Runder Tisch zu Schmid-Geständnis: "Die Welt ist jetzt eine ganz andere"
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Beim „Runden Tisch“ im ORF saß am Mittwochabend „der gesamte U-Ausschuss“, sagte Moderator Hans Bürger. Also zumindest die Fraktionsvorsitzenden der fünf Parlamentsparteien.
Ob Abhören, Verwanzen, und Angst vorm verwanzt werden der neue Stil in der ÖVP sei?
„Keinesfalls“, sagt Andreas Hanger (ÖVP) erwartungsgemäß. Er sieht eine „tiefes gegenseitiges Misstrauen, diese Methoden sind abzulehnen", das seien auch "starke Vorwürfe". Aber: „24 Stunden später sieht die Welt schon wieder ganz anders aus“. Hänger beruft sich auf die heute von Sebastian Kurz eingebrachten Tonbandprotokolle. Dass die dem Stil des Verwanzens eigentlich recht nahe kommen, fällt unter den runden Tisch.
Einen Tag danach sei „die Welt eine ganz andere“, zeigt er sich ein weiteres Mal überzeugt.
Bürger wendet ein, es handle sich eher um „eine irritierte Welt“.
Hanger sieht bei Schmid lediglich Behauptungen, sein Handeln sei rein darauf ausgerichtet, den Kronzeugenstatus zu erhalten, er wolle Straffreiheit, Hänger hält dies für „einigermaßen skurril“. Jedenfalls sei man „weit weg von einer Anklage“, die WKStA solle das unvoreingenommen klären.
Nina Tomaselli vom grünen Koalitionspartner sieht das nicht so. Wenn der Anwalt von Sebastian Kurz in der „ZiB2“ sagte, es gebe keinen objektiven Beweis, „dann würde glaube ich jeder in dem Untersuchungsausschuss dafür die Hand ins Feuer legen und sagen: Das ist nicht so.“
Sie sehe die Grundthese aus dem ÖVP-U-Ausschuss bestätigt: „Die große Täuschung von Sebastian Kurz und seinem ganze Machtzirkel ist aufgeflogen.“ Es gehe um "steuergeldfinanzierte Fake-Umfragen, um Postenschacher, um Spezialbehandlungen für Superreiche“. Man habe Vorwürfe vorgelegt und „schön langsam erhärten sich die Vorwürfe zu Beweisen", der U-Ausschuss leiste wichtige Aufklärungsarbeit.
"Das schaut nicht gut aus"
Kai Jan Krainer von der SPÖ vergleicht die Situation mit jener des einstigen US-Präsidenten Richard Nixon. Dieser sei der „der letzte hohe Politiker, von dem ich mitbekommen habe, dass er Tonbandaufzeichnungen von Telefongesprächen gemacht hat“ und dieser sei der Lügerei überführt worden und musste zurücktreten. „Das schaut nicht gut aus“, befindet Krainer. Er sehe eine Zustandsbeschreibung der ÖVP, „wenn beste Freunde so miteinander umgehen, widert mich das an.“ Die Welt habe sich „dadurch gar nicht verändert“.
Auch für Christian Hafenecker (FPÖ) ist „die Welt noch genau die gleiche“, die beiden Regierungspartner seien „in Wahrheit regierungsfunfähig“, weil mit eigenen Problemen beschäftigt. Er sehe einen Hanger, der sich - Frei nach Pippi Langstrumpf - die Welt so mache, „so wie sie mir so gefällt“ und die Grünen würden „Gas geben und bremsen gleichzeitig“.
Der Thomas Schmid, der einmal in einem Chat „Ich liebe meinen Kanzler“ geschrieben habe, sei heute ein anderer als jener, der damals Öbag-Chef geworden ist.
