Neue Hauptabteilung ORF Wissen: Mit geballter Expertise gegen Skepsis und Inkompetenz

Tom Matzek und Gudrun Stindl
Tom Matzek und Gudrun Stindl leiten die multimediale Hauptabteilung. Was sie über die Neuorganisation, Programme, Glaubwürdigkeit und kommende Anchor-Persönlichkeiten denken

Erst vor Kurzem bei den Jackson Wild Awards, den „Naturfilm-Oscars“, ausgezeichnet, feiert die ORF-Co-Produktion „Geister der Wüste – Die Löwen der Skelettküste“ heute in „Universum“ (20.15, ORF 2) Premiere. Darin geht es um den Überlebenskampf dreier junger Löwinnen in der gnadenlosen Namib-Wüste nach dem Tod ihrer Mutter. Die Doku zeigt beeindruckende Bilder, erstaunliches Tierverhalten und gibt spannende Einblicke in die Arbeit der preisgekrönten Naturfilmer Will und Lianne Steenkamp.

Angesprochen wird auch der menschliche Einfluss auf das Leben und zwischenzeitliche Verschwinden der Wüstenlöwen. „Diese Doku steht damit programmatisch für unseren inzwischen anderen Zugang zum Thema Artenschutz, der immer auch im Kontext mit Zivilisation zu sehen ist, weil das eine nicht losgelöst vom anderen sein kann“, sagt Tom Matzek.

Neuaufstellung

Tom Matzek leitet die seit August bestehende neue multimediale Hauptabteilung ORF Wissen, in der die Wissenschaftsredaktionen von TV, Radio und Online zusammengeführt wurden. Sie „umfasst auch Gesellschaft, Bildung, Ökologie, technologische Innovation, Medizin und einiges mehr“, erläutert die stv. Leiterin von ORF Wissen, Gudrun Stindl.

„Es ist das meines Erachtens die einzige Organisationsform, wie man die Herausforderungen durch digitale Transformation und die heutige und kommende Mediennutzung bewältigen kann“, meint Matzek. Dass es interne Widerstände gegen die Verschmelzung gab, stellt Stindl gar nicht in Abrede: „Das ist eine tiefgreifende Veränderung in der Arbeitsweise für uns, die inzwischen viele als Chance sehen. Es gibt jetzt viel mehr Raum, zukunftsgerichtete Ideen im Austausch umzusetzen.“ 1.600 Stunden Programm für die aktuelle Berichterstattung und Langformate aller ORF-Sender sowie Plattformen wie science.orf.at und orf.at liefern etwa 100 Mitarbeiter zu.

Zur Person

Der Chef von ORF Wissen, Tom Matzek, leitete bisher die TV-Hauptabteilung Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen. Zuvor war er bei „Universum“ und baute „Universum history“ auf. Stellvertreterin Gudrun Stindl ist Wissenschaftsredakteurin (war u. a.  stv. Ö1-Ressortleiterin), Stiftungsrätin und war langjährig Betriebsrätin 

Zur Hauptabteilung 

1.600Stunden  Programm liefert ORF Wissen jährlich mit  100 Mitarbeitern (inkl. Freien) für die aktuelle Berichterstattung aller ORF-Sender und Plattformen sowie Langformate wie „Dimensionen“, „Radiokolleg“, die „Universum“-Range, „Mayrs Magazin“, „Menschen & Mächte“ 

Matzek ist dabei wichtig: „Die Fachexpertise ist nun in einer Abteilung konzentriert, die damit auch als Ansprechpartner fungiert.“ Das hält Stindl auch für notwendig. „Meine Erfahrung ist – da nehme ich Teile des Journalismus nicht aus –, dass es als selig machende Wahrheit gilt, wenn irgendwo wissenschaftliche Studie draufsteht, weil einfach vielen die Expertise fehlt, Studien richtig einzuordnen. Wir haben hier glücklicherweise wirkliche Koryphäen in der Abteilung.“

Viele neue Ausspielwege

Ein wichtiger Grund für die Neuaufstellung sind die vielen neuen Ausspielwege durch die Digitalisierung. „Durch Streaming sind neue Formate möglich und notwendig. Social-Media-Kanäle wie Instagram oder Tiktok sind nicht mehr nur Begleitmedien, sondern eigenständige Ausspielwege“, sagt Matzek. Im Audiobereich spiegle sich diese Weiterentwicklung im Boom der Podcasts, und darauf reagiere man.

