Bitte zu Tisch: Quotenstarker Start für ORF-Talk "Das Gespräch"

Bitte zu Tisch: Quotenstarker Start für ORF-Talk "Das Gespräch"
Die erste Ausgabe der neuen ORF-Diskussionssendung mit dem neuen ÖVP-Chef Stocker kam auf um zwei Drittel höhere Quoten als zuletzt die Vorgängersendung "Im Zentrum".

Zusammenfassung

  • ÖVP-Chef Stocker verteidigt im neuen ORF TV-Format Das Gespräch seine Kehrtwende zur FPÖ und betont die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit.
  • Heidi Glück kritisiert die ÖVP als profillos und für die Aufgabe ihrer traditionellen Themen wie Wirtschaft und EU.
  • Seit Freitag verhandelt eine Expertengruppe, wie das Budget saniert werden soll. Diese Gespräche seien "sehr gut" verlaufen, sagte Stocker. Die Sanierung sei "schaffbar".

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

"Das Gespräch" startet recht flott. Am Beginn steht keine pompöse Titelmelodie, Susanne Schnabl steigt unmittelbar nach der Werbung ein mit dem Sendungsthema "Vom Gegner zum Partner?" und stellt die Grundfrage vor: "Macht die ÖVP Herbert Kickl entgegen aller Wahlversprechen zum ersten freiheitlichen Bundeskanzler Österreichs?" Ob und wie sich das ausgehe. Damit hat man jedenfalls thematisch ins Schwarze getroffen - es ist sicher das Stammtischthema Nr. 1 derzeit.

Der kurze Jingle reicht dann gerade aus, dass Schnabl selbst am Tisch Platz nimmt, wo bereits ihre Gäste sitzen. Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker, die ehemalige Nationalratsabgeordnete Irmgard Griss (Neos) sowie die Strategieberaterin und ehemalige Kanzlersprecherin von Wolfgang Schüssel (ÖVP), Heidi Glück. 

In dem in rostrot bis braunen Farbtönen gehaltenen Studio nehmen ein bis vier Gäste rund um einen sechseckigen Tisch Platz. Dieses Setting erinnert ein wenig an jenes von "Caren Miosga" in der ARD. Sendungskonzept und -Ablauf wirken auf den ersten Blick klarer und aufgeräumter als er Vorgänger.

Quotenmäßig guter Start

Bis zu 613.000 und im Schnitt 558.000 Politik-Interessierte wollten das sehen, das bedeutet 29 Prozent Marktanteil (Zielgruppe 12+) für die erste Ausgabe der neuen Talksendung. Der ORF sprach von der besten Quote auf dem Sonntagabend-Sendeplatz (ohne die Spezial-Ausgaben zur Bundespräsidenten-Wahl) seit April 2022. Zum Vergleich: Die letzte Ausgabe von "Im Zentrum" mit Claudia Reiterer sahen im Schnitt 355.000 Zuseherinnen und Zuseher, was einem Marktanteil von 21 Prozent entsprach. Der Jahresschnitt 2024 war bei 339.000 Zusehern gelegen. Gesamtschnitt der vergangenen acht Jahre unter der Moderation von Reiterer betrug 454.000 Zuseher. Auf welchen Werten sich "Das Gespräch" in innenpolitisch weniger turbulenten Zeiten - falls es solche wieder einmal gibt - einpendeln wird, gilt es zu beobachten.

Der neue ÖVP-Chef verteidigte in der neuen ORF-Diskussionssendung seine Kehrtwende hin zur FPÖ. Er und seine Partei müssten nun daran arbeiten, die eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, nachdem sie trotz mehrfacher gegenteiliger Bekundungen doch in Verhandlungen mit Herbert Kickl eingestiegen war. "In meiner Familie" sei das bereits gelungen, sagte Stocker. Nun wolle er auch den Rest der Österreicherinnen und Österreicher von der Notwendigkeit dieses Schrittes überzeugen.