Stephanie Krisper von den Neos meint, es liege an den Gerichten, die Beweise zu gewichten, die Neos seien froh, „dass die WKStA mittlerweile so frei ermitteln kann, wie sie sollte.“ Dies sei ein Erfolg des Ibiza-Ausschusses und des laufenden U-Ausschussses, dass auch gegen die Mächtigen „nix mehr zerschlagen wird“. Sie sehe aber auch ein Problem bei den Grünen, dass sie mit ihren Reformwünschen in der Regierung nicht durchkämen. Der U-Ausschuss habe "alle Formen der Machtmissbrauchswege der ÖVP“ offengelegt, aber man komme nicht in Reformen für „eine saubere Politik“. Hier bleiben die Neos weiter auf ihrem Standpunkt, einer Fortführung des U-Ausschusses nicht zuzustimmen.
"ÖVP-Problem nicht gleich Regierungsproblem"
Nach dem Haltbarkeitsdatum der Regierung gefragt, antwortet Tomaselli: „ÖVP-Problem ist nicht gleich Regierungsproblem.“ Die Grüne seien auch Teil der Regierung und nicht von solchen Vorwürfen betroffen. „Dieser Dauerbeschuss von Korruptionsmeldungen, worunter seid 2019 die gesamte Bevölkerung leidet, beschäftigt uns auch in der Regierung.“ Die ÖVP wäre angehalten, „sich mal einsichtig zu zeigen und sich auch einmal an der Vertrauensrückholungsaktion zu beteiligen“. Sie nannte das Informationsfreiheitsgesetz und das neue Korruptionsstrafrecht, beides sei reif dafür, eingebracht zu werden.
„Die unabhängige Justiz arbeitet hervorragend“ sagt sie, aber man sei „noch nicht am Ende der Klärung der politischen Verantwortung und da ist der optimale Platz der U-Ausschuss“.
Hanger sieht einen Regierungskonsens, "Systeme weiterzuentwickeln“ und da gebe es auch „Dinge, die gemacht werden“. Das Medientransparenzpaket sei eingebracht.
Hanger lädt Schmid ein
Der ÖVP-Fraktionsführer erinnert daran, dass Schmid an 15 Tagen von der WKStA einvernommen worden sei, aber: „Er hat dort nicht Wahrheitspflicht. Und ich lade den Thomas Schmid ganz offiziell ein, er soll in den U-Ausschuss kommen und dort muss er unter Wahrheitspflicht zu all den Causen Stellung nehmen“. Noch einmal verweist er auf angebliche Widersprüche im Tonbandprotokoll.
Den talentierten Schmid vonseiten der ÖVP in den U-Ausschuss zu laden, ist doch ein interessanter Move.
Krisper sagt: „Nichts hat sich bei der ÖVP geändert", es gebe auch im U-Ausschuss kein Eingeständnis, dass „etwas falsch gelaufen“ sei. Weiterhin gebe es "klandestines Vorgehen bei Vergaben, bei Inseraten".
Krainer machte Werbung für die nächste U-Ausschusssitzungt. Was die weitere Einschätzun, die heute Donnerstag stattfindet. Was die Einschätzung der aktuellen Lage betrifft, sagt der SPÖ-Politiker: „Ich bin nicht zuständig für Strafrecht, ich bin für die politische Verantwortung zuständig und für das, was wir dann als Gesetzgeber an den Regeln verändern müssen, damit die ÖVP nicht mehr den Staat missbrauchen kann.“
Das ist starker Tobak vom langjährigen Ex-Koalitionspartner. Hanger wollte direkt reagieren, durfte aber nicht, Tomaselli meinte, man habe jetzt einen direkten Einblick, wie es oft im U-Ausschuss laufe.
