Netflix-Film "München": "Das finde ich tragisch und fatal"
Vor dem internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner hat auch der Streamingdienst Netflix einen neuen Film über die Nazizeit im Angebot. „Es sollte mit allen Mitteln immer wieder versucht werden, auf unsere Geschichte aufmerksam zu machen und daran zu erinnern“, sagt der deutsche Schauspieler Jannis Niewöhner („Der Fall Collini“, „Felix Krull“).
Er spielt in „München – im Angesicht des Krieges“ einen jungen deutschen Diplomaten, der in einen Gewissenskonflikt gerät und die Konferenz von München (siehe Infobox unten) im September 1938 dazu nützen will, um die Briten mit tels Geheimdokument vor Hitler zu warnen. „Paul von Hartmann ist ein fiktiver Charakter, aber er steht für viele andere, die es tatsächlich gegeben hat“, sagt Niewöhner. „Paul wandelt sich stark, er kämpft irgendwann für die richtige Sache. Währenddessen kämpft er auch gegen sich selbst. Genau das macht ihn lebendig und nahbar.“
Romanvorlage
Erfunden hat die Figur der britische Schriftsteller Robert Harris, nach dessen Roman von 2017 der deutsche Regisseur Christian Schwochow ("Je suis Karl") dieses Spionagedrama gefertigt hat (Drehbuch: Ben Power). „Wir können uns hineindenken und uns die Frage stellen, wie wir selber gehandelt hätten. Und das habe ich sofort gemacht, als ich diese Geschichte gelesen habe“, meint Niewöhner.
Historienfilme haben es freilich an sich, dass der Ausgang bekannt ist. Sandra Hüller, die von Hartmanns Kollegin Helen Winter spielt, meint aber: „Man vergisst, wie es ausgeht. Zumindest ging es mir so, als ich das Buch gelesen habe, dass ich zwischendurch vergessen habe, dass der Plan natürlich nicht funktioniert hat. Weil das so gut gebaut ist, glaubt man daran, dass es diese Figuren wirklich gegeben hat.“
Ihre Rolle sei im Film etwas vergrößert worden. "Ich denke schon, dass Christian Schwochow nicht so eine reine Männererzählung machen wollte", sagt Hüller. "Obwohl man sagen muss, die Welten von Männern und Frauen sind dort schon sehr getrennt. Das ist so geblieben. Vielleicht wäre es, wenn damals mehr Frauen in entscheidenden Positionen gewesen wären, nicht so schlimm schiefgegangen. Ich kann es natürlich nicht genau sagen. Man hofft immer, dass das eigene Geschlecht es irgendwie besser hingekriegt hätte, oder überhaupt irgendein Mensch in der Lage gewesen wäre, das zu verhindern."
Faschismus wird inkarniert
Für die Schauspielerin, die mit dem Arthouse-Film „Toni Erdmann“ große Erfolge feierte, war es der erste Film, der in der Nazizeit spielt. „Ich wollte mit der Zeit tatsächlich nie etwas zu tun haben“, sagt Hüller. „Ich habe es abgelehnt, sowohl Leute im Widerstand als auch Faschisten zu spielen, weil ich fand, dass es dazu schon ganz viele Filme gibt. Und in dem Moment, wo man über den Faschismus erzählt, inkarniert man ihn ja auch immer wieder. Also die Vorstellung davon, dass Hakenkreuze auf irgendwelche Uniformen genäht werden müssen, damit Spieler und Spielerinnen die dann tragen können, das finde ich immer noch bizarr und diesem Gefühl kann ich mich auch nicht entziehen. Und trotzdem wollte ich gerne mit Christian Schwochow arbeiten. Mich hat tatsächlich der Gedanke gepackt, dass es so kurz davor gewesen sein könnte, dass diese Katastrophe nicht stattgefunden hätte.“
Was sie während der Arbeit immer wieder beobachtet habe: "Dass wir so an das Narrativ von der Grausamkeit des Menschen gewöhnt sind, weil wir sie gesehen haben, dass man dahinter irgendwie nicht mehr zurücktreten kann. Das finde ich tragisch und fatal."
Die historische Figur des britischen Premiers Neville Chamberlain wird von Jeremy Irons („House of Gucci“) gespielt, und Adolf Hitler von Ulrich Matthes („Der Untergang“).