Vernunftehe und Verantwortung nur für ÖVP

Stocker verlautbarte auch eine neue Strategie, mit der Kritik am "Salto-Rückwärts" (Copyright: Schnabl) umzugehen: "Ein Stück weit muss man eine solche Koalition auch vielleicht etwas nüchterner sehen als es in der Vergangenheit war." Es sei nicht so, "dass zwei Parteien jetzt ihre Parteiprogramme austauschen und eins werden, sondern es wird eine Übereinkunft gefunden für eine gewisse Zeit, bestimmte Maßnahmen durchzuführen oder umzusetzen , wofür diese beiden Parteien eine parlamentarische Mehrheit zur Verfügung stellen - nicht mehr und nicht weniger."

Diese wortreiche Umschreibung könnte man auch kurz als Vernunftehe bezeichnen. Bis vor Kurzem hat aber gerade Stocker ein Bündnis mit der Kickl-FPÖ noch vehement als äußerst unvernünftig bezeichnet.

Stocker hat noch eine zweite Botschaft: Er trage nur für die ÖVP Verantwortung. "Das werde ich tun, aber nicht für die freiheitliche Partei."

 

Bereits am Wochenende hatte Stocker in mehreren Interviews gesagt, seine Reputation hätte unter der Kehrtwende hin zur FPÖ gelitten. Galt Stocker im Wahlkampf noch als einer von Kickls schärfsten Kritikern, verhandelt er seit dem Scheitern der Gespräche mit SPÖ und Neos mit dem FPÖ-Chef eine neue Regierung. 

Stocker: SPÖ wäre auch ausgestiegen

Seine Haltung dem blauen Parteichef gegenüber habe sich aber nicht geändert: "Ich weiß was ich gesagt habe, und ich stehe zu dem was ich gesagt habe. Und ich weiß auch, dass ich jetzt etwas mache, was ich vorher gesagt habe, das ich nicht tun werde". Einmal mehr gab er am Platzen der Gespräche zu dritt der SPÖ, allen voran Parteichef Andreas Babler, die Schuld. Neu war aber die Behauptung, die SPÖ habe am Tag des Neos-Ausstiegs am 3. Jänner selbst die Verhandlungen verlassen wollen. Die ÖVP sei also am 4. Jänner lediglich diesem Schritt zuvorgekommen, so Stocker.

ÖVP für Glück"profillos"

Irmgard Griss findet die Aussicht auf Herbert Kickl als Kanzler "jedenfalls nicht beruhigend". Glück ging mit Stocker und der ÖVP überraschend hart ins Gericht. Aus strategischen Gründen sei es von Anfang an falsch gewesen, ihn als Sicherheitsrisiko zu titulieren. Damit habe man sich selbst den Spielraum in den Verhandlungen genommen. Die Volkspartei sei aber bereits in den vergangenen Jahren "relativ profillos" geworden und habe ihre "DNA" - etwa bei den Themen Wirtschaft oder EU - aufgegeben.

Stocker konterte auf interessante Weise: mit einem Ziegel an Papier. Es war der "Österreichplan" von Karl Nehammer, mit dem der mittlerweile Ex-Kanzler in die Nationalratswahl 2024 ging. Stocker schob das Kompendium über den massiven sechseckigen Nussholztisch in Richtung Glück. 

Es folgte ein etwas fruchtloses Geplänkel mit Griss darüber, wieviele Österreicherinnen und Österreicher diesen "Österreichplan", in dem die ÖVP unter anderem das "Autoland Österreich" preist, gelesen haben. Stocker sagte: "Wir haben es ihnen auch erzählt."

Sanierung "schaffbar" 

Seit Freitag verhandelt eine Expertengruppe, wie das Budget saniert werden soll. Diese Gespräche seien "sehr gut" verlaufen, sagte Stocker. Zumindest sei ihm das so von der Expertengruppe berichtet worden. Er selbst habe sich am Sonntag ja auch auf diese Sendung vorbereiten müssen, meinte Stocker etwas süffisant. Die Sanierung sei "schaffbar". 