FPÖ-Kritik an Neos
Hafenecker kritisierte die Neos dafür, aus dem U-Ausschuss aussteigen zu wollen, gerade jetzt, wo Thomas Schmid ein „Missing Link“ geliefert hat, wie er meint. Er vergleicht das Einstampfen des U-Ausschusses mit einem Abdrehen der WKStA. Er hoffe, „dass wir hier weiter tun“. Die ÖVP solle sich „wirklich in Selbstreflexion" üben, denn „da sieht man schon überall die goldenen Löffeln aus dem Sakko heraus blitzen und erst, wenn man in flagranti erwischt wird, gibt man’s dann zu.“
Krisper rechtfertigt die Haltung der Neos damit, dass die Wege des Machtmissbrauchs „längst bekannt“ seien und neue Einzelfälle nur dort wieder einzahlen. Vieles sei schon zur Justiz rübergezogen worden. „Wenn wir da weitermachen zu genau diesen Sachverhalten, wo sich alle entschlagen können, wenn wir sie laden, ist es nur mehr eine An-den-Pranger-stellen-Veranstaltung. Es gibt keine systematischen Fragen, die noch offen sind, wir brauchen endlich Reformen.“
Unterstellungen! Und Ibiza-Vibes
Krainer hat ein Déjà-vu. Vor einem Jahr hätten die Neos den Grünen die Einstellung der Ibiza-U-Ausschusses vorgeworfen (Krisper: „da waren noch Akten ausständig“), jetzt sei es umgekehrt, „ich finde, es haben beide recht.“ Er sehe vier Parteien, „die konstruktiv arbeiten“. Er finde, „es tauchen ganz neue Systeme auf.“ Er sprach „ein ganz neues Tool“ im nö. Wahlkampf an.
Schon wurde es wieder laut und es fiel das Wort „Unterstellungen“ aus der Richtung Hangers. Auch Diskussionsleiter Bürger fand das jetzt wenig konstruktiv.
Aber es ging noch eine Stufe aggressiver. Krainer sagte: „Ich würde niemals sagen, ich habe alle Wege gefunden, wie die ÖVP korrupt ist, dazu bin ich zu lange in Untersuchungsausschüssen gesessen.“
Und wieder wurde es laut.
Runder Tisch: Das Geständnis von Thomas Schmid
Auch Tomaselli ist „eigentlich“ für eine Fortführung, die 454 neuen Seiten aus dem Einvernahmeprotokoll Schmid "bringen neue Aspekte ein“, etwa zu Thema „Spezialbehandlung für Superreiche“. Man wolle beantragen, dass das Finanzministerium entsprechende Akten liefere.
Hanger hat „keine besonderen Befindlichkeiten“, was die Fortführung betrifft, das sei ein Minderheitenrecht im Parlament. Aber er sieht „wieder ein typisches Beispiel, dass Unterstellungen gemacht werden, der Herr Krainer ganz besonders.“
Krainer: „Wenn Sie keine Akten lesen, dafür kann ich nichts.“
Hanger: „Dann legen’s einmal am Tisch, es wird immer nur behauptet.“
Tomaselli zu Hanger: „Sie überzeugen offenbar nur Tonbänder, wenn sie sich gegenseitig abhören. Ein komischer neuer Stil und ich hab’ da schon ein bissl Ibiza-Vibes, das habe ich bisher nur von der FPÖ gesehen.“
Unter Koalitionspartnern kann es auch gehörig zur Sache gehen.
Für Hafenecker ist es „Ibiza ohne Bild“.
Ja, die FPÖ. Es wirkt immer wieder paradox, wenn man sich zurückerinnert, wie alles eigentlich mit Ex-FPÖ-Chef Strache begonnen hatte. Und jetzt scheint es fast, die Partei profitiere von den Entwicklungen.
Thema Sobotka
Und jetzt noch das Thema Sobotka. Ob der Nationalratspräsident den U-Ausschuss noch weiter leiten könne?