Matthes musste coronabedingt kurzfristig für Martin Wuttke einspringen. „Das war auf jeden Fall eine Extremsituation, die zu dem ganzen Corona-Wahnsinn gehörte,“ erzählt Niewöhner, „das ist aber bestmöglich gelöst worden. Ich bewundere Ulli für die Art, mit der er die Rolle angegangen ist. Diesen historischen Charakter zu spielen, der ja auch wahnsinnig klischeebehaftet ist und dazu einlädt, ihn so zu spielen. Das hat Ulli nicht gemacht.“
Gruselig
Die Szenen, in denen er mit Matthes spielte, fand Niewöhner „schon gruselig. Vor allem, weil Hitler hier in einer neuen, uns unbekannten Situation eingeführt wird. Nämlich sehr intim in einem Raum, wo nur Paul mit ihm in diesem Zugabteil ist. Es ist schon besonders, auf eine gewisse Art dieser historischen Figur am Set zu begegnen.“
Noch intensiver sei für ihn der Moment gewesen, „in dem wir im Führerbau, dem damaligen Büro Hitlers, die Szene gedreht haben, in dem das Abkommen tatsächlich unterschrieben wurde. Was wir da gespielt haben, hat in diesem Raum etwa achtzig Jahre vorher tatsächlich stattgefunden. “
Zugeständnisse im Männerclub
Das Münchner Abkommen gilt als Paradebeispiel für die britische Appeasement-Politik, in der Hitler vor dem Krieg Zugeständnisse gemacht wurden. Daran gab es immer wieder Kritik (siehe Infobox unten). Ob der Film hier die Position Chamberlains schönfärbt?
Hüller findet: "Der Film lässt das offen. Es kann natürlich eine Lesart sein, zu sagen, England hat zumindest mehr Zeit gehabt, sich entsprechend zu bewaffnen. Als klar war, es wird Krieg geben und dass Hitler das, was er da unterschrieben hat, nicht einhalten wird. Aber ob das insgesamt etwas für die Weltgeschichte verbessert hat, weiß ich nicht. Und trotzdem ist dieser Punkt, dass man sich dort versammelt hat und über das Schicksal sehr vieler Menschen entschieden hat, ein frappanter Vorgang, in diesem Männerclub."
Laut Niewöhner stelle der Film die Frage: „Ist es überhaupt richtig, Deals einzugehen mit Menschen, von denen man weiß, was ihre abgründigen Ziele sind? Sollte man das machen, auch wenn man dadurch Zeit erkaufen kann? Und was wäre die Konsequenz?“ Diese Geschichte zeige „die Komplexität und Schwierigkeit von politischen Entscheidungen, und demgegenüber steht die Überzeugung von Paul, immer nach den eigenen Werten, der eigenen Moral zu handeln und dazu kann ein Friedenspakt mit Hitler nicht gehört haben.“
Der Film "München - Im Angesicht des Krieges" versucht eine Ehrenrettung der britischen Vorkriegspolitik
In München trafen am 29. September 1938 Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland zusammen. Hitler plante den Einmarsch in die Tschechoslowakei, letztlich einigte man sich auf Betreiben des britischen Premiers Neville Chamberlain auf ein Abkommen, wonach Nazi-Deutschland das Sudetenland kampflos zufallen sollte, während der Rest der Tschechoslowakei erhalten bleiben sollte. Diese britische Appeasement-Politik sorgt bis heute für Kritik.
Im Abspann des britischen Films heißt es: „Die Frist, die durch das Abkommen von München erkauft wurde, ermöglichte es Großbritannien und seinen Verbündeten, sich auf den Krieg vorzubereiten, und das führte letztlich zu Deutschlands Niederlage.“
Nicht nur Chamberlains Nachfolger, Winston Churchill, hatte eine andere Sicht auf die Folgen des Abkommens. In seinen Memoiren schreibt er, dass Hitlers Kriegspläne eher begünstigt wurden. Eine militärische Überwindung der tschechischen Befestigungsanlagen, die sich großteils im Sudetenland befanden, hätte der noch im Aufbau befindlichen Wehrmacht womöglich große Verluste eingebracht.
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