Neue Hauptabteilung ORF Wissen: Mit geballter Expertise gegen Skepsis und Inkompetenz

Die Chefs der neuen Hauptabteilung, Stindl (li.) und Matzek: ORF Wissen als „Vermittler zwischen Publikum und Wissenschaft“

Für Stindl ist nun „die große Herausforderung und Chance das multimediale Themen-Management“. Damit wolle man beim Publikum Akzente setzen. So gehöre zu den Highlights (siehe Info rechts) ein Schwerpunkt über alle ORF-Mediengattungen hinweg zu „80 Jahre Republik“. Ebenfalls geplant ist das für „Ephesos – 130 Jahre österreichische Forschung“ im ersten Halbjahr 2025.

„Unser Anspruch als ,ORF für alle‘ ist, Wissen für die Gesellschaft anzubieten, und das sowohl in die Tiefe gehend wie auch für die breite Bevölkerung“, sagt Matzek. Ziel dessen sei „mehr Wissen für die Gesellschaft, mehr Gesellschaft in die Wissenschaft“. Man trete aber nicht „als Verkünder der Neuigkeiten“ auf. „Das wäre ein absolut überkommener Zugang.“

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Intensiv setze man sich intern, wie auch auf Sendung, mit dem Thema Glaubwürdigkeit von Journalismus und Wissenschaft auseinander. Matzek: „Wir sehen uns da auch als Vermittler zwischen Publikum und Wissenschaft“ – und man gebe dieser Rückmeldung. Das hat bereits zu einigen Initiativen geführt wie der vom Immunologen Andreas Bergthaler, der in Schulen unterwegs ist oder dem Projekt „FÄKT“ der Akademie der Wissenschaften auf Youtube und Tiktok. „Wissenschaft folgt ja in ihrer Diskurshaftigkeit durch ständige Falsifizierung und Verifizierung einem zutiefst pluralistischen Prinzip. Es gibt keine dogmatischen Wahrheiten“, sagt der ORF-Wissen-Chef.

 

Universum: 

„Die Nikobaren“ (17. 12.), „Saalbach-Hinterglemm“ (21. 1.), Großstadtgeflatter – Weltenbummler Taube" (April 2025), „Europa – „Ein Kontinent, fünf Welten" (Sommer 2025)

Universum History: 

„Rebellinnen auf hoher See“ (22. 11.); „Die Revoluzzerinnen – Frauen in den Bauernaufständen"

Menschen & Mächte: 

„Geheimsache Lucona“ (Dez.); „Stadt der Spione"

Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot 

Dokus über die 1920er, 1930er und 1940er Jahre sowie zum Abschluss 2010er Jahre (Dez./Jän.); 

Ö1

2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Abwurf der ersten Atombombe zum 80. Mal. Dies greifen etwa die Ö1-„Hörbilder“ im Feature „Operation Epsilon und die betrogene Lise Meitner“ auf.

„80 Jahre Zweite Republik" ist Thema u. a. im „Radiokolleg“, der „Science Arena“ und in „Lebenskunst – Begegnungen am Sonntagmorgen“.

Auch im Wissensbereich steht der ORF vor einem Generationenwechsel, verbunden mit der Suche nach neuen Anchor-Persönlichkeiten. „Personalentwicklung steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir wissen, dass es in der Wissenskommunikation ein Mehr an Personalitys braucht“, sagt Stindl. Eine Vision wäre, so jemanden wie Mai Thi Nguyen-Kim („maiLab“) zu finden, „ein Glücksfall, weil sie schon für die nächste Generation eine Marke ist. Aber auch wir haben Talente. Es ist das dann auch ein Konkurrenz- und Finanzthema“, sagt Stindl.

Starprinzip, neu gedacht

Ein wichtiger Schritt ist für Matzek hier das Projekt „Young History/True Stories“, das multimedial und mit einer jungen Presenter-Persönlichkeit aufgesetzt wird.

So könnte man modulartig Social-Media-Kanäle, Youtube oder ORF 1-Langformate bedienen. „Wir brauchen eine gewisse Vielfalt an Bildschirm-Persönlichkeiten, die aber auch für bestimmte Grundwerte stehen müssen. Das ist das Starprinzip, neu gedacht“, so Matzek.

Durch Digitalisierung und Einsparungsdruck immer wichtiger wird der Austausch unter Öffentlich-Rechtlichen. Die von Matzek im Frühjahr initiierte Gruppe Specialist Factual bei der European Broadcasting Union deckt Bereiche wie Geschichte, Wissenschaft, Natur, Medizin ab. Ein Projekt ist „Wildlife live – 24/7“, das dem geplanten „Universum live“ auf internationaler Ebene entspricht. Da sollen Streams von Naturschauplätzen zwischen Nordkap und Schwarzem Meer angeboten werden. „Das ist eines der Programme, die auch für kleinere Broadcaster in Mittel- und Osteuropa leistbar sind und die wollen wir hier forcieren“, meint Matzek.

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