Die in den Schmid-Protokollen genannten Vorwürfe bezüglich Mock-Institut bestritt Hanger mit der Verteidigungslinie Sobotkas, das zum angeblich genannten Zeitpunkt 2014 noch gar kein Steuerakt bestanden habe. Sobotka könne „natürlich“ weiter den Vorsitz führen, „wir haben immer gesehen, dass er unvoreingenommen agiert hat.“
Krainer: „Er war schon beim Ibiza-U-Ausschuss untragbar. Und es ist nicht besser geworden, sondern schlechter.“
Hafenecker meint, man habe die ÖVP „höflichst ersucht, das nicht zu tun.“ Der Name Sobotka tauche immer wieder in den Unterlagen auf. „Da verdichtet sich die Idee, dass unter Umständen etwas nicht stimmt.“
Wenn er an Hangers Aussagen denkt, sei er froh, „dass in dem Haus nicht der Blitz einschlagen kann.“
Krisper argumentiert mit der Art von Sobotkas Vorsitzführung selbst, dieser habe beispielsweise zuletzt „bewusst anders entschieden als der Verfahrensrichter.“
Tomaselli hält ihn ohnehin für „dauerrücktrittsreif in dieser Funktion“.
„Nur weil Thomas Schmid in einer Einvernahme, wo er nicht einmal unter Wahrheitspflicht ist, irgendetwas behauptet, soll er zurücktreten? Das ist ja absurd“, fügt Hanger noch an.
Nicht das Aushängeschild der Regierung
„Was machen wir jetzt mit dieser Regierung?“, fragt Bürger abschließend.
Krisper nimmt sich noch mal den Grünen zu, Sie finde es „peinlich“, dass Vizekanzler Werner Kogler eine Fortführung des U-Ausschusses fordere, dies sei ein sich Abputzen, „anstatt selber in die Gänge zu kommen“, was Reformen betrifft, und daher eine „Feigenblattaktion“.
Hafenecker spricht sich für rasche Neuwahlen aus, wieder hat er einen interessanten Vergleich. „Vielleicht muss man es machen wie bei einem Heftpflaster. Da tut man auch nicht langsam herunter, sondern reißt an, pickt ein neues drauf, Fall erledigt - und dann kann diese Republik endlich auf Werkseinstellungen zurückgesetzt werden.“
Auf Werkseinstellungen zurücksetzen. Wer zögert da nicht oder hat gröbere Bedenken, wenn er diese Frage von einem Gerät gestellt bekommt?
Krainer sieht „de facto seit drei Jahren keine handlungsfähige Regierung.“
Hanger: „Wir haben ein unglaublich starkes Budget vorgelegt.“
„Irrsinnig stark bei den Schulden“, sagt Krainer.
„Definitiv, definitiv“, sagt Hanger jetzt an ungünstiger Stelle.
Dass die SPÖ einmal ein Budgetdefizit beklagt, klingt auch ungewohnt für österreichische Ohren.
Die Sehnsucht nach einer Verlängerung des U-Ausschusses scheint auch bei Krainer groß, den er bringt sie noch einmal ungefragt aufs Tapet, er hoffe, die Neos würden noch einmal „in sich gehen.“
Tomaselli verwahrt sich dagegen, dass die Regierung nicht handlungsfähig sei, nennt aber ausschließlich grüne Ministerinnen und Minister als Positivbeispiele. Und sie lobt noch einmal Parteichef Kogler dafür, Ex-Kanzler Sebastian Kurz vor einem Jahr „die Rute ins Fenster gestellt“ zu haben.
Kollege Hanger muss wieder einmal etwas „natürlich“ zurückweisen, nämlich was eine einseitige Handlungsfähigkeit in der Regierung betrifft. Außer beim U-Ausschuss gebe es in der Regierung „eine gute Zusammenarbeit“.
Die Ausnahme sitzt demzufolge in Person von Tomaselli neben ihm.
Bürger: „Nach Grundvertrauen klingt das nicht.“
„Wir sind vielleicht auch nicht das Aushängeschild“, sagt Tomaselli.
Hanger lacht, Bürger lacht, alle lachen.
Bürger bedankt sich für die „heftige Diskussion“.
Ja, es war recht kurzweilig, wenngleich die politische Welt nun nicht eine gänzlich andere ist.
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