Schule gehen können oder was das für den Wirtschaftsstandort bedeutet. Jetzt, wenn endlich geöffnet werden kann, heißt’s auf einmal: Das ist ein unnötiges Risiko.“ Jedenfalls würden zum Stichtag 19. Mai mehr als drei Millionen Österreicher geimpft sein und die vulnerablen Gruppen bis dahin also geschützt, versicherte Kurz.
Interviewerin Laufer hielt korrekterweise fest, dass der Vorwurf des „unnötigen Risikos“ nicht aus ihrer Feder stamme, sondern aus jener des Mikrobiologen.
Nicht viel Neues
In den rund fünfzehn (voraufgezeichneten) Minuten Kanzlerinterview erfuhr man nicht viel Neues. Das Ziel, das Kurz zu Ostern ausgegeben habe, dass innerhalb von 100 Tagen allen impfwilligen Österreichern eine Impfung angeboten werden könne, werde „sogar übererfüllt“ werden, sagte Kurz. Weil bis voraussichtlich Ende Juni all jene geimpft werden könnten, die das möchten.
Die 100 Tage ab Ostern ergeben zwar auch ungefähr Ende Juni, aber so schnell kann das ja niemand nachrechnen.
Dann referierte Kurz auch noch eine Liste an weiteren Prognosen, mit denen er „punktgenau“ getroffen habe oder treffen werde. Etwa jene Kanzler-Prognose vom vergangenen August, dass wir im Sommer 2021 Normalität erreichen.
Eine gewisse Art von Normalität hatte Österreich schon im Sommer 2020 erreicht. Aber so richtig normal war diese Normalität auch nicht und auch im kommenden Sommer ist alles andere als klar, ob es zum Beispiel völlige Reisefreiheit geben wird. Große Rockfestivals dürfte es auch nicht spielen.
Expertenjoker
Der TV-Tagebuchschreiber wählt daher an dieser Stelle, passend zum etatmäßigen ORF2-Programm am Montagabend, den „Expertenjoker“ und zitiert noch einmal Herwig Kollaritsch.
Die Aussicht für den Sommer lautet demnach wohl eher: „Stabile epidemiologische Lage.“
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