So viel weiß der ÖVP-Chef immerhin.

Inhaltliche Verhandlungen hätten bisher noch nicht stattgefunden. Zuerst soll der größte Brocken, die Sanierung des stark angeschlagenen Budgets, geklärt werden. Dafür tagt seit Freitag "in Permanenz" die erwähnte Expertengruppe. Diese würden gut verlaufen, konkreter wurde der ÖVP-Chef aber nicht: "Ich gehe davon aus, dass was wir, was wir nach Brüssel melden müssen, auch nach Brüssel melden können". Bis zum 21. Jänner muss Österreich bekannt geben, wie das Budget konsolidiert werden soll. 

"Vernommen" habe er die Bedenken internationaler Sicherheitspolitiker und -Experten gegenüber einem blauen Kanzler und was das für den österreichischen Geheimdienst bedeute. Es gehe darum "ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, damit diese Bedenken auch wieder zerstreut werden". Konkreter wollte Stocker aber auf Nachfrage auch hier nicht werden.

Die Gefahr, dass Kickl in Brüssel, etwa bei Fragen zur Unterstützung der Ukraine, anders abstimme als abgesprochen, bestehe, man könne aber nicht alles regeln, so Stocker, der diese Situation mit dem Alleingang Leonore Gewesslers (Grüne) beim EU-Renaturierungspakt verglich. Generell will er die Wettbewerbsfähigkeit nicht dem Klimaschutz "unterordnen". "Wenn wir in dieser Sekunde CO2 neutral wären, hätten wir das Klima nicht gerettet, aber die Wirtschaft wäre wahrscheinlich ruiniert."

Einmal mehr betonte Stocker auch, dass, nur weil man derzeit Verhandlungen führe, eine blau-schwarze Koalition noch nicht in Stein gemeißelt sei. Sollte es dazu kommen, obliege die Personalverantwortung jeder Partei für sich, meinte er, auf die Nähe der FPÖ zu den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären angesprochen. Ob er, sollten die Gespräche scheitern, als Spitzenkandidat in eine Neuwahl gehen würde, ließ er offen: "Gehen wir über die Brücke, wenn wir dort angelangt sind".

Verteidigungsformeln

Zum Teil kämpfte die erste Ausgabe von "Das Gespräch" mit der Schwierigkeit, dass in Zeiten von Regierungsverhandlungen wenig Konkretes gesagt bzw. vorweggenommen wird. Daher wurden einige Themen - wie Klimaschutz, oder Justizreformen - zwar angeschnitten, aber auf die Kritik von Griss, die hier vor allem die Rolle der Anklägerin übernahm, kamen dann die sattsam bekannten Verteidigungsformeln, die Stocker in seiner Funktion als Generalsekretär freilich bereits auswendig gelernt hatte.

Bitte zu Tisch: Quotenstarker Start für ORF-Talk "Das Gespräch"

Neue Flexibilität 

Mit der ersten Ausgabe von Das Gespräch hat der ORF den Polittalk Im Zentrum abgelöst, der fast 18 Jahre lang für gute Quoten sorgte, aber zuletzt durch ein "starres Konzept" und "selten überraschende Gäste" zusehends Kritik auf sich zog, wie ORF-Sendungsteams-Chefredakteur Johannes Bruckenberger bei der Präsentation von "Das Gespräch" im Dezember sagte. Die neue Sendung solle dagegen mit "größtmöglicher Flexibilität" - auch mit Blick auf die Anzahl der Gäste - punkten. 

Bei der ersten Ausgabe waren drei Gäste eingeladen, die Kamera konnte alle auf einmal - inklusive Susanne Schnabl - einfangen. Ob sich das Setting bei vier Gästen bewährt, wird sich dann zeigen, wenn auch vier Gäste eingeladen sind. Alle fünf Parlamentsparteien einzubeziehen, geht sich bei der neuen Flexibilität jedenfalls nicht aus